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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 14.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.13561#0185

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171

Geistreiches Wesen ist doch eine gar schöne Sache; damit
kann man die größten Plattheiten, ja geradezu Albernheiten Vor-
bringen, ohne daß sie verletzen — im Gegentheil. — Also Der
hätte für den „traurigsten aller Stümper gegolten, der den Künsten
ihre Gesetze aus der Armuth puristischer Einseitigkeit hätte
schreiben wollen." Wenn aber dieses harte Wort auf irgend
Jemand paßt, so ist es der göttliche Plato, der Zeitgenosse
des Perikles und Phidias; denn wenn irgend Jemand ein Purist
im Sinne des Herrn Gervinus war, so war es eben dieser
Philosoph, der die Kunst überhaupt nur soweit als berechtigt
gelten lassen wollte, als sie für die Erziehung der Jugend und
die Sittlichkeit der Bürger dienstbar gemacht werden konnte,
und der bekanntlich alle andrer Künste und Künstler, nament-
lich aber die dramatischen Dichter, weil sie nur Lügen
vorbrächten und das Volk durch Erregung der Leidenschaft ver-
dürben, aus seinem Jdealstaate verbannt wissen wollte. — Wenn
es trotzdem seine Richtigkeit hat, daß in der antiken Welt über-
haupt eine künstlerische Totalität des Lebens waltete, die dem
modernen Leben fremd ist, so darf andrerseits nicht unerwähnt
bleiben, daß dieses Bedüfniß nach künstlerischem Zusammenwir-
ken auch wieder in manche Mißbräuchlichkeiten verfiel, wie sie
sich z. B. in dem Bemalen der Statuen kund gaben. Wahr-
scheinlich aber betrachtet Herr Gervinus solche bemalte Statue
durch ihre „zusammengeschossenen Schönheiten" gerade als die
„höhere Einheit" von Skulptur und Malerei.

Kehren wir nach dieser Abschweifung zu seiner Ansicht
über die Analogie von Musik und Malerei zurück. In
dieser Beziehung sagt er:

„Beide so weit auseinanderliegenden Künste berühren sich,
weit über die mechanischen Vergleichungspunkte der Far-
ben- und Stimmtöne, der Aether- und Luftschwingungen
hinaus, auf eine innerlichste Weise an der Stelle, wo sich
die unbewegte Kunst der Malerei die geistigsten, be-
lebtesten, die in der That noch flüchtiger als die Töne vor-
überrauschenden Momente plastischer Bewegungen zu
Gegenständen der Nachahmung wählt, das Spiel der Mie-
nen und Geberden. Wie die Töne der Stimme eine
hörbare natürliche Laut spräche, so bilden die Mienen des
Blickes und die Bewegungen der Körperglieder eine stumme,
nur sichtbare Zeichensprache, die . . . — was man nicht
gleich denkt — in dieselben Schranken der Ausdrucks-
fähigkeit gebannt ist wie die der Töne: in den Ausdruck
von Gefühlen nämlich, in welchem ihre, in der Erscheinung
so verschiedene Ausdrucksweise in Zeichen die Ausdrucksweise
der Stimme in Lauten nach Sinn und Meinung wesentlich
deckt, ergänzt und verdeutlicht."

In der That, daß die Malerei — doch nein, es ist ja
von der Mimik die Rede, freilich aber so, als sei diese der
eigentliche Inhalt der Malerei und eigentlich ganz dasselbe —
in dieselben Schranken der Ausdrucksfähigkeit gebannt
sei, wie die Musik, ist etwas ganz Neues, das man nicht nur
„nicht gleich", sondern, wenn man verständig ist und seine fünf
Sinne beisammen hat, überhaupt gar nicht „denkt". Selbst
wenn, was nicht wahr ist, das Wesen der Malerei in der Dar-
stellung des mimischen Ausdrucks bestände, so sind doch die

Schranken der Ausdrucksfähigkeit dieser Darstellungsweise von
denen der Musik als Tonsprache nicht nur dem Grade nach
verschieden, sondern sie sind ganz anderer Art; dem Grade
nach, weil die Musik nur ganz allgemeine Stimmungen des
Gefühls, z. B. Leidenschaft, Heiterkeit, Schmerz, Sehnsucht u. s. f.,
nicht aber besondere Gefühle, wie Haß, Zorn, Liebe, am aller-
wenigsten aber eine bestimmte, individuelle, Art von Liebe, Haß,
Zorn auszudrücken vermag, während die Malerei, auch in ihrem
mimischen Element, gerade das aller-Jndividuellste, nämlich be-
stimmte Personen in ganz bestimmten Situationen und Hand-
lungen und in den durch dieselbe hervorgerufenen oder sie her-
vorrufenden konkreten Empfindungen zur Darstellung bringt; der
Art nach, weil die malerische Mimik oder richtiger die mimische
Malerei nur in einem Moment alle Theile, Ursachen und Wir-
kungen, der Situation oder Handlung beisammen und neben-
einander darstellt, während die Musik diese Theile als Ueber-
gänge der einen Empfindung in die andere nacheinander in die
Erscheinung treten läßt. — Was also bedeutet die Phrase, daß
beide „in dieselben Schranken der Ausdrucksfähigkeit ge-
bannt" seien? —

Was die darauf folgenden Worte betrifft, so gestehen wir
unsre Unfähigkeit, sie zu deuten: denn unmöglich kann wohl
Herr Gervinus gemeint haben, daß die Analogie von Malerei
und Musik, d. h. die Gleichheit ihrer Begrenzung rücksichtlich
der Ausdrucksfähigkeit darin bestehe, daß sie, als einander ent-
gegengesetzt, sich ergänzen, oder mit andern Worten: daß ihre
Aehnlichkeit eben in ihrer Verschiedenheit beruhe. Einen
andern Sinn aber haben wir in den Worten nicht finden können.
Denn Unsinn wäre, wenn nicht jenes schon, so doch jedenfalls
Dies, daß Malerei und Musik — etwa wie Plastik und Archi-
tektur, im Sinne des Hrn. Gervinus — erst in ihrer Zusam-
menwirkung als reale Einheit, oder, um seine geistreichen
Worte zu wiederholen, durch ihre „zusammengeschossenen
Schönheiten" zu voller und wahrhaft künstlerischer Aus-
drucksfähigkeit gelangen!

Sieht man nun aber genauer zu, was Herr Gervinus
eigentlich mit der „Zeichensprache" und dem „Mienenspiel"
in der Malerei will, so ergiebt sich deutlich genug, daß er eigent-
lich gar nicht an Malerei denkt, sondern ihm dabei vielleicht
die Mimik in dem Wechsel ihrer ausdrucksvollen Geberdung
vorschwebt, also an ein Moment der Bewegung, das z. B.
der Rpthmus des Charakter-Tanzes (wie er noch in den
Ueberbleibseln der Nationaltänze, namentlich bei den südlichen
Völkern, erhalten ist; au die Tanz-Barbarei des modernen
Ballets darf man dabei freilich ebenso wenig denken, wie bei
dem Worte „Musik" an die Cancaniaden ä la Offenbach) mit
der Musik gemein hat. In der That spricht er im Weiteren
nun auch ganz unbefangen von der Mimik, als einer nicht
nur von den redenden Künsten, sondern auch von der Plastik
und Malerei gänzlich verschiedenen Kunstgattung, versucht
aber dann, da er sich doch schließlich erinnern mag, daß er dem
Leser nicht eine Vergleichung der Musik mit der Mimik, son-
dern mit der Malerei versprochen habe, vermittelst einer
wahrhaft halsbrechenden Schwenkung wieder nach dieser Rich-
tung hin einzulenken. (Forts, folgt.)
 
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