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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Hasak, Max: Die Erweiterungsbauten der Stadtpfarrkirche zu Leobschütz in Oberschlesien und der Pfarrkirche St. Mauritius zu Friedrichsberg bei Berlin
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Moeller, Ernst von: Die Wage der Gerechtigkeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0172

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269

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

270

Selbst die Anpassung des neuen Ziegel-
materials an das alte bietet kein unüberwind-
liches Hindernis. Die alten Ziegeln zu Leob-
schütz hatten ersichtlich bei dem Trocknen
auf Kies gelegen, der sich in die Oberflächen
eingedrückt hatte und mit eingebrannt war.
Die neuen Backsteine sind ebenso hergestellt
worden und sehen daher wie die mittelalter-
lichen Ziegeln aus. Das alte Ziegelmauer-
werk ist bei der Wiederherstellung mit heißem
Wasser und grüner Seife abgewaschen und
mit Weißkalk frisch gefugt worden. So ist

auf ungekünstelte Weise auch darin ein künst-
i Ierisch einheitliches Bild geschaffen worden.
Natürlich ist für den Baumeister der Ent-
wurf wie die Ausführung eines Erweiterungs-
I baues viel schwieriger, zeitraubender und ge-
fahrvoller als ein Neubau, selbstverständ-
lich auch weniger einträglich, und so muß
schließlich der befriedigende Gedanke, einen
alten Bau gerettet zu haben, die Erinnerung
an so manches vergolden. Das tut er aber
auch.

Berlin-Grunewald. Max H a s a k.

Die Wagre der

Sn*M ie Wage der Gerechtigkeit ist unter
alkl den Attributen, mit denen die
Kunst ihre Allegorien auszustatten
pflegt, ohne Zweifel eins der be-
kanntesten und verbreitetsten. Sie ist nicht
nur Attribut geblieben, sondern seit langer
Zeit zur sprichwörtlichen Redensart geworden.
„Das gegründetste Vorurteil wieget auf der Wage
der Gerechtigkeit so viel als nichts", sagt schon
Lessing in der Emilia Galotti.') Und ebenso
legt nach Schillers Wort beim „Antritt des
neuen Jahrhunderts" „der Franke seinen ehrnen
Degen in die Wage der Gerechtigkeit."2) Noch
am 8. Mai 1907 hat der Pole Fürst Radziwill
im preußischen Herrenhaus auf diese Stelle aus
Schillers Gedicht Bezug genommen, als er der
Regierung vorwerfen zu sollen glaubte, daß der
nationale Kampf unter der Ägide des Staates
fortgeführt und geschürt werde. Das müsse
eine entsittlichende Wirkung auf die Richter
ausüben. Das rufe eine Atmosphäre hervor,
unter der die Richter meinten, sie müßten der
Göttin Themis die Binde von den Augen
reißen und das Schwert des Brennus mit dem
Rufe: vae victis! in die Wagschale der Justiz
werfen.8) Die Augenbinde der Gerechtigkeit,
die bei dieser Gelegenheit einen verspäteten Ver-
teidiger fand, ist schon von vielen getadelt und
verworfen worden.4) Aber gegen die Wage sind

») V, 5.

2) Werke, herausgegeben von Box berger. I6.
Berlin 1901, Grote. p. 289. 3) »Verhandlungen« p. 175.

4) v. Mo eil er, „Die Augenbinde der Justitia",
in »Zeitschrift für christliche Kunst« 1905, Nr. 4 u. 5.
Otto Gierke, „Die Stellung und die Aufgaben der
Rechtsprechung im Leben der Gegenwart", »Tägliche
Rundschau« 1906, Nr. 154. Vgl. »Dtsch. Juristen-
Zeitung« XII. 1907. Sp. 1130.

Gerechtigkeit.

niemals Angriffe laut geworden. Wir alle sind
heute vollständig an dieses Attribut gewöhnt.
Ein Maler oder Bildhauer, der es durch andere
ersetzt, fühlt sich regelmäßig verpflichtet, durch
das Wort „Justitia", „Gerechtigkeit" oder der-
gleichen, die Dunkelheit seiner Darstellung zu
erläutern. Denn wir sind heute geneigt, einer
Allegorie, die keine Wage trägt, den Charakter
der Gerechtigkeit abzusprechen. Die Wage der
Gerechtigkeit ist eine Vorstellung, die uns in
Fleisch und Blut übergegangen, zur zweiten
Natur geworden ist.

Aber wie es so oft mit Dingen geht, die
jedem von jeher geläufig sind, so auch hier;
nach dem Warum und Woher hat selten einer
gefragt. Und die spärlichen Antworten, die
nach der einen oder anderen Richtung vor-
liegen, weichen fast durchweg aufs stärkste von-
einander ab. Darum sollen im folgenden
1. Zeit und Ort der Entstehung, 2. die Ur-
sachen der Entstehung und 3. die Bedeutung
des Attributs untersucht werden.

I.

In Deutschlandb) läßt sich die Wage als
Attribut der Gerechtigkeit schon seit dem frühen
Mittelalter nachweisen. Wenn nicht deutschen,
so doch westfränkischen Ursprungs wird die
Darstellung der Gerechtigkeit mit der Wage
auf dem Bilde Karls des Kahlen in der dem
IX. Jahrh. entstammenden Bibelhandschrift der
Kirche S. Calisto zu Rom sein. Dem XIII. Jahrh.
gehören die allbekannten Figuren der Kardinal-

5) Müller und Mothes, »Illustriertes archäolo-
gisches Wörterbuch« II. 1878. p. 972. Otte, »Hand-
buch der kirchlichen Kunst-Archäologie« I. 5. Aufl.
1883. p. 500.
 
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