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J907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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stärksten Kontrast zu dem Dulder bildet der
häßliche Zwerg, der ihn am Seil führt. Sein
breitbeiniges Dastehen ist eine gemeine Varia-
tion des tapferen Auftretens, das wir nach
Schweizer Lanzknechtsart bei einem Getreuen
Davids in Basel (B. XXV) gewahren. Der
Söldner mit der Keule wiederholt nur das
rohe Motiv aus der Dornenkrönung und rührt
damit an die abschreckenden Eigenschaften
solcher Stationsbilder, die am Altarwerk Mult-
schers zu Sterzing ebenso hinter den Haupt-
leistungen zurückstehen, wie unter den Arbeiten
der Schongauer und Konsorten in Kolmar.
Von den weinenden Frauen unter dem Stadt-
tor kann kaum soviel ausgesagt werden, wie von
der Königin von Saba mit ihren Hofdamen auf
dem vorigen Blatt; denn sie treten hier völlig
zurück hinter der Hauptfigur, die von den
Peinigern umringt wird.
Mit dem Christophorus des Konrad Witz
in Basel berührt sich ganz überraschend der
Kopf Abrahams in der Zeichnung, wo er mit
seinem Sohne zur Opferstätte schreitet. Er
trägt das große Schlachtschwert auf der Schulter
und weist zu dem Berge, indem er sich redend
zu Isaak herumwendet. Der Kleine schleppt
mühevoll das Bündel Holz auf dem Rücken,
und seine Knie wollen einknicken, da die
Kraft versagt. So streift die Haltung der Fi-
gur zugleich an den unsicher hockenden Joseph
im Bildchen zu Neapel (B. XXXII), den wir
von der Gegenseite gegen den Pflegling hin-
streben sehen, und in übereinstimmender Rich-
tung an den knienden Antipater, der seine
wundenbedeckte Brust vor Caesar entblößt und
sich dabei leise emporreckt (B. XXVIII).
Auf dem unteren Felde rechts begegnet
Elias der Witwe von Sarepta. Er hat die
schmalen Schultern des Petrus beim Stifter in
Genf, und die Gewandmotive des Mantels,
den eine Agraffe am Halse schließt; aber auch
die Verwandtschaft mit Christus am Ufer des
Genfer Sees leuchtet ein, d. h. mit zwei Ge-
stalten des Konrad Witz von Basel, die uns
die Abwandlung beim Zeichner durchaus be-
greiflich machen, wie sich die Witwe mit ihrem
Kopftuch an die Königin von Saba reiht.
Die beiden zweifigurigen Szenen aus dem
alten Testament gehen unter freiem Himmel
vor. Aber die Klarheit der Figuren ist es allein,
worauf es diesem Künstler ankommt; die Land-
schaft wird nur andeutend in großen Linien
oder wenigen Massen gegeben, so daß ein
Gehölz auch nur wie ein Stück Terrain da-
steht. Wer hier nach Einzelexemplaren von
Bäumen sucht, wie nach Pilzformen auf alten
Kupferstichen, und den Kringelkranz, der die
Kronen zusammenfaßt, kindisch nennen möchte,
der hat eben keinen Sinn für das Kunstwollen
dieses Malers, der sein Bildganzes hinsetzen
will, wie es ihm räumlich - körperlich vor-
schwebt, aber nicht darnach fragt, ob ein
Kenner mit Ruskins Maßstab ihm auch die
Zensur erteilen werde: „Botanik schwach".
Wie die Kreuztragung sich auf dem engen
Raum der Bildfläche mit dem Notwendigsten
begnügt, so ist auch die Darstellung des Ge-
kreuzigten mit den Zeugen seines To-
des auf die unentbehrlichen Bestandteile zu-
rückgeführt, die der Vergleich der alttestament-
lichen Vorbilder erheischt: Maria, Johannes
und die Frauen links; der Hauptmann, der
Zeugnis ablegt, und ein Knappe, zu dem er
reden kann, rechts. Unter den anerkannten
Gemälden des Konrad Witz sind wir auf das
einzige Beispiel in Genf gewiesen, wo Christus
am Ufer steht, ganz in Profil gesehen. Für
den Übergang in die Dreiviertelsicht, wie er
auf unserm Blatte (D. 3) gezeichnet ist, zur
Seite geneigt mit langem Gelock und fried-
lichen Zügen, könnte nur der Petrus als Schutz-
patron des Genfer Kirchenfürsten angerufen
werden. Von dem nackten Körper dürfen
wir nicht mehr erwarten, als er gibt; denn
wie schwach es mit der Kenntnis der Glieder
ohne Gewand darüber bestellt ist, zeigt schon
der gefesselte Fuß des Petrus im Kerker, der doch
besonders hervorgehoben werden sollte. Nun
aber kommt uns ein neuentdecktes Tafelbild des
Gekreuzigten mit den Seinen und einem Stifter
in weiter Landschaft zu Hülfe, das soeben in
«The Burlington Magazine» (Mai 1907, vol. XI,
No. L) veröffentlicht wird, und zwar mit dem
Anspruch, ein Konrad Witz zu sein. Ohne
Kenntnis des Originals, besonders auch der
farbigen Behandlung, ist kein entscheidendes
Urteil möglich. Die Abbildung reicht nicht
einmal aus, die Formensprache genau zu prü-
fen; sie versagt besonders im obern Teil, beim
Kopf Christi fast völlig. Aber die Haltung
dieses Kopfes hat viel Gemeinsames mit dem
Gekreuzigten der Biblia Pauperum, und ebenso
des Körpers am hölzernen Stamme. Links
die Frauengruppe, rechts Johannes allein, in
fast statuarischer Isolierung der Körper auf-
gereiht, der Lieblingsjünger doch gar zu schwach,
J907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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stärksten Kontrast zu dem Dulder bildet der
häßliche Zwerg, der ihn am Seil führt. Sein
breitbeiniges Dastehen ist eine gemeine Varia-
tion des tapferen Auftretens, das wir nach
Schweizer Lanzknechtsart bei einem Getreuen
Davids in Basel (B. XXV) gewahren. Der
Söldner mit der Keule wiederholt nur das
rohe Motiv aus der Dornenkrönung und rührt
damit an die abschreckenden Eigenschaften
solcher Stationsbilder, die am Altarwerk Mult-
schers zu Sterzing ebenso hinter den Haupt-
leistungen zurückstehen, wie unter den Arbeiten
der Schongauer und Konsorten in Kolmar.
Von den weinenden Frauen unter dem Stadt-
tor kann kaum soviel ausgesagt werden, wie von
der Königin von Saba mit ihren Hofdamen auf
dem vorigen Blatt; denn sie treten hier völlig
zurück hinter der Hauptfigur, die von den
Peinigern umringt wird.
Mit dem Christophorus des Konrad Witz
in Basel berührt sich ganz überraschend der
Kopf Abrahams in der Zeichnung, wo er mit
seinem Sohne zur Opferstätte schreitet. Er
trägt das große Schlachtschwert auf der Schulter
und weist zu dem Berge, indem er sich redend
zu Isaak herumwendet. Der Kleine schleppt
mühevoll das Bündel Holz auf dem Rücken,
und seine Knie wollen einknicken, da die
Kraft versagt. So streift die Haltung der Fi-
gur zugleich an den unsicher hockenden Joseph
im Bildchen zu Neapel (B. XXXII), den wir
von der Gegenseite gegen den Pflegling hin-
streben sehen, und in übereinstimmender Rich-
tung an den knienden Antipater, der seine
wundenbedeckte Brust vor Caesar entblößt und
sich dabei leise emporreckt (B. XXVIII).
Auf dem unteren Felde rechts begegnet
Elias der Witwe von Sarepta. Er hat die
schmalen Schultern des Petrus beim Stifter in
Genf, und die Gewandmotive des Mantels,
den eine Agraffe am Halse schließt; aber auch
die Verwandtschaft mit Christus am Ufer des
Genfer Sees leuchtet ein, d. h. mit zwei Ge-
stalten des Konrad Witz von Basel, die uns
die Abwandlung beim Zeichner durchaus be-
greiflich machen, wie sich die Witwe mit ihrem
Kopftuch an die Königin von Saba reiht.
Die beiden zweifigurigen Szenen aus dem
alten Testament gehen unter freiem Himmel
vor. Aber die Klarheit der Figuren ist es allein,
worauf es diesem Künstler ankommt; die Land-
schaft wird nur andeutend in großen Linien
oder wenigen Massen gegeben, so daß ein
Gehölz auch nur wie ein Stück Terrain da-
steht. Wer hier nach Einzelexemplaren von
Bäumen sucht, wie nach Pilzformen auf alten
Kupferstichen, und den Kringelkranz, der die
Kronen zusammenfaßt, kindisch nennen möchte,
der hat eben keinen Sinn für das Kunstwollen
dieses Malers, der sein Bildganzes hinsetzen
will, wie es ihm räumlich - körperlich vor-
schwebt, aber nicht darnach fragt, ob ein
Kenner mit Ruskins Maßstab ihm auch die
Zensur erteilen werde: „Botanik schwach".
Wie die Kreuztragung sich auf dem engen
Raum der Bildfläche mit dem Notwendigsten
begnügt, so ist auch die Darstellung des Ge-
kreuzigten mit den Zeugen seines To-
des auf die unentbehrlichen Bestandteile zu-
rückgeführt, die der Vergleich der alttestament-
lichen Vorbilder erheischt: Maria, Johannes
und die Frauen links; der Hauptmann, der
Zeugnis ablegt, und ein Knappe, zu dem er
reden kann, rechts. Unter den anerkannten
Gemälden des Konrad Witz sind wir auf das
einzige Beispiel in Genf gewiesen, wo Christus
am Ufer steht, ganz in Profil gesehen. Für
den Übergang in die Dreiviertelsicht, wie er
auf unserm Blatte (D. 3) gezeichnet ist, zur
Seite geneigt mit langem Gelock und fried-
lichen Zügen, könnte nur der Petrus als Schutz-
patron des Genfer Kirchenfürsten angerufen
werden. Von dem nackten Körper dürfen
wir nicht mehr erwarten, als er gibt; denn
wie schwach es mit der Kenntnis der Glieder
ohne Gewand darüber bestellt ist, zeigt schon
der gefesselte Fuß des Petrus im Kerker, der doch
besonders hervorgehoben werden sollte. Nun
aber kommt uns ein neuentdecktes Tafelbild des
Gekreuzigten mit den Seinen und einem Stifter
in weiter Landschaft zu Hülfe, das soeben in
«The Burlington Magazine» (Mai 1907, vol. XI,
No. L) veröffentlicht wird, und zwar mit dem
Anspruch, ein Konrad Witz zu sein. Ohne
Kenntnis des Originals, besonders auch der
farbigen Behandlung, ist kein entscheidendes
Urteil möglich. Die Abbildung reicht nicht
einmal aus, die Formensprache genau zu prü-
fen; sie versagt besonders im obern Teil, beim
Kopf Christi fast völlig. Aber die Haltung
dieses Kopfes hat viel Gemeinsames mit dem
Gekreuzigten der Biblia Pauperum, und ebenso
des Körpers am hölzernen Stamme. Links
die Frauengruppe, rechts Johannes allein, in
fast statuarischer Isolierung der Körper auf-
gereiht, der Lieblingsjünger doch gar zu schwach,