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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 11.1866

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https://doi.org/10.11588/diglit.13558#0381

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einen gut gemeinten, aber den Künstler in seiner Eigenthümlich-
kcit durchaus nicht charakterisirenden Panegyrikus widmet, schil-
dert Gavarni in der ersten Zeit seiner Künstlerlaufbahn als
einen hübschen, blonden, wohlfrisirten Elegant von stets un-
tadelhafter Toilette, der mehr das Aussehn eines Dandy als
eines Künstlers hatte. Aber in dieser eleganten Hülle steckte
eine schöpferische Erfindungskraft und eine rastlose Arbeitsenergie
die in der Zahl und Mannigfaltigkeit der Productionen viel-
leicht nur von der Gustav Dore's übertroffen wurde, wel-
cher, obschon noch ein junger Mann, seine Holzschnittzeichnun-
gen bereits nach hunderttausenden zählt.

Was die Richtung der Kompositionen Gavarni's be-
trifft, so giebt schon die Wahl seiner Stoffe darüber eine Auf-
klärung: es sind Scenen aus dem niederen Volksleben von
Paris, Grisetten, mauvais sujets aller Gattungen und aus
allen Klassen, die Tollheiten der Maskenbälle, das Raffinement
der modernen demoralisirten Gesellschaft, umkleidet von eleganter
Blasirtheit und frivoler Liebenswürdigkeit u. s. w. Alles Dies
hat Gavarni bis in's kleinste Detail hinein gründlich studirt
und weiß es mit ungemeiner Wahrheit, besonders in einzelnen
scheinbar unbedeutenden Zügen, die einem gewöhnlichen Beob-
achter ganz entgehen würden, die man aber mit einer oft an
Bewunderung seines Beobachtungstalent grenzenden Befriedigung
wiederfindet, in naiv-drastischer Weise wiederzugeben. Die Lieder-
lichkeit des bürgerlichen Bonvivant mit seinem unverwüstlichen
kosmopolitischen Humor, die raillerie des eleganten Wüstlings,
die witzige Unverschämtheit des pariser Gamins, die decente
Zweideutigkeit der Pariser Loretten und lionnes, die Jntriguen
der Frauen hinter dem Rücken ihrer Männer, die stupide Bon-
hommie der letzteren u. s. w.: — das sind die Themata, welche
Givarni's Griffel mit einer Freiheit und Leichtigkeit behandelt,
die bei ihm zu einer ganz bestimmten Manier geworden ist.

Gavarni ist als Künstler durch und durch Franzose, und
zwar Pariser, in den Gegenständen wie in der Auffassung und
Manier seiner Darstellung. In einer gewissen Sphäre des
sathrischen Humors kommt er Grandville (um hier
die oben angedeutete Parallele einzufügen) an Kraft wie an
frappanter Wahrheit ziemlich gleich, aber — und dies reißt
eine Kluft zwischen beiden auf — er besitzt weder dessen ge-
dankenvolle Tiefe noch sein ernstes, edles Streben. Beide sind
Originale im strengsten Sinne des Worts, wie — um noch
einen dritten verwandten Künstler, ebenfalls einen fruchtbaren
und geistreichen Illustrator, zur Vergleichung heranzuziehen —
auch Adolph Menzel durchaus original ist. Wenn aber bei
Menzel die Originalität zunächst in einer kapriciösen Schranken-
losigkeit der Manier, sodann in einer zwar prägnanten, aber
doch stets subjektiv gefärbten Jndividualisirung des dargestellten
Objekts beruht, so basirt sie bei Grandville auf einem stets in
die Tiefe gehenden phantasievollen Gedankenreichthum. Was
Gavarni betrifft, so wird von ihm sogleich die Rede sein. Vor-
erst noch einige Worte über Grandville. Er verhält sich zu
dem konventionellen Leben der sittlich verkommenen modernen
Gesellschaft allerdings satyrisch, aber nur aus einem tiefen
idealen Bedürfniß. Seine Satyre ist somit ebenso als ein
umgekehrtes Jdealisiren, wie seine Jdealisirung als eine indirekte
Satyre zu betrachten. Die Form aber, in welcher beide Seiten

bei ihm zusammenfallen, erscheint als die der Po etischen Me-
tamorphose. In dieser Metamorphose liegt das Räthsel, wie
so viel liebliche Sinnigkeit mit so haarscharfer Satyre, solche
Tiefe der Naturanschauung, solche duftige Empfindungszartheit
mit so energischer Kraft der Phantasie, deren groteske Schöpfungen
uns oft mitten in die geisterhaften Gebilde einer dunkeln und
unbekannten Welt versetzen, verbunden sein kann. Denn ob
Grandville die Thorheit und Krankhaftigkeit der Gesellschaft, die
Eitelkeit und Lasterhaftigkeit der Menschen mit einem Zuge seiner
genialen Feder in wirkliche Fratzen verwandelt, welche jedoch
durch alle karrikaturartige Metamorphose hindurch die frappanten
Züge ihrer Originale tragen, oder ob er die unschuldigen Kinder
der Natur aus bewußtlosen Produkten der Vegetation in eine
Welt voll poetischer Gestalten metamorphosirt, in deren mensch-
lichen Zügen das dämmernde Blumengefühl, das Sehnen und
Lieben und Fürchten der träumenden Pflanzenseele zu einem
scheinbaren Selbstbewußtsein verklärt wird: immer ist es die
poetische Metamorphose, welche die Quelle dieser sathrischen
oder idealisirenden Phantasien bildet. Man vergleiche z. B.
seine zuweilen in's Ungeheuerliche hinüberschweifenden Kompo-
sitionen in dem „Maskenball" und dem „Reich der Marionetten",
in „Eine andere Welt von Plinius dem Jüngsten" u. s. f. mit
seinen „Belebten Blumen", und man wird das eben Gesagte
bestätigt finden.

Dies ideale Bedürfniß Grandville's ist nun Gavarni
durchaus fremd. Ihm ist es keineswegs um den ernsten Fond
zu thun, der bei jedem wahren Humor den latenten Inhalt
und — wenn man den Ausdruck nicht mißversteht — die
„Moral" desselben bildet, sondern einzig und allein um die
witzige Pointe darin. Er ist, und zwar nicht nur im höchsten
Maaße sondern ausschließlich, voller esprit — ein Ausdruck,
der im Deutschen weder durch „Witz", noch durch „Geist" rich-
tig wiedergegeben wird — und verhält sich zwar ebenfalls sa-
tyrisch gegen die Lächerlichkeiten und Thorheiten der Gesellschaft,
deren sociale Widersprüche er mit scheinbarer Unbefangenheit
an den Pranger stellt; aber er thut dies nicht aus einer Hin-
neigung zur Wahrheit der idealen Welt, sondern mit einem ge-
wissen Behagen und weil er an der Sache Vergnügen findet.

Die aus dem pariser Leben herausgegrissenen Figuren,
welche Gavarni's Griffel dem französischen Publikum mit einer
Freiheit und Leichtigkeit vorführt, welche bei ihm zu einer ganz
besonderen Manier geworden ist, sind von einer so konkreten
Lebendigkeit, von einer so schlagenden Wahrheit, daß sie zu
festen „Typen" geworden sind, welche nun — nachdem sie
künstlerisch geschaffen und dadurch mit dem Schein eines höheren
Interesses umkleidet waren — von dem Leben selbst kopirt
wurden. Die Kinder selbst strebten jetzt danach, „terribles“
zu erscheinen, um ihren „esprit“ bewundern zu lassen. — Da-
durch hat Gavarni einen nach gewisser Seite hin sehr bedenk-
lichen Einfluß auf den französischen Geist seiner Zeit ausgeübt,
der — man kann es nicht verhehlen — als das gerade Gegen-
theil von dem Einfluß Grandvilles zu bezeichnen ist. Bedenk-
lich, ja geradezu entsittlichend, in der gefährlichsten (weil an-
muthigsten) Bedeutung des Worts, mußte dieser Einfluß dadurch
werden, daß er doch wesentlich in der Selbstbespiegelung des
eleganten Lasters bestand, welches sich durch diese, wenn auch
 
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