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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0072

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und mit ihren anmuthigen Bewegungen sich anschmiegen. Man
betrachte ihre glänzenden, seelenvollen Augen und srage sich, ob
das Studium und die Darstellung des freien aber uneingeschüch-
terten Thieres des Waldes nicht dankbarer und poetischer wäre
als die lebendigste und wildeste Jagdscene. Wir nehmen hier-
bei die Jagdstücke aus, bei denen es sich um Darstellung eines
wirklichen Kampfes zwischen zwei wenigstens annäherungsweise
gleich starken Gegnern handelt, und wo also weder die Gefahr
noch die Gewißheit der Niederlage nur auf der einen Seite sich
befindet, wie z. B. die Bärenjagden. Aber unsre modernen
Jagden, wie die englischen Fuchsjagden, die dem Sieger ebenso
viel Ruhm wie Braten einbringen, widerstreben jeder poetischen
Auffassung schon deshalb, weil der Gedanke, daß dabei nutzlose
Grausamkeit der frivolsten Eitelkeit zum Hebel dienen muß, allzu
widerwärtig ist, um ästhetisch anregend zu wirken. In diese
Kategorie gehören überhaupt die Perforcejagden heutigen Tages.

Das Thiergenre, dessen künstlerische Pointe auf der
Darstellung des individuellen Thiercharakters beruht, läßt aber
noch eine weitere Entwicklung zu, welche den Uebergang zu der
vierten Stufe bildet. Wir erinnern an die oben gemachte Be-
merkung, daß das Thiergenre hauptsächlich deshalb einen so
reichen Stoff für die Kunstdarstellung darbiete und ein so leb-
haftes Interesse errege, weil es gewissermaaßen ein Spiegel-
bild d e r m en s ch li ch e n N atn r gewähre. Die seelischen Eigen-
schaften des Menschen ■— welche vom sittlichen Gesichtspunkt
aus als Tugenden oder Laster erscheinen — die guten und
schlimmen Leidenschaften rc. spiegeln sich in dem Thier auf naive
Weise wieder: Liebe und Haß, Zärtlichkeit und Widerwille, Auf-
opferungskraft und Eifersucht, treue Anhänglichkeit und rachsüch-
tige Hinterlist, sodann die Temperamentseigenschaften: Beweglich-
keit und Trägheit, Fleiß lind Faulheit, Schlauheit und Dumm-
heit, Muth und Feigheit u. s. f.: Alles finden wir in den ver-
schiedenen Thier-Klassen und -Individuen vertreten.

Es liegt daher für den Künstler nahe, auf diesem Parallelis-
mus fußend, das Thier zum symbolischen Träger dieser mensch-
lichen Charakter-Eigenschaften zu machen, so daß der Hauptaccent
der Wirkung nicht mehr auf dem Thier selbst und dessen charak-
teristischer Darstellung, sondern auf den durch dasselbe versinn-
bildlichten menschlichen Eigenschaften ruht. Meist wird eine
solche Behandlung des Thiermotivs eine humoristische Wendung
nehmen. Denn schon die Verwendung des Thiers selbst zu
diesen: Zweck — statt der direkten Schilderung der menschlichen
Natur in menschlicher Form — verleiht der Darstellung, selbst
wenn es sich um ein ernstes Motiv handelt, an sich eine hu-
moristische Färbung. Der Affe z. B. hat nicht an sich, son-
dern nur weil er in seinen Bewegungen, im Ausdruck seines
Gesichts u. s. f. so sehr an den Menschen erinnert, etwas
Konnsches für uns, wie man ihn denn auch mit Recht die Kar-
rikatur des Menschen genannt hat.

Allein zwischen dieser Darstellung des Thiermotivs und der
entschiedenen Thiersymbolik ist doch noch ein weiter Schritt.
Das Thier wird auch in dieser höheren Auffassung des Thier-
genres durchaus innerhalb der Grenzen seiner Natur gehalten;
nichts wird demselben hinzugethan, was ihm als Thier fremd
wäre. Die darin enthaltene Beziehung auf den Menschen und
dessen Welt ist durchaus eine innerliche, keine formell ausgedrückte.

Die darin liegende Ironie, der Humor überhaupt, welcher daraus
spricht, ist ein objektiver, unbefangener, darf nicht als Tendenz,
als beabsichtigte Wirkung zum Bewußtsein kommen. Es wäre
seitens des Künstlers, welcher ein solches Motiv behandelte, ein
großer Fehler, wenn er, sei es in der äußern Umgebung sei es
in der Bewegung des Thiers, eine Andeutung von Symboli-
sirung machen wollte. Nichtsdestoweniger kann die Beziehung auf
einen menschlichen Vorgang für den Beschauer deutlich genug sein.

Sobald nun diese latente Symbolik als beabsichtigte
Wirkung zur Geltung kommt, treten wir aus dem Thiergenre
heraus in das Gebiet der eingestandenen Thier-Symbolik.

Die Thiersymbolik ist nun die vierte Stufe der Thier-
darstellung. Hier wird das Thier nicht mehr als Zweck, sondern
als Mittel der künstlerischen Wirkung behandelt und demzufolge
auch seiner eigentlichen unbefangenen Thierwirklichkeit entkleidet.
Hier handelt es sich ausgesprochener Maaßen nur um menschliche
Vorgänge, für deren humoristische Schilderung das Thier als
bloße Parabel benutzt wird: das Thier wird zur Maske mensch-
lichci: Denkens und Fühlens verwandt. Das ganze Reich der
Fabel, in welcher das Thier die Hauptrolle spielt, um darunter
eine indirekte Moral zur Anschauung zu bringen, gehört hierher.
Das Fabelthier fühlt, denkt und spricht wie ein Mensch, wenn
es auch in der bildlichen Komposition den Thiertypus beibehält.
Aber diese Gattung gehört —• eben weil es dabei auf die ge-
sprochene Moral ankommt — eigentlich nicht in das Gebiet der
bildenden Kunst, sondern in das der Poesie. Ein solches Thier-
bild kann im günstigsten Sinne nur Illustration sein, und zwar
meist eine sehr dürftige Illustration, weil die eigentliche kiinst-
lerische Pointe eine wortpoetische ist, die sich durch die bloße
Situation nicht wiedergeben läßt. Es verhält sich damit gerade
so, wie mit den Illustrationen zu Theaterstücken, welche wenig
mehr als die äußerliche Dekoration, die Kostüme und einen
Gestus der betreffenden Personen darstellen können und ohne
Kenntniß der in der Dichtung enthaltenen Entwickelung der
Action doch unverständlich bleiben.

Zur höchsten, weil geistvollsten Art der Thiersymbolik ge-
hört jene Verwendung des Thiers zum Ausdruck einer satyrischen
oder doch humoristischen Betrachtung des menschlichen Treibens,
Als Beispiel führen wir W. v. Kanlbach's „Reineke Fuchs"
und besonders den im Treppenhanse des Neuen Museums zu
Berlin von ihm dargestellten Kinderfries an. Denn in diesem
Genre ist Kanlbach wirklich original und fast unerreicht. Hätte
er sich auf diese Symbolik beschränkt, statt sie auch auf die
menschliche Figur zu übertragen, so würde er uianchen Fehl-
griff vermieden haben. Die mannigfaltige Zusammenstellung
von Thier- und Kindergestalten in Verbindung mit den die ein-
zelnen Gruppen trennenden Arabesken, welche die Hauptphasen
der menschlichen Kulturentwicklung von Anfang der Geschichte
bis auf die neueste Zeit darstellen, gehört zu den: Reizendsten
und Geistvollsten, was in dieser Art je geschaffen wurde.

Was aber das Thier als Motiv für diese Symbolik be-
trifft, so wird es natürlich seines eigentlichen Charakters beraubt
und auch in seiner Physiognomik nur so weit konservirt, als
diese zu einem Hebel für die hnuwristische, resp. karrikaturartige
Wirkung zu benutzen ist. Hier sind wir nun an der Grenze
angelangt, bis zu welcher das Thiermotiv für die Kunst brauch-
 
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