Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0185

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
175

Kunstkritik.

Gin Mifdu’s Iuriojsum aus dm Stuttgarter Kunstlebe».

ne in Norddeutschland ziemlich unbekannte Zeitung, der
sog. „Beobachter, Volksblatt aus Schwaben", brachte in
der vergangenen Woche ein kritisches Feuilleton, aus
dem wir, nicht nur seines ungescheuten Tons, sondern
auch seines gescheuten Inhalts halber Einiges mitzu-
theilen uns nicht versagen können. Wir lassen nur Das
fort, was entweder specifisch stuttgarter Beziehungen enthält oder
allzuweit außerhalb des Bereichs einer Kunstzeitung fällt. Der
Titel lautet:

„Was in Stuttgart Alles zu sehen ist."

„Das Geläuf," — so beginnt der Vers. — „das vor einigen
Wochen nach dem Königsbau hin ging, hat jetzt ein Ende und ich
bin begierig, wohin das nächste geht. Denn etwas müssen sie hier
immer haben. Dort hatte für geraume Zeit die öffentliche Wohl-
thätigkeit eine (Kunst- ?)*) Bude anfgeschlagen, die Eleganz hielt
feil und der Pietismus machte Kasse. Alles, was Weltkinder reizen
kann, war in diesem Bazar zu finden, und Verschiedenes war dort
ausgestellt, was sonst nicht ans den Markt kommt. Ob ein Ablaß
für Sünden mit dem Einkauf verbunden war, weiß ich nicht. Viel-
leicht — weil doch ein Drittel des Ertrags für barmherzige Schwestern
bestimmt war. Wenn aber, stärker hätte der Zuwandel nicht sein
können, und wenn der Tezel selber da drinnen feil gehabt hätte.
Die schönsten Frauen und Mädchen von Stuttgart, man denke!
waren Verkäuferinnen und was eine hübsche Ladentochter bei der
Kundschaft ausmacht — die frommen Veranstalter wußten es wohl
und die lieben Mädchen, die sich zu der Rolle hergaben, wissen es
jetzt jedenfalls auch, wenn sie's nicht schon vorher gewußt haben. .. .

. . . Ein Herr zeigte einem anderen eine ganze Anzahl Bilder-
chen, welche ich, obgleich ich auf der Seite stand und nur mit den
Augen hinübcrblinzeln durfte, sofort als von der Meisterhand eines
in Stuttgart längst angesiedelten, auswärts aber noch mehr als hier
geschätzten Malers und Kohloristeu herrührend erkannte. Dabei
nannte der glückliche Käufer, der eben mit seiner Beute aus dem
Bazar herauskam, seinem Bekannten einen Spottpreis, zu dem die
Blätter angesetzt gewesen. Nur so habe er sich erlauben können, die
ganze Partie zu erwerben. Der Künstler selbst, der wahrscheinlich
einer einschmeichelnden Sammeldame zu Gefallen diese Arbeiten in
den Wohlthätigkeitsbazar geschenkt habe, würde dieselben nur zu viel
höheren Preisen erlassen haben. „Da haben Sie ein brillantes Ge-
schäft gemacht," erwiederte der andere Herr, „da können Sie beim
Wiederverkauf ruhig hinter jede Guldenzahl, um die Sie die Dinger
erstanden, eine Null machen." Ich aber dachte, von solchem Ver-
fahren sollten doch die Künstler Kunde erhalten, damit sie ein
andermal, wenn wieder für fromme Zwecke bei ihnen hausirt wird,
ihren Beiträgen wenigstens die Preise beischreiben. Denn Kunst-
kenntnisse verleiht, scheiut's, der Herr den Seinen nicht im Schlaf.
Musen und Grazien sind und bleiben ihnen nur „thörichte Jung-
frauen" und selbst, wo diese Athenerinnen ihnen von selbst in die
Hände laufen, wissen die barbarischen Nazarener den Werth solcher
Waare nicht zu würdigen. Gleich anderen Sachen, welche ihnen
^gefallen, bringen sie diese Sklavinnen auf ihre Märkte und nach
^>er Länge oder nach dem Gewicht schlagen sie die edlen Gestalten
^as, so und so viel das Stück, wie's der Händler zum Thor

naustreibt.

*) Frage der Red. Uebrigms weiß mau dergleichen auch anderswo zu

arrangircn. D. R.

„Bilder sehen" ist eine der harmlosesten Lieblingsbeschäftigungen
der Stuttgarter, und wir haben ein eigenes Institut hier, welches
nur von diesem angeborenen kindlichen Trieb unserer Bevölkerung
seine Existenz fristet. Das ist die sog. Permanente Kunstaus-
stellung der Maler Peters und Herdtle. Es ist unglaublich,
wie viel diese beiden thätigen und tüchtigen Männer das Jahr hin-
durch dem Publikum zu schauen bieten und mit wie wenigen Mitteln,
denn die Unterstützung, die sie von der Regierung erhalten, ist kaum
der Rede Werth. Natürlich ist es die Laudschaftmalerei, welche die
große Mehrzahl der das Jahr über ausgestellten Bilder liefert;
dabei aber kommen den Unternehmern ihre guten Verbindungen mit
der Schweiz, mit Holland, Belgien und Paris bestens zu statten, so
daß die Stnttgarter nicht blos die deutsche Schule kennen lernen.
Von dorther bekommen wir überdies auch häufig sehr feine Figuren,
Scenen und Genrebilder zu sehen, und daß ab und zu auch das
historische Fach wenigstens in den jetzt unvermeidlichen Kriegs- und
Schlachtenbildern vertreten ist, kriegen wir drein. Den» daß diese
zum „historischen Fach" gerechnet werden, kommaudiren so zu sagen
die historischen Männer, welche auf solchen Bildern stets im Vor-
dergrund rechts auf Pferden sitzen und den Schaden Joseph's be-
sehen. —

Um eine Vorstellung von dem Reichthum der „Permanenten" zu
geben, sei mir gestattet, kurz zu verzeichnen, was es eben jetzt in der-
selben zu beschauen giebt. Da ist vor Allem zu neunen von Hugo
Knorr zwei vortreffliche Seebilder, eine „Brandung an der nor-
wegischen Küste" mit mächtigen Wellen, deren prächtige Wahrheit erst
recht zum Bewußtsein gebracht wird durch den Vergleich mit einem
anderen, ebenfalls große Wellen wälzenden Bild von Calame, dem
Sohne, dessen Wasser-Walzen dieselbe Wahrheit nicht zu erreichen
vermögen. Das kleinere Bild von Knorr, „Mönchsgadener Fischer"
benannt, zeigt uns die See in einer Morgenbeleuchtung, in der sie
alle ihre Gährungen in fromme Milch verwandelt zu haben scheint.
Das Bild spielt fast nur in weißen Tönen, aber wie? Mit Ent-
zücken schwimmt das Auge in dem herrlichen Licht, das über diese
Bucht ausgebreitet ist und sucht das jenseitige Gestade, dessen Um-
risse eine reiche Welt ahne» lassen, von wonnigem Dufte verhüllt
und verklärt. — Da sind ferner von Veillon aus Genf zwei Bilder
des blauen Leman in stattlichen Dimensionen, ein großartiges mit
der Dent du Midi int Hintergrund, eine Nachiuittagsbeleuchtung im
ruhigen Glanz der Schönheit, die vollen und reinen Genuß gewährt.
Das andere, welches den Blick auf den breiten See vom savoyischen
Ufer aus darbietet und die ferne Kette des Jura in der Mitte und
rechts das ansteigende Gebirge zwischen Lausanne und Vevay zum
Hintergrund hat, ist eine Morgenbeleuchtung und macht einen wahr-
haft feierlichen Eindruck. Die Nacht war bewegt und leise zittert
der See noch nach und anch durch die Luft geht noch ein leises
Zittern. Leise, leise plätschernd verrinnt die Bewegung des Wassers
in einer kleinen stillen Bucht zwischen tlrgebirgsblöcken, die einst der
Rhonegletscher mit aus dem Wallis gebracht und hier am Strand
abgelagert hat. Violett-bläuliche Reflexe, in denen das am Ufer
brechende Wasser verzittert, wie die lichtbläulichen Schattenstellen der
souubeglänzten Fläche, welche den jenseitigen Konturen des Landes
folgen, bringen die Grundfarbe dieses herrlichen Sees trotz des
über ihn ausgegossenen Lichtes zur Anschauung. Leider ist dieses
majestätische Bild entstellt durch eine armselige Baum- und Busch-
partie, die zur Linken seine Begrenzung und seinen Vordergrund
bildet.
 
Annotationen