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verschwindet und bei vollständiger äußerlicher Freiheit ein innerer
Trieb geweckt wird, meinetwegen durch künstliche Mittel wie
monatliche Ausstellungen aller Arbeiten und Preisvertheilungen.
Und endlich müßten als Lehrer solche Professoren berufen wer-
den, die den Bedürfnissen der Schüler und ihrer Richtung in
würdiger Weise entsprechen.
Vor Allem aber muß mit dem Kultus der akademischen
Tadellosigkeit gebrochen werden, welcher auf dem geistlosen Prinzip
beruht, daß ein Kunstwerk zur Vollkommenheit „hinaufkorrigirt"
werden könne; einem Princip, das auch von der planlosen An-
häufung lobender und tadelnder Bemerkungen, im besten Fall
durch geistreiche Aperyu's schmackhaft gemacht, befördert wird,
durch welches das Publikum so unendlich zartfühlend geworden
ist, daß es keinen ganzen Kerl mehr vertragen kann. — Diese
Tyrannei des künstlerischen Orthodoxismus benimmt jeder selbst-
ständigen Individualität die Wucht der Schöpferkraft, und es
sind gerade die strebsameren Künstler, die den altbetretenen Weg
verlassen wollen, am meisten der Gefahr ausgesetzt, bei jedem
Pinselstrich vorsichtig zu prüfen, welcher unter den vielen mög-
lichen der einzig nicht falsche ist: — so büßen sie ein gut Theil
künstlerischen Schwung ein.
Unwillkürlich denkt man hier an unsere Technik, die ein
nicht abzulösender Theil des allumfassenden Styls ist. Wir
fragen uns, wo haben die alten Meister diese hinreißende Be-
redsamkeit des Pinsels her, diese Keckheit des Vortrags, welchen
nachzuahmeu Keinem glücken will; woraus schöpften sie diese im-
ponirende Zuversicht, die selbst Unrichtigkeiten dem Bereich des
Tadels entrückt, jene geniale Ungenirtheit, die oft große Bild-
flächcn total vernachlässigt, ohne das Ganze zu stören? Und doch
ist ihnen dabei Nichts fremder als Koketterie; Nichts sieht so
aus, als wenn es nur durchaus schön gemalt sein sollte, und
ist's doch. Diese famosen Figuren, von oben bis unten in einem
Zuge hingeschriebeu, wie man sie bei Velasquez, Rubens, Tizian
u. A. sieht, hätten sie beim heutigen Korrektheitsschwindel ge-
deihen können? Kommt es nicht daher, weil diese Meister gleich
von Anfang an die Natur in ihrer Anwendung kennen lernten
und studirten? Ihre Lehrer brachten sie in der Werkstatt zur
Ausführung von schlecht bezahlten Bildern, bis sie endlich selbst-
ständig arbeiteten. So haben sie es von Hause aus gelernt,
die Natur ihrer Kunst dienstbar zu machen, und konnten sie da-
daher wirklich beherrschen. Dieser Bildungsgang ist heute nicht
mehr praktisch durchzuführen, aber ersetzt muß der verlorene
Vortheil werden, indem der Künstler beim Schaffen das Ziel
des Ganzen nie über die einzelnen Partien aus dem Auge läßt.
Eine große Versuchung, auf Abwege zu gerathen, ist dem
Künstler durch die Ausstellungen geschaffen. Erzeugt durch die
Gier, im großen Gewirr der Bilder den Blick des übersättigten
Beschauers auf das eigene Bild zu ziehen, verfällt der Künstler
immer auf einen neuen launischen Einfall, um durch das Frap-
pante zu fesseln und durch Absonderlichkeiten Aufsehen zu erregen.
Als eine der schlimmsten, weil die Wahrheit nachäsfenden
Richtungen, welche durch solch' unkünstlerisches Jagen nach Effekt
hervorgerufen ist, erscheint das Streben nach jener falschen Ein-
fachheit, die nicht in einem großen Wurf, sondern in großer
Leerheit besteht. In dem bunten Tohuwabohu der großen
Bilder-Ausstellungen freut das Auge sich, wenn es endlich auf
einer ruhigen Fläche sich erholen kann, und findet daher, durch
den Kontrast getäuscht, ein Behagen an großen Flächen, die —
z. B. wenn es Landschaften sind — weiter nichts als Luft und
ftaches Weideland mit etwa einer Gruppe von zwei oder drei
Bäumen darstellen. Werden solche Bilder aber auf die ruhige
Wand eines Privatzimmers gebracht, dann kommt ihre Dürftig-
keit und Jnhaltsleerheit zum Vorschein, und der „glückliche"
Besitzer ist erstaunt darüber, daß er daran hat Geschmack finden
können.
Die Natur in ihrer Wahrheit — und diese Wahrheit ist
Verbindung von Reichthum und Einfachheit — zu studiren und
wiederzugeben, wird nur die Aufgabe des echten Styls bleiben.
G.
Korrespondenzen.
1 trnftburg, im März. (Die neu projektirte Kunst-
und Gewerbeschule.) Der im vorigen Jahr hierorts
ausgebrochene Konflikt in Betreff der neu zu begründen-
den Kunst- und Gewerbeschule scheint nunmehr einen
allseitig befriedigenden Abschluß finden zu sollen. Da
vermuthlich Ihren Lesern jene Vorfälle nicht bekannt
geworden oder bereits in Vergessenheit gerathen sind, so will ich
hier in Kürze daran erinnern. Von einigen deutschen Professoren,
darunter dem Kunsthistoriker A. Springer, war die Gründung
einer „Kunst- und Gewerbeschule in Straßburg" angeregt und zur
Berathnng der Sache eine öffentliche Versammlung im Stadthause
anberaumt worden, in welcher Prof. Springer seinen Plan be-
gründete und auf die Nothwendigkeit solcher Schule für die schnell
aufblühende Stadt aufmerksam machte. Vorher war von Seiten
der zuständigen Behörden dem städtischen Schul-Deputirten, Adjunct
Goguel, der ganze Entwurf nebst Motiven ausführlich mitgetheilt
worden, so daß derselbe in die nachfolgende Diskussion vorbereitet
eintreten konnte und seine Ansicht über das Projekt, nachdem er sic
wegen Mangels an genügender Kenntniß der deutschen Sprache zu
Papier gebracht, ablas. Indem er den Principien des Professor
Springer dankend zustimmte, führte er doch der Hauptsache nach
aus, daß die bereits bestehende Zeichnenschule mit geringem Kosten-
aufwande allmälig und dem Bedürfniß der Stadt entsprechend durch
Hinzufügung bewährter und tüchtiger Lehrelemente der neuen Uni-
versität in ein solches Institut umgewaudelt werden könnte; ein
Projekt, das jedem Einsichtsvollen durchaus plausibel erscheinen
mußte. Gestützt auf eine vielgeprüfte Thätigkeit und lange Er-
fahrungen im Schulwesen Straßburgs, glaubte Adjunct Goguel die
Wahl des Platzes, die hauptsächlich Festung und Handelsstadt sei,
für die neu zu errichtende Schule nicht für genügend halten zu
dürfen; er bezweifelte in seinem längeren, durchaus objektiven Bor-
trage ferner, daß sich für die Dauer die mannigfachen Elcniente für
die Bevölkerung der kostspieligen Schule finden werden, und schlug
Mühlhausen als Industrie-Ort für passender zur Erwägung vor.
Gern wollte indeß die Stadt die Hand dazu bieten, die bestehende
Zeichnenschule dem vorliegenden Plane gemäß soweit thunlich zu
modificiren, um so zwar langsamer, aber um so sicherer das von
den Professoren erstrebte Ziel zu erreichen.
Inzwischen hatte die Regierung unter der Hand zur Gründung
dieser Kunst- und Gewerbeschule von der Stadt das große Gebäude
verschwindet und bei vollständiger äußerlicher Freiheit ein innerer
Trieb geweckt wird, meinetwegen durch künstliche Mittel wie
monatliche Ausstellungen aller Arbeiten und Preisvertheilungen.
Und endlich müßten als Lehrer solche Professoren berufen wer-
den, die den Bedürfnissen der Schüler und ihrer Richtung in
würdiger Weise entsprechen.
Vor Allem aber muß mit dem Kultus der akademischen
Tadellosigkeit gebrochen werden, welcher auf dem geistlosen Prinzip
beruht, daß ein Kunstwerk zur Vollkommenheit „hinaufkorrigirt"
werden könne; einem Princip, das auch von der planlosen An-
häufung lobender und tadelnder Bemerkungen, im besten Fall
durch geistreiche Aperyu's schmackhaft gemacht, befördert wird,
durch welches das Publikum so unendlich zartfühlend geworden
ist, daß es keinen ganzen Kerl mehr vertragen kann. — Diese
Tyrannei des künstlerischen Orthodoxismus benimmt jeder selbst-
ständigen Individualität die Wucht der Schöpferkraft, und es
sind gerade die strebsameren Künstler, die den altbetretenen Weg
verlassen wollen, am meisten der Gefahr ausgesetzt, bei jedem
Pinselstrich vorsichtig zu prüfen, welcher unter den vielen mög-
lichen der einzig nicht falsche ist: — so büßen sie ein gut Theil
künstlerischen Schwung ein.
Unwillkürlich denkt man hier an unsere Technik, die ein
nicht abzulösender Theil des allumfassenden Styls ist. Wir
fragen uns, wo haben die alten Meister diese hinreißende Be-
redsamkeit des Pinsels her, diese Keckheit des Vortrags, welchen
nachzuahmeu Keinem glücken will; woraus schöpften sie diese im-
ponirende Zuversicht, die selbst Unrichtigkeiten dem Bereich des
Tadels entrückt, jene geniale Ungenirtheit, die oft große Bild-
flächcn total vernachlässigt, ohne das Ganze zu stören? Und doch
ist ihnen dabei Nichts fremder als Koketterie; Nichts sieht so
aus, als wenn es nur durchaus schön gemalt sein sollte, und
ist's doch. Diese famosen Figuren, von oben bis unten in einem
Zuge hingeschriebeu, wie man sie bei Velasquez, Rubens, Tizian
u. A. sieht, hätten sie beim heutigen Korrektheitsschwindel ge-
deihen können? Kommt es nicht daher, weil diese Meister gleich
von Anfang an die Natur in ihrer Anwendung kennen lernten
und studirten? Ihre Lehrer brachten sie in der Werkstatt zur
Ausführung von schlecht bezahlten Bildern, bis sie endlich selbst-
ständig arbeiteten. So haben sie es von Hause aus gelernt,
die Natur ihrer Kunst dienstbar zu machen, und konnten sie da-
daher wirklich beherrschen. Dieser Bildungsgang ist heute nicht
mehr praktisch durchzuführen, aber ersetzt muß der verlorene
Vortheil werden, indem der Künstler beim Schaffen das Ziel
des Ganzen nie über die einzelnen Partien aus dem Auge läßt.
Eine große Versuchung, auf Abwege zu gerathen, ist dem
Künstler durch die Ausstellungen geschaffen. Erzeugt durch die
Gier, im großen Gewirr der Bilder den Blick des übersättigten
Beschauers auf das eigene Bild zu ziehen, verfällt der Künstler
immer auf einen neuen launischen Einfall, um durch das Frap-
pante zu fesseln und durch Absonderlichkeiten Aufsehen zu erregen.
Als eine der schlimmsten, weil die Wahrheit nachäsfenden
Richtungen, welche durch solch' unkünstlerisches Jagen nach Effekt
hervorgerufen ist, erscheint das Streben nach jener falschen Ein-
fachheit, die nicht in einem großen Wurf, sondern in großer
Leerheit besteht. In dem bunten Tohuwabohu der großen
Bilder-Ausstellungen freut das Auge sich, wenn es endlich auf
einer ruhigen Fläche sich erholen kann, und findet daher, durch
den Kontrast getäuscht, ein Behagen an großen Flächen, die —
z. B. wenn es Landschaften sind — weiter nichts als Luft und
ftaches Weideland mit etwa einer Gruppe von zwei oder drei
Bäumen darstellen. Werden solche Bilder aber auf die ruhige
Wand eines Privatzimmers gebracht, dann kommt ihre Dürftig-
keit und Jnhaltsleerheit zum Vorschein, und der „glückliche"
Besitzer ist erstaunt darüber, daß er daran hat Geschmack finden
können.
Die Natur in ihrer Wahrheit — und diese Wahrheit ist
Verbindung von Reichthum und Einfachheit — zu studiren und
wiederzugeben, wird nur die Aufgabe des echten Styls bleiben.
G.
Korrespondenzen.
1 trnftburg, im März. (Die neu projektirte Kunst-
und Gewerbeschule.) Der im vorigen Jahr hierorts
ausgebrochene Konflikt in Betreff der neu zu begründen-
den Kunst- und Gewerbeschule scheint nunmehr einen
allseitig befriedigenden Abschluß finden zu sollen. Da
vermuthlich Ihren Lesern jene Vorfälle nicht bekannt
geworden oder bereits in Vergessenheit gerathen sind, so will ich
hier in Kürze daran erinnern. Von einigen deutschen Professoren,
darunter dem Kunsthistoriker A. Springer, war die Gründung
einer „Kunst- und Gewerbeschule in Straßburg" angeregt und zur
Berathnng der Sache eine öffentliche Versammlung im Stadthause
anberaumt worden, in welcher Prof. Springer seinen Plan be-
gründete und auf die Nothwendigkeit solcher Schule für die schnell
aufblühende Stadt aufmerksam machte. Vorher war von Seiten
der zuständigen Behörden dem städtischen Schul-Deputirten, Adjunct
Goguel, der ganze Entwurf nebst Motiven ausführlich mitgetheilt
worden, so daß derselbe in die nachfolgende Diskussion vorbereitet
eintreten konnte und seine Ansicht über das Projekt, nachdem er sic
wegen Mangels an genügender Kenntniß der deutschen Sprache zu
Papier gebracht, ablas. Indem er den Principien des Professor
Springer dankend zustimmte, führte er doch der Hauptsache nach
aus, daß die bereits bestehende Zeichnenschule mit geringem Kosten-
aufwande allmälig und dem Bedürfniß der Stadt entsprechend durch
Hinzufügung bewährter und tüchtiger Lehrelemente der neuen Uni-
versität in ein solches Institut umgewaudelt werden könnte; ein
Projekt, das jedem Einsichtsvollen durchaus plausibel erscheinen
mußte. Gestützt auf eine vielgeprüfte Thätigkeit und lange Er-
fahrungen im Schulwesen Straßburgs, glaubte Adjunct Goguel die
Wahl des Platzes, die hauptsächlich Festung und Handelsstadt sei,
für die neu zu errichtende Schule nicht für genügend halten zu
dürfen; er bezweifelte in seinem längeren, durchaus objektiven Bor-
trage ferner, daß sich für die Dauer die mannigfachen Elcniente für
die Bevölkerung der kostspieligen Schule finden werden, und schlug
Mühlhausen als Industrie-Ort für passender zur Erwägung vor.
Gern wollte indeß die Stadt die Hand dazu bieten, die bestehende
Zeichnenschule dem vorliegenden Plane gemäß soweit thunlich zu
modificiren, um so zwar langsamer, aber um so sicherer das von
den Professoren erstrebte Ziel zu erreichen.
Inzwischen hatte die Regierung unter der Hand zur Gründung
dieser Kunst- und Gewerbeschule von der Stadt das große Gebäude