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Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet: Hessen und Rheinhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,2: Berlin: Dt. Verl. für Kunstwiss., 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52864#0016

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EINFÜHRENDE HINWEISE UND ERLÄUTERUNGEN

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Die klassische Gliederungsform szenischer Glasmalereien ist das Medaillonfenster aus miteinander verbundenen oder
unverbundenen Kreisen, Rauten oder Paßformen {Vierpaß, Langpaß), die jeweils genau beschrieben und gegebenen-
falls in einer Typenübersicht zusammengestellt werden. Wenn diese Gliederungsformen über die Fensteruntertei-
lungen hinweggreifen, wird von Großmedaillonfenstern gesprochen.
Mit der Vergrößerung der Fensterflächen gewinnen die architektonischen und ornamentalen Elemente in den Fenster-
kompositionen derart an Bedeutung, daß man vielfach von Architektur- bzw. Ornamentfenstern sprechen kann. Die
architektonischen Rahmen- und Bekrönungsformen entwickeln dabei eine Eigengesetzlichkeit gegenüber der gebauten
Architektur, die ihre Beschreibung erschwert. Dennoch werden auch hier die dort gebräuchlichen Begriffe verwendet.
Unter Tabernakel wird daher eine von Säulen getragene, unter Baldachin eine auf Konsolen ruhende, vorn frei schwe-
bende, räumlich vorzustellende Bekrönung verstanden. Ist eine räumliche Interpretation nicht möglich, so wird die
Rahmenform als Arkade bezeichnet. In der Spätgotik kommt es zu einer Vermischung architektonischer und vegeta-
biler Formen, die unter dem Begriff Astwerk zusammengefaßt wird.
Gleiche Aufmerksamkeit gilt der Beschreibung und typenmäßigen Erfassung der Ornamentscheiben, einerlei ob sie
als Ornamentfenster eigenständige Fensterkompositionen bilden oder mit figürlichen Scheiben verbunden sind. An-
gesichts der bis in die Anfänge der Glasmalerei zurückweisenden Grisailleornamentik sind hier die entwicklungsge-
schichtlichen Zusammenhänge besonders vielschichtig.
Eine große Vielfalt zeigen auch die Hintergrundornamente. Die Palette der Muster reicht von streng geometrischen
Formen (Karos, Rauten, Kreise) über Mischformen (Kreuzblattkaros, Blütenrosetten) zu vegetabilen Rankenbildungen.
Im späten 15. Jahrhundert werden für Hintergründe und Gewänder Damastmuster bevorzugt. Bei ihrer Ausführung
nimmt der Glasmaler in der Spätzeit häufig Schablonen zu Hilfe. Die auf den Seiten izf. zusammengestellten Grund-
und Gewandmuster sollen einen entwicklungsgeschichtlichen Überblick über die in dem behandelten Scheibenbe-
stand vorkommenden Typenbildungen ermöglichen. Sie sind daher gruppenweise chronologisch geordnet und ent-
sprechend beschriftet. Ihre Zitation innerhalb des Gesamtwerkes wird durch die Beifügung der Bandnummer sowie
die jeweils auf einen Band beschränkte Zählung erleichtert (die im vorliegenden zweiten Teilband mit III, 19 einset-
zende Zählung geht davon aus, daß der erste Teilband t8 Ornamentmuster enthalten wird).
In der Farbkomposition hoch- und spätgotischer Glasfenster spielt die Farbverschränkung eine entscheidende Rolle.
Die Farben der Hintergründe und Architekturbekrönungen werden innerhalb eines Fensters oder Fensterpaares übers
Kreuz, d.h. rhythmisch gewechselt. In komplizierterer Form wird die Farbverschränkung auch innerhalb der Bild-
komposition eingesetzt, wobei zusätzlich noch eine Spaltung in warme und kalte Gegenfarbklänge erfolgen kann. Ist
die Farbkomposition klar erkennbar, so wird ihre Struktur beschrieben, d.h. die eigentlichen Farbträger werden nur
in Klammern genannt. Bei fragmentierten Beständen muß dagegen meist vom Bildgegenstand ausgegangen und auf-
zählend beschrieben werden. In Anbetracht der je nach Lichtverhältnissen wechselnden Farbigkeit wird auf eine zu
weitgehende Differenzierung der Farbbezeichnungen verzichtet.
Als Einführung in die Probleme mittelalterlicher Glasmalerei sind zwei neuere Werke zu empfehlen: Jean Lafond,
Le vitrail. Origines, technique, destinees, Paris 1966, H978 bzw. Lyon H988 (bearbeitet von Fran^oise Perrot)
und Eva Frode-Kraft, Die Glasmalerei. Entwicklung, Technik, Eigenart, Wien/München 1970. Folgende Werke
bieten zugleich einen Überblick über die deutschen Glasmalereibestände: Hermann Schmitz, Einführung, in: Die
Glasgemälde des Königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin I, Berlin 1913; Hans Wentzel, Meisterwerke der
Glasmalerei, Berlin 2i954, sowie Rüdiger Becksmann, Deutsche Glasmalerei des Mittelalters I: Voraussetzungen,
Entwicklungen, Zusammenhänge, Berlin 1995.
Zur Erhaltung mittelalterlicher Glasmalereien: Glasgemälde waren stets der Zerstörung durch Hagel, Sturm
und Steinwürfe ausgesetzt. Im Mittelalter wurden sie ständig gepflegt und ausgebessert, in nachmittelalterlicher Zeit
immer mehr vernachlässigt. Unermeßliches ging durch den Bildersturm, die Kriege des 17. Jahrhunderts, das Licht-
bedürfnis der Aufklärung und nicht zuletzt durch die Verschleuderung kirchlichen Kunstgutes im Zuge der Säkula-
risation zugrunde. Erst mit der romantischen Begeisterung für die Kunst des Mittelalters nahm man sich der Glas-
malerei wieder an. Grundlegende Restaurierungen folgten. Heute sind die Farbfenster jedoch überall dort, wo keine
Sicherungsmaßnahmen getroffen werden, unausweichlich vom Zerfall bedroht.
 
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