Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

DOI Artikel:
Wolf, Georg Jacob: Die Münchner Neue Sezession
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0434

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE MÜNCHNER NEUE SEZESSION

Die Münchner Xeue Sezession hat im Jahre 192g
ihr bisheriges Ausstellungsprogramm durchbro-
chen und damit bewiesen, daß sie nicht starr an
einem bestimmten System festhält, sondern sich
die schöne Beweglichkeit und Entschlußfreiheit
bewahrt, die man gerade von ihr als der jüngsten
und tatfreudigsten, nach Absicht und Meinung
ihrer Gründer elastischesten Münchner Künstler-
vereinigung erwarten darf. Ihre Frühlings-Aus-
stellung gehörte der Graphik, den Monumental-
Entwürfen ihrer Mitglieder und einer eindrucks-
vollen Manifestation, die sich an die bayerischen
und Münchner Kunstbehörden wandte und ihnen
den Verlust zu Gemüte führte, der durch die Ab-
wanderung von siebzehn Mitgliedern allein der
Münchner Neuen Sezession dem Münchner Kunst-
leben erwuchs. Man ließ nun auf eine kurze
Weile eine „Mostra individuale" Lovis Corinths
folgen: hundert Werke, die zwar keine klare und
geschlossene Entwicklungsübersicht gaben, aber
zwei markante Entwicklungsphasen des Meisters
eindrucksvoll gegenüberstellten: seine Münchner
Frühzeit mit ihrem wuchtigen, formal und kolo-
ristisch gebundenen, harten Gestalten und seine
Urfelder Spätzeit, die Jahre der Auflockerung, der
Lösung alles Gebundenen, ein grandioses Finale
eines gigantischen Werkes.

Die Sommerausstellung trägt demgegenüber das
hergebrachte Gesicht, es sei denn, man nehme
die in zwei Sälen gut angeordnete, aufschluß-
reiche Kollektiv-Ausstellung zu Ehren des sechzig-
jährigen Heinrich Brüne aus. Dieser Künstler
ist erst relativ spät zur Neuen Sezession gekommen,
aber er ist hier zweifellos am rechten Platze, denn
in seinem Schaffen ist lebendig und rege, was
den eigentlichen Geist der Neuen Sezession aus-
macht: nie zufrieden zu sein mit dem Erreichten,
zerbrechen, was „fertig" ist, stets von vorne wie-
der anzufangen. Leibis Handeln nach dem schö-
nen Wort: „Ich werde zu geschickt, ich muß von
neuem beginnen", wird in Brünes Schaffen zum
zweitenmal Ereignis. Uber ein Vierteljahrhundert
führt uns die Kollektion zurück; wir stehen in
den Zeiten des aufkommenden Naturalismus der
Münchner Spielart, im Zeichen Uhdes und der
Dachauer. Von da weg hat sich Brüne mit vielen
zeitgenössischen Problemen der Malerei ausein-
andergesetzt, immer persönlich, immer er selbst,
aber ein Rastloser, Unzufriedener, einer, der auch
mit sechzig Jahren noch kein sicheres Dach über
dem Kopfe haben will, sondern ruhelos wandert,
strebt und sucht.

Erinnere ich an die kürzlich in Ulm und Mün-
chen gezeigten Kollektivausstellungen des Künst-

lerpaares Karl Caspar und Maria Caspar-Filser,
so konnte man bei diesen Führern der Neuen
Sezession eine ähnliche Erscheinung ständiger
Unzufriedenheit mit sich selbst, ständigen Flusses
der Entwicklung, der das A und O aller Kunst-
übung ist, feststellen. Man darf sich nur nicht
beirren lassen, daß die Stoff- und Motive-Auswahl
dieser beiden etwas eintönig ist. Auch Unold ist
in eifriger Arbeit inneren Umbaus; er rückt ab
von aller Liebäugelei mit gewissen modischen
Strömungen und wird damit größer, ruhiger,
stiller. Bei Teutsch nehme ich einen ähnlichen
Kampf wahr: aus einer gern mitteilenden, oft
sogar breit erzählenden Art sucht er den Weg zu
strengerem Gestalten, zu einer packenden Form,
die zum Fresko hinweist. Troendle ist offenbar
zur Zeit ganz im Übergang begriffen, eine ge-
wisse Ratlosigkeit fällt mir auf. Ruhig und fest
steht das Y\ erk Schinnerers da: in der Erschei-
nungen Flucht ein ruhender Pol; ähnlich Gött,
der heimliche Romantiker, und Julius Heß, der
Kolorist von hohen Graden, dessen Bilder die
Gepflegtheit selbst sind. Schülein ist erstaunlich
vorwärtsgekommen, eine gewisse Vielseitigkeit
kennzeichnet die Serie seiner Werke, die eine
neue Blüte verheißen : es wäre ein schmerzlicher
Verlust, wenn er, wie man hört, gerade jetzt
München verließe. Auch W. Püttner, der sich
zusehends stärker auf Zeichnung und Kontur
einstellt, Lichtenberger, Kopp, Lauterburg, der
virtuose Meister der Keller- und Kartoffel-Still-
leben, Coester, Eberz, Schrimpf tragen als alte
und bewährte Bannerträger der Neuen Sezession
zu einem starken Gesamteindruck der Ausstel-
lung bei, an dem auch eine Anzahl illustrer
Gäste von auswärts (Hofer, Champion, Felix-
müller, Fritsch, Heckel, Honigberger, Pechstein,
Melzer,Purrmann u.a.) und einige jüngere Münch-
ner Kräfte Anteil haben. Was letztere anlangt,
so sind sie freilich in weit geringerer Zahl und
mit weit geringerer Eindruckskraft vertreten,
als man erwarten und wünschen sollte. Neben
Alois Seidl und Erich Glette, die allerdings beide
den Kennern schon länger durch ihre starken,
selbständigen Arbeiten auffielen, müssen beson-
ders die Bilder von Albert Burkart und Max Rauh
hervorgehoben werden.

Die Plastik ist diesmal spärlicher vertreten wie
sonst. Der Ausfall von Bleeker, Clauß, Knappe,
Scharff macht sich bemerkbar. Man muß sich
an die Arbeitergestalten des prächtig heranrei-
fenden Koelle, an Gerstels etwas bunte Kollektion
und an eine einprägsame Großplastik Malys
halten. Wolf

392
 
Annotationen