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Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet: Hessen und Rheinhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,2: Berlin: Dt. Verl. für Kunstwiss., 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52864#0034

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ERHALTENES UND VERLORENES - VERSUCH EINER ABWÄGUNG

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ratsfähigen Zünften stand seit den späten zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts die dritte Bank zu. In den Zunftauf-
ständen von 1355-1377 versuchten sie ihren Einfluß auszuweiten; als Dokumente des neuen Anspruchs und seltenes
Beispiel eines frühen profanen Zyklus sind zwei damals entstandene Zunftscheiben aus der Metzgerstube des
Schlachthauses (Abb. 93f.) erhalten geblieben. Durch die Niederschlagung des Zunftaufstands war das patrizische
Ratsregiment endgültig gefestigt. Für den beispiellosen Ausbau nahezu aller kirchlichen Gebäude im 15. Jahrhundert
waren denn auch in erster Linie die Patrizier verantwortlich. Von den im vorliegenden Band behandelten Bauten wur-
den die Liebfrauenkirche (1425, 1506/09), die Leonhardskirche (1430 bis 1520), das Karmeliterkloster (1431/43, gegen
1490), die Peterskirche (1446/56), die Barfüßerkirche (1451, 1510), das Heiliggeistspital (1460/70), Weißfrauen
(1468/71), der Chor der Dominikanerkirche (ab 1470) und die Bernhardskapelle im Hainaer Hof (1474/76) umgebaut
oder erweitert. Von allen diesen Kirchen und Klöstern hat jedoch einzig die im Mittelalter ohne Pfarrecht gebliebene
»Bürgerkirche« St. Leonhard Teile ihrer Verglasung bewahrt (s. S. 107-139).
Unabhängig von den wetterauischen Reichsstädten und den kleinen landesherrlichen Städten entwickelten sich im
Rheingau unter erzbischöflicher Förderung unabhängige Gemeinden, deren Eigenleben im 13. Jahrhundert bereits
recht weit fortgeschritten war. Sie führten eigene Siegel und Wappen und etablierten neben den örtlichen Haingerich-
ten zusammen mit dem Ortsadel das Generalhaingericht als oberste Verwaltungsbehörde26. Als Dokumente der
Rheingauer Selbstverwaltung und Bürgerfreiheit im späten 15. Jahrhundert seien deshalb zum Schluß die Wappen-
scheiben in Oestrich (Abb. 261E) sowie die Vierpaßscheibe aus Assmannshausen im Historischen Museum in Frank-
furt (Abb. 99) erwähnt.

Erhaltenes und Verlorenes - Versuch einer Abwägung

Bey allem Lermen der auf geklärten 'Zeiten herrscht doch immer noch eine gewisse Barharey in manchen Stücken unter
uns, zum Beispiel kan unter anderm das unglückliche Schicksahl der meisten gebrannten farbigen Glas-Scheiben die-
nen, wie viele, wie gar eine große Menge hat man dieser schönen Gläser die sonsten die meiste Zierden der Kirchen
warn, unter dem unbeträchtlichen Vorwand mehr Heilung zu erlangen in unseren Tagen daraus weggeschafft, ich sage
in unsern Tagen, da diese Kunst verloren ist, und man sich äusser Stand befindet, solche vortreffliche Arbeiten jemah-
len zu ersetzen, ich sage noch einmal in unsern Tagen, wo die Kirchen bey so verschiedenen Denckungs-Arten, ohnge-
achtet aller farbigen Gläser, wahrhaftig hell genug sind. Dies gab der Frankfurter Kunsthistoriker und Goethe-Freund
Heinrich Sebastian Hüsgen in seinen Nachrichten von Frankfurter Künstlern und Kunst-Sachen von 1780 im

Zusammenhang mit der lapidaren Erwähnung der Verglasung von
St. Leonhard zu bedenken. Er empörte sich über die rücksichtslose
Zerstörung der Glasmalerei, um deren Erhebung aus den Trüm-
mern sich bislang einzig der einsichtsvolle Engländer gekümmert
habe27. Sechzig Jahre später beklagte auch Wilhelm Füssli die
unverständige Flickerei und den schlimmen Ersatz von Glasgemäl-
den durch Fabrikgläser28.

26 Vgl. zusammenfassend Monsees, 1997, S. XV.
27 Vgl. Heinrich Sebastian Hüsgen, Nachrichten von Franckfurter
Künstlern und Kunst-Sachen, Frankfurt/Main 1780, S. 8, 287 (zu
St. Leonhard). Hüsgens Artistisches Magazin von 1790 wiederholt die
meisten Glasmalerei-Passagen im Wortlaut, auch die Erwähnungen bei
Daniel J. H. Faber, Topographische, politische und historische
Beschreibung der Reichs-, Wahl- und Handelsstadt Frankfurt am Mayn,
Frankfurt/Main I, 1788; II, 1789, gehen auf Hüsgen zurück.
28 Vgl. Wilhelm Füssli, Die wichtigsten Städte am Mittel- und Nieder-
rhein im deutschen Gebiet, Zürich/Winterthur 1843, S. 104. Zur allge-
meinen Einschätzung der Glasmalerei zwischen Aufklärung und
Romantik vgl. zusammenfassend Daniel Hess, in: Akademie-Journal
1/97, S. 2-6.


4. Sammelscheibe (Ausschnitt). Limburg,
Diözesanmuseum. Mittelrhein, um 1180/90.
 
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