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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 11.1866

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https://doi.org/10.11588/diglit.13558#0285

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271

dagegen umgekehrt ein großer Gedanke kleinlich, genrehaft aufgefaßt,
so kommt überhaupt gar kein Pathos zur Erscheinung, und die
Größe des Gedankens geht für die Anschauung völlig verloren.

Auf dem Gebiet der Geschichtsmalerei im engeren Sinne
des Worts ist es nun mit der Ausstellung nicht besonders bestellt.
Ein Bild im großen Styl, worin sich das historische Pathos mit
energischer Kraft und Würde offenbarte, ist überhaupt gar nicht vor-
handen, Geschichtsbilder mittleren Schlages können wir ebenfalls
nur wenige anführen, etwa A. v. Werner's „Luther vor Cajetan"
und Scholtz's „Die Freiwilligen vor ihrem Könige zu Breslau."
Die übrigen bis herab zu der neuen hausbackenen Ausgabe von
El. Oe nicke's Lutherbildern sind theils wie die trefflichen Werke
von Pauwels, Carl Becker u. A. historische Genrebilder, theils
fehlt ihnen Das, was wir oben als Haupterforderniß des Styls bezeich-
neten, das historische Pathos. — Nur aus einem Gebiete — das aber
nicht zur Historie gehört — nämlich auf dem Gebiete der Darstel-
lungen nach Dichtungen finden sich einige Leistungen, denen ein hi-
storisches Pathos und folglich eine gewisse Größe des Styls nicht
abgesprochen werden kann. Namentlich rechnen wir dahin von
Heckel's „König Lear flucht seiner Tochter Cordelia" und Teschen-
dorfs's „Julia, den Schlaftrunk nehmend." Diese werden später
besprochen werden.

Bleiben wir vorläufig bei der eigentlichen Geschichte. In dem
genannten Bilde A. von Wern er's ist mit Recht die Action als
eine wesentlich innerliche aufgefaßt. Nur in wenigen und fast bis
zur Ruhe gemäßigten Gesten koncentrirt sich das dennoch mit ziemlicher
Kraft in die Erscheinung tretende Pathos. Cajetan war bekanntlich
vom Pabste ausdrücklich mit der Mission betraut, den anfangs als
bloßen Querulanten unterschätzten, später aber unbequem werdenden
Wittenberger Mönch zur Umkehr und Widerruf zu bewegen. Das
Bild stellt nun einen solchen Bekehrungsversuch da. Da alle Gründe
und Versprechungen nichts fruchteten, indem Luther auf die ersteren
mit noch triftigeren Gegengründen, auf die zweiten mit Ablehnung
antwortete, so reißt dem heißblütigen Italiener endlich die Geduld.
Kurz abbrechend beruft er sich auf die Autorität der Kirche und stellt
an Luther das kategorische Verlangen des blinden Gehorsams und
der demüthigen Unterwerfung. Dieser Gedankengang spricht sich
deutlich in der dargestellten Situation aus. Der Kardinal, dem
Beschauer sein scharf geschnittenes Profil darbietend, sitzt, mit seiner
Amtskleidung angethan, auf einem Lehnstuhle, ihm gegenüber steht
Luther an der andern Seite des Tisches, worauf vor ihm die auf-
geschlagene Bibel liegt. Luther ist eine ernste, einfach gehaltene
Mönchsgestalt ohne jenen konventionellen Typus hausbackener Be-
häbigkeit, den er in den meisten Lutherbildern zu haben pflegt:
prägnant charakterisirt, ruhig, aber voll innerer Würde und
Kraft, eine wahrhaft poetische Gestalt, die sich sofort als Vertreter
einer bestimmten historischen Idee zu erkennen giebt. — Der
Kardinal streckt den Zeigefinger der linken Hand mit halb drohend
halb befehlend erhobenem Arme Luther entgegen; Luther antwortet,
indem er die Rechte bctheucrnd aus die Brust legt, während seine
Linke über der aufgeschlagenen Bibel mit gespreizten Fingern, als
wolle sie ihren ganzen Inhalt umfassen, schwebend ruht. In seinen
ausdrucksvollen Zügen lieft man die Worte: „Kannst du, was hier
geschrieben steht, umstoßen oder weglängnen, so verlange einen Wider-
ruf von mir: denn dies ist der Fels, auf dem mein Glaube ruht".

So viel über die Komposition, die, wie schon aus der Beschreibung
hervvrgeht, ebenso klar verständlich wie mit maaßvoller Kraft zur
Darstellung gebracht ist. Wenn wir etwas zu bemerken hätten, so wäre
es das Bedauern, daß der Künstler — wahrscheinlich aus nur äußerlichen
Gründen — seine Komposition in lokaler Beziehung nicht weiter ausge-

dehnt, nicht mehr Raum für die trefflich geschilderte Situation angewandt:
sie würde dadurch an dramatischer Wucht und äußerlich historischem
Pathos noch bedeutend gewonnen haben. Das Kolorit ist ein durch-
weg harmonisches, gediegenes, ernstes, wie es für das Motiv paßt:
keine Farbenvirtuosität und Pinselkunststücke, sondern bei aller Ge-
sundheit und realer Wahrheit der Lokalfarbe, bei aller Feinheit der
Tonabstufungen doch als Darstellungsmaterial nur dem Gedanken
dienend, darauf berechnet, die historische Idee zur vollsten und leben-
digen Anschauung zu bringen. — Wir freuen uns um so mehr, Herrn
v. Werner unfern tüchtigsten Historienmalern anreihen zu können,
als uns bisher noch kein Bild von ihm zu Gesicht gekommen war;
fügen wir übrigens noch hinzu, daß — wenn der Künstler aus der
neugegründeten karlsruher Kunstschule hervorgegangcn — mit diesem
Werke ein höchst bedeutender Beweis für die vortreffliche Leitung des-
selben (Lessing) geliefert ist.

lieber I. Scholtz's Gemälde „Die Freiwilligen vor ihrem
Könige zu Breslau" ist in diesen Blättern gelegentlich schon öfter
die Rede gewesen, eine eigentliche Beurtheilung hat dasselbe jedoch
von uns noch nicht erfahren. Der erste Eindruck, den dasselbe sei-
nem allgemeinen kompositionellen Charakter nach macht, ist ein sehr
gemischter, ja — um ganz offen zu sein — ein fast abstoßender. —
Man glaubt anfangs einem Bilde von Elsholz oder einem anderen
Künstler aus den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts gegenüber
zu stehen; es liegt etwas Barockes, Philisterhaftes in diesen breiten
Schirmmützen, hohen Stehkragen und langen Rockschößen, mit denen
die männlichen, in den hohen Schaufelhüten und kurzen Taillen, mit
denen die weiblichen Figuren angethan sind. Doch diese im Kostüm
liegende Geschmacklosigkeit gehört der Zeit, nicht dem Künstler an;
und wir haben sie absichtlich so schroff hervorgehoben, um mit um so
mehr Entschiedenheit dem ersteren die Anerkennung auszusprechen, daß
er trotz dieses für das historische Pathos so gefährlichen Exterieurs
— sobald man sich nur mit Hingebung in die Erinnerung an jene
Zeit und in seine Darstellung versenkt — den Gedanken der Be-
geisterung, welche die damalige Jugend und das ganze Volk beseelte,
in wahrhaft ergreifender Weise zur Erscheinung gebracht hat; in einer
Weise, welche jene unserm heutigen Modegeschmack — der übrigens
unfern Nachkommen vielleicht noch barocker erscheinen dürfte — wider-
strebenden Außenseiten des Kostüms durch ihre Naivetät fast rührend,
ja durch ihren Gegensatz zu dem Alle durchzuckenden Enthusiasmus
als ein neuhinzutretendes Moment der dramatischen Wirkung zur
Geltung bringt. Es ist wunderbar, wie nach längerem Betrachlen
diese Figuren lebendig werden und wahrhaft an die Anschauung
sprechen: jener dicke Bürger, der seine beiden fast mädchenhaften Söhne
in der grauen Jägerkleidung, die ihnen noch weit um die schlanken
Glieder schlottert, an der Hand dem Könige entgegenführt, jener Bru-
der Studio, der, noch im S.chnürrock, in die vorderste Reihe geeilt
ist, um dem Vater Blücher ein Hurrah zuzurufen und seinen Arm
ihn: anzubieten, dieser junge Gatte, der sich von seiner jungen Frau
losreißt, indem er noch eine letzte Umarmung austauscht — das
ganze Volk, Jung und Alt, Beamte und Straßenjungen: Alles ist
von einem Zuge getrieben, von dem Zuge nach dem Mittelpunkte
des Bildes, wo Friedrich Wilhelm llk. auf seinem Pferde hält, neben
ihm der alte Blücher, der in das Hurrahrufen der Menge begeistert
mit einstimmt. — Der Hauptvorzng des Bildes liegt in seiner cha-
raktervollen Weise der Auffassung und Darstellung; was das Kolorit
betrifft, so ist es nicht unharmonisch, aber vielleicht ein wenig tonlos;
es fehlt ihm an wirksamen Massenkontrasten, auch wohl an kräftiger
Lokalisirung der Farbe: aber sonst zeigt die technische Behandlung
eine große Solidität und höchst anerkcnnenswerthe Gewissenhaftigkeit
in der Detailausführung. (Forts, folgt.)

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