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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 17 (1. Juniheft 1910)
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Mangoldt, Karl von: Der Berliner Waldskandal
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0343
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Iahrg. 23 Erstes Iuniheft 1910 Heft >7

Dsr Berlmer Waldskandal

^^m Grunewald, im G'runewald ist Holzauktion, links um die Ecke
^^rum, rechts um die Ecke rum, überall und überall ist Holzauktion!"

, ^_)Dieses seinerzeit etwas verfrühte Lied kann der Berliner jetzt
mit Recht singen, denn in der Tat: rings um Berlin — wir sagen
in diesem Aufsatz kurzweg Berlin, meinen aber Groß-Berlin — in
den weiten Wäldern, auf privatem sowohl wie auf kommunalem und
fiskalischem Gelände, überall kracht die Axt. Kann man es den
Berlinern allein überlassen, wie sie mit diesem Zustande fertig wer»
den? Es handelt sich um das Wohl und Wehe von drei bis vier
Millionen Groß-Berliner Bevölkerung. Aber es handelt sich
nicht „nur" darum, es handelt sich auch um das Zentrum des
modernen Deutschlands, von dem, ob wir wollen oder nicht, tagaus
tagein die weitestgehenden Linflüsse auf das ganze Reich bis in
das letzte Dorf hinein ausstrahlen und dessen Kulturzustand daher
auch für ganz Deutschland von größter Wichtigkeit ist. Rm eine
Kulturfrage, und zwar um eine solche allerersten Ranges, geht
es hier.

Schon die einfachsten Rücksichten der Gesundheit erfordern, daß
der großstädtischen Bevölkerung — und zumal der Berliner in dem
nervenaufreibenden Treiben der Weltstadt — der Zusammenhang
mit der Natur nicht abgeschnitten wird. Dort draußen finden auch
SpielundSport.die immer mehr als unerläßlich erkannte Ergän-
zung des modernen städtischen Lebens zu harmonischer Kultur, bedeut-
same Förderung. Rnd wo soll in dem heimatlosen Mietkasernen-
meere von Berlin sich noch die Heimatliebe festranken, wenn nicht
an den stillen Zufluchtsstätten der märkischen Wald- und Wasser-
landschaft? Auch für den Schatz lebendigerAnschauung inder
großstädtischen Bevölkerung ist der Zusammenhang mit der Landschaft
unerläßlich. Oder sollen wir denn immer mehr dahin kommen, daß
diese Bevölkerung Bäume und Sträucher nur aus den städtischen
Parkanlagen, die Tiere und Gewächse des Waldes und des Feldes
nur abgebildet aus den Schulbüchern oder ausgestopft und getrocknet,
aus den Museen, Höchstens noch aus dem Zoologischen Garten kennt?
Schon jetzt besteht für Berlin die dringendste Gefahr, daß die Rich-
tung des ganzen Lebens dort immer überreizter, naturfremder, natur-
widriger wird. Es ist nicht auszudenken, welcher Schaden nicht nur
für Berlin, sondern für ganz Deutschland angerichtet wird, wenn
dort, von wo ein so gewaltiger Einfluß auf die ganze Nation aus-
strömt, diese Natur- und damit die Kulturwidrigkeit durch Abschlach-
tung der jetzt noch vorhandenen Natur immer mehr gefördert wird.
Die Natur: das ist aber für Berlin fast gleichbedeutend mit dem
Wald und den von diesem bekränzten See- und Flußflächen. Zudem
ist Berlin im Gegensatz zu London, Wien und vielen andern
großen Städten nur kümmerlich mit großen öffentlichen Parks und
Anlagen versehen. Gärten sind ein Luxus fast nur für die Aller-

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