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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Bachem, J.: Der Meister der Kreuzigungsgruppe in Wechselburg, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0210

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331

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

332

z. B. die am rechten Unterarm des Petrus
vom Südportal, sind von großer Elastizität.
(Vgl. Fig. 1, den Johannes Evang. vom Süd-
portal darstellend.)

In der Behandlung der Körperformen zeigt
sich das Bestreben, volle, runde Formen wieder-
zugeben, z. B. an den Händen, sowie die Ge-
sichter möglichst realistisch und ausdrucksvoll
zu gestalten. Letztere Wirkung erreicht der
Künstler durch die zusammengezogenen Augen-
brauen und die gefurchten Stirnen.

Endlich wäre noch die Technik zu er-
wähnen. Gewöhnlich stehen die Beine gleich-
mäßig nebeneinander, nur wenige, darunter
Johannes Evang. am Südportal, setzen eines
zurück. Die Ponderation ist überall dieselbe,
die Last ruht auf beiden Beinen gleichmäßig.
Das Querprofil der Falten ist kantig und tief
eingeschnitten.

Mit diesen Portalfiguren nun zeigt der
Johannes vom Freiberger Lettnerkreuz eine
Reihe von Übereinstimmungen. So die Frontal-
auffassung mit der Kopfdrehung, während der
übrige Körper unbeweglich bleibt. Die Monu-
mentalität, die sich darin ausspricht, daß
mächtig wirkende Gestalten gegeben werden.
Das Standsystem des Johannes begegnet am
Nord- und Südportal. Die Gleichgewichtsver-
teilung ist dieselbe, aber auch der Versuch
einer Entlastung durch Zurücksetzen des Beines
ist gemacht. Auch der anthropomorphe Sockel
findet sich. Besonders deutlich ist jedoch der
Zusammenhang zwischen dem deutschen und
dem französischenWerk in derVerwendung des-
selben scharfgeränderten, tiefeingeschnittenen
Querprofils. Endlich läßt sich die gleiche Ge-
wand- und Formenbehandlung bemerken. So-
wohl in den straffen, scharfkonturierten, senk-
recht herunterfallenden Falten, die nur an
Brust und Schultern weicher anliegen, wie in
den Proportionen, dem Typus (vgl. den Char-
treser Johannestypus mit dem Freiberger) und
dem Streben nach psychologischer Vertiefung
(vgl. beiderseits die zusammengezogenen Augen-
brauen) stimmen die französischen Skulpturen
mit der deutschen Statue überein.

Diesen gemeinsamen Punkten sind einige
Verschiedenheiten gegenüberzustellen, die sich
aber, was besonders wichtig ist, lediglich auf
das individuell Künstlerische, nicht auf die
Technik beziehen.

Der deutsche Meister sucht den Chartreser
Künstler noch zu überbieten. Die Gewand-

stilisierung ist in Freiberg noch straffer und
energischer als dort. Das erklärt sich wohl
durch die Verschiedenheit des Standortes. Der
in ansehnlicher Höhe aufgestellte Johannes
verlangte andere, kräftigere Wirkungsakzente
als die in der Nähe des Beschauers aufge-
stellten Portalfiguren. Der Stoff des Gewandes
ist etwas steifer, steht daher an den Füßen
weiter ab. Dadurch wird aber die durch die
starken Vertikalen hervorgerufene Wirkung noch
gesteigert. Ganz verschieden ist die Behand-
lung der Falten des Überwurfs, die durch das
zurückgesetzte rechte Bein entstehen. Auch
sie sind bei der deutschen Statue mehr auf
die Wirkung aus großer Höhe gearbeitet. Der
Künstler zieht also den Aufstellungsort in Be-
tracht und arbeitet so an der Ausbildung eines
selbständigen Stiles. Aus alledem ist zu schließen,
daß der unbekannte Freiberger Meister seine
Ausbildung in Frankreich erhalten hat. Damit
stimmt die Chronologie gut überein. Das Nord-
portal in Chartres ist im Jahre 1215, das Süd-
portal 1212 begonnen worden.5) Die engen
Beziehungen zu diesen Portalen ließen nicht
nur auf einen vorübergehenden Aufenthalt in
Chartres, sondern auf ein Schulverhältnis zu
dem dortigen Atelier schließen. Ein solches
war aber mit einem Jahre nicht abgeschlossen,
dauerte vielmehr eine Reihe von Jahren.6)
Demnach kann der Meister kaum vor 1220
nach Sachsen zurückgekehrt sein. Also ist
das Freiberger Kruzifix um 1220—1225 zu
datieren.

Dem Freiberger Leitnerkreuz nahe ver-
wandt ist das in Wechselburg. (Vgl. Fig. 3).
Die in der dortigen Schloßkirche befindliche
Kreuzigungsgruppe besteht aus Christus, den
am Fuße des Kreuzes stehenden Maria und
Johannes, sowie einer Reihe von Nebenfiguren.
Maria und Johannes stehen auf den symbo-
lischen Figuren des Heidentums und Juden-
tums. Sie sind beide in Untergewand und
Überwurf gekleidet. Das rechte Bein ist beide
Male ein wenig gekrümmt und vorgesetzt.
Johannes hebt zum Zeichen der Trauer die
eine Hand an die Wange, Maria dagegen legt
die beiden Hände zusammen. Der Kopftypus
des Johannes zeigt eine gewölbte Stirn, ge-

5) Bulteau, «Monographie de Ia cathedrale de
Chartres». 1887. II. Bd. S. 160 und 284.

6) Boileau, «Reglements sur les arts et metiers
ä Paris», 1837: Des ymagiers tailleurs de Paris et de
ceux qui taillent cruchefix ä Paris.
 
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