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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 11.1866

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https://doi.org/10.11588/diglit.13558#0348

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334

Kunstkritik.

Die rrkilöeinMe Kunst-Aufstellung in Herlin. (Forts.)

II. genre. (Forts.)

Sociales- und Volks-Genre — Naives und humoristi-
sches Genre — Landschaftliches Genre.

n dem Socialen Genre, aus dem wir bereits mehre
hervorragende Werke anführten, sind noch einzelne inter-
essante Bilder zu erwähnen, unter denen R ud. Jor-
dan's „Altmänner-Haus an der holländischen Küste"
einen hohen Rang einnimmt. Dieses „Altmänner-Haus"
ist eine Art Hospital für invalide oder ausgediente
Matrosen. An einem langen Tisch sitzen einige alte wettergebräunte
Burschen mit weißen Haaren, mit Lesen und Unterhaltung beschäf-
tigt, während im Mittelgründe ein Anderer mit dem Auftakeln eines
kleinen Schiffes beschäftigt ist und noch weiter zurück Mehrere sich
die Zeit mit Kartenspielen vertreiben. Da öffnet sich die Thüre und
hereintritt eine Prozession kleiner Gäste, die Enkel eines der alten
Schiffer, welche ihrem alten Großvater, deffen Geburtstag heute ist,
zu beglückwünschen kommen. Die noch jugendliche Mutter, wohl die
Tochter des Alten, ist dabei; sie hat-den ganzen Schwarm vom
Lande mitgebracht, und jedes naht mit kleinen Geschenken, das jüngste
mit einem Kanarienvogel in seinem Bauer. Gerührt erhebt sich der
Alte und begrüßt seine Lieben. Dies Alles ist mit so reizender
Naivetät und mit solchem Reichthum an einzelnen liebenswürdigen
Zügen zur Darstellung gebracht, daß man sich gern in die Betrach-
tung versenkt. Auch die Farbe ist frisch und kräftig, so daß das
Bild auch nach dieser Seite hin einen sehr anziehenden Eindruck
macht. — Eine andere Volksidylle schildert G. Spangenberg in
seinem „Försterhause". Der alte Förster, eine-prägnante, charakte-
ristische Figur, ist, müde von dem langen Umherwandern im Walde,
am Abendtisch eingenickt. Tie beiden Töchter, welche emsig bei der
Lampe arbeiten, blicken mit liebender Ehrfurcht auf das graue Haupt
ihres Vaters und flüstern nur leise, um ihn nicht zu wecken: eine
echt menschliche, gerade durch ihre einfache Wahrheit fesselnde Scene,
die auch vortrefflich gemalt ist; namentlich ist die Lampenbeleuchtung
meisterhaft in der Wirkung wiedergegeben.

Einen humoristischen Eindruck macht das vortrefflich charakteri-
sirte und gemalte Bild von Plathner, welches unter dem Titel
„Die Politiker" zwei Bauern darstellt, denen ein beamtenartig aus-
sehender Städter, vielleicht der Steuereinnehmer, aus der Zeitung
die Tagesereignisse in der Residenz erläutert. Das maaßlose Er-
staunen der beiden Dorfbewohner über die Weisheit des „Herrn aus
der Stadt" ist mit ausgezeichneter Wahrheit geschildert, überhaupt
das ganze Bild auch in technischer Beziehung durchaus eine aner-
kennenswerthe Leistung. — Eine andere politische Verhandlung, auf
welche sich die Landbewohner ebenso gut, wenn nicht besser ver-
stehen als die Städter, führt uns Sondermann in seinem „Ehe-
kontrakt" vor. Die beiden Väter des dabei stehenden, unruhig sein
Schicksal erwartenden Liebespaares, sind in eifrigster Unterhandlung
über einige wichtige Punkte des Abkommens. Die Mütter sitzen
stramm dabei, sie'haben auch ihre Meinung, aber sie halten sie re-
spektvoll zurück. Die Physiognomien sind verständlich individualisirt;
leider thut die etwas stumpfe und schwere Farbe, an der der Künstler
von jeher laborirt hat, dem Eindruck etwas Abbruch, so daß es we-
niger anspricht als es seinem sonstigen Gehalt nach verdient.

. Diese Gemälde bilden gewissermaaßen den Uebergang zum
naiven Genre, welches in seiner ernsteren Richtung, besonders

durch Böser, Meyer v. Bremen, Bürde, Franz Meyerheim,
in seiner heiteren durch Nordenberg, v. Michael, in seiner aus-
gesprochen humoristischen durch Jernberg, Albert Kretschmer,
Hosemann und etwa de Loose vertreten ist. — Böser hat die
Ausstellung mit mehreren seiner sauberen Landkinder beschickt, von
denen namentlich die „Wendischen Mädchen in der Kirche" einen
liebenswürdigen Eindruck machen. Wenn wir eine Bemerkung zu
machen hätten, so wäre es die, daß der Künstler hin und wieder
die Augen allzu groß zeichnet, namentlich ist uns dies in seinem
sonst allerliebsten Bilde „Nachrechnung" ausgefallen. — Bon Meyer
v. Bremen ist namentlich das zarten und harmonisch durchgeführte
Bild „Die Wöchnerin" als ein sehr gelungenes Werk zu bezeichnen,
während „Die Mittagsruhe" mehr die konventionelle Glätte seiner
früheren Arbeiten zeigt. — Bürde's „Mutter mit ihren Kindern"
und Franz Meyerheim's „Mutter an der Wiege" behandeln
ähnliche Motive; sie sind, wenn auch in einer den Künstlerindivi-
dualitäten entsprechenden Verschiedenheit der Auffassung, doch mit
gleicher Sorgfalt hehandelt. — Nordenberg schildert eine ergötz-
liche Scene „In der Mühle," wo einige junge Mädchen sich wägen
lassen, um ihre Solidität festzustellen. Die schwerste erhält als
Preis einen Mann von Pfefferkuchen, die zu leicht befundene scheint
jedoch durch einen lebendigen Mann getröstet werden zu sollen. Die
Scene ist drastisch genug geschildert, vielleicht etwas zu umfangreich
für das naive Motiv; die Behandlung zeigt einen übergesunden Rea-
lismus, wie er für diese Richtung allerdings passend erscheint. — Das
„Quartett" von A. v. Werner, welches, wie es scheint, den Künstler
selbst mit einigen Freunden in seinem Atelier zeigt, ist vielleicht für
ein Genrebild etwas zu portraitmäßig behandelt, aber lebendig in
der Darstellung und vortrefflich gemalt. — Michael, der sich sonst
den Kleinmalern anschloß, hat zwar diesmal auch mehrere kleine
Bilder ausgestellt, aber die für solche Darstellungen nöthige naive
Pointe vermissen lassen. Seine „Briefschrciberin" ist noch das in-
haltvollste, aber das „Eingeschlafene Mädchen" und das „Mädchen,
einen Blumenstrauß bindend" sind, abgesehen von der unschönen.
Stellung der Füße im letzteren, doch gar zu leer. Selbst die ziem-
lich skizzenhafte Behandlung entschädigt nicht für diesen Mangel.

Eine drollige und meisterhaft zur Darstellung gebrachte Situation
schildert A. Kretschmer in seinem „Wochenbett" (im Katalog
nicht notirt), welches eine Katzenmutter in der Bibliothek eines Ge-
lehrten und zwar gerade in einer seiner lockenreichen Perrücken auf-
geschlagen hat. Eben zieht der alte Herr die Gardine zurück und
sieht erstaunt die Bescheerung. Erzürnt ob dieser Profanation wendet
er sich an das junge Stubenmädchen, welches eben mit Reinmachen
beschäftigt ist und mit lächelndem Erstaunen ans das Phänomen
blickt. Voll feiner treffender Züge im Einzelnen, macht das Bild-
chen einen überaus komischen Eindruck und verbindet damit eine
tüchtige Technik, so daß es auch den Kenner befriedigt. — Ein son-
derbarer Künstler ist Jernberg. Seine Farbe ist fast ungesund,
jedenfalls unrein zu nennen, und doch kann man seinen Bildern
nicht ein bedeutendes, koloristisches Verdienst absprechen; ebenso sind
seine Kompositionen fast abstrus zu nennen, und doch wirken sie mit
unwiderstehlicher Komik. So dieser „Klarinettist" mit seiner aufge-
klappten Schirmmütze, welcher unverdrossen und ungestört durch das
schreiende Kind in der Wiege drauf losbläs't; so dieser alte Bauer,
dem seine Thonpfeife aus dem Munde gefallen und der nun niit
gebeugtem, ganz durch den großen Hut verdeckten Kopf die Scherben
am Boden betrachtet, so auch die „Briefschreibcrin," in welcher ein
 
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