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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Roessler, Arthur: Kunst, Kunstgewerbe und Publikum
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Servaes, Franz: Etwas über Kunstbesitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0022

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Kunst, Kunstgewerbe und Publikum.

Stellungen beispielsweise fast nur nach Maßgabe
des künstlerischen Vermögens, mit dem sie auf-
zutreten wissen, bestimmt wird. Wir können
uns allerdings weder mit den Griechen des so-
genannten goldenen Zeitalters, noch mit den
Italienern der Renaissance vergleichen, stellen
uns aber in kühner Ruhe gelassen und der Be-
deutung unserer Zeit und ihrer künstlerisch-
technischen Hervorbringungen sicher, an ihre
Seite. Immerhin, der Typus des modernen
Deutschen hat noch seine schwachen Seiten.
Es fehlt ihm, wie Prof. Lichtwark sagte, an
äußerer Kultur und Festigkeit der Form, wie an
einem innerlichen Verhältnis zur bildenden
Kunst. Sein Bedürfnis nach künstlerischen Ge-
nüssen, die eine Erziehung des Auges und des
Herzens voraussetzen, ist verhältnismäßig ge-
ring. Man mag das den Werken der Malerei
und Skulptur gegenüber, die zwar geistig für
das ganze Volk geschaffen sind, deren Erwerb
aber nur wenigen möglich ist, bis zu einem
gewissen Grade gutheißen, aber man findet es
beschämend, auch das „Kunstgewerbe" vernach-
lässigt zu sehen, das doch zu reicherem Lebens-
genüsse und künstlerischem Behagen beiträgt.
Man sollte meinen, an den Werken des
modernen Kunstgewerbes müsse jeder von uns
Teil haben, weil uns doch die Form und die
Farbe der Möbel, die wir benützen, und der
Geräte, deren wir uns täglich bedienen, eben so
wenig gleichgültig sein können, wie die Stoffe
unserer Kleider, die Muster unserer Tapeten und
Teppiche. Tritt doch just hier der eigenste per-

sönliche Geschmack in sein Recht, mag die Mode
noch so gewaltsam und eigensinnig gewisse For-
men und Farben vorschreiben. „An diesem Teil
der Kunst, der sich im Gewerbe äußert, hat jeder
Mensch sein Anrecht, und jeder ist daher auch
berechtigt, von seinem Standpunkt aus als Be-
urteiler und Richter an denselben heranzutreten.
Ist er es doch, der die Sachen schließlich er-
werben und verwenden soll." Nur darf man
verlangen, daß derjenige, der Nutznießer der
schönen und zweckmäßigen Dinge des modernen
Kunstgewerbes sein will, sich bemühe, durch
sorgfältige künstlerische Selbsterziehung des
Auges seiner bisherigen Unzulänglichkeit mit
Kraft und Ausdauer entgegenzuarbeiten. Hilfs-
mittel sind ihm in ausreichender Menge und
Qualität durch die verschiedenen Kunst- und
Kunstgewerbe - Publikationen an die Hand ge-
geben, unter welchen eines der wichtigsten die
vorliegende Zeitschrift darstellt, die seit vielen
Jahren in unermüdlicher Kulturarbeit Pionier-
und Lehrdienste leistet. — Wir haben künst-
lerische Urheber und handwerkliche Ausfertiger
ebenso schöner wie zweckmäßiger Arbeiten der
angewandten Kunst, um die wir von anderen
Nationen beneidet werden — nur ein im Verhält-
nis ebenso kunstsinniges und kauffreu-
diges Publikum haben wir noch nicht!
Das ist unser Leid, dem möchten wir abhelfen,
doch kann uns letzteres nur gelingen, wenn
sich das Publikum weniger passiv als bisher den
Dingen gegenüber, die wahrlich nicht zu den
geringsten Gütern der Nation gehören, verhält.

ETWAS ÜBER KUNSTBESITZ.

VON FRANZ SERVAES.

Es sind ganz gewiß noch nie soviel Kunst-
werke in der Welt gewesen wie heut-
zutage; und noch nie hat man sich so schlecht
darauf verstanden, ein Kunstwerk im wahren
Sinne des Wortes zu besitzen. Gekauft und
verkauft wird ja genug, oder vielmehr viel zu
viel. Der Kunstmarkt zeigt sich von einer Unruhe
befallen, daß jegliche Stetigkeit darüber ver-
loren geht. Jedoch wirklich „besessen" wird
viel zu wenig. Man besitzt nur, um wieder los-
zuwerden; um eine günstige Konjunktur abzu-
warten, bei der man seine hundert bis tausend
Prozent verdienen kann. Dies ist nicht etwa
bloß bei Kunsthändlern so der Fall (deren gutes
Recht es ist); nein, recht häufig auch bei Kunst-
liebhabern und Sammlern (auf die es ein immer-
hin eigentümliches Licht wirft). Kurz heraus:
das Kunstwerk ist heute ein Börsenpapier, mit

'dem man spekuliert. Und dies sollte nicht sein.
Vielleicht ist nichts so sehr imstande, das wahre
und echte Kunstgewissen einer Zeit so von
Grund auf zu depravieren wie ein solcher Zu-
stand. Ein tief beschämender Zustand, wie ich
meine. Er muß mit der Zeit die wahre Andacht
zum Kunstwerk bis zur Hoffnungslosigkeit ver-
nichten. Und doch nennt sich unsere Epoche,
mehr eitel als stolz, ein Kunstzeitalter.

Nein, meine Herrschaften, wir werden niemals
ein Kunstzeitalter haben, wenn wir es nicht
wieder lernen, Kunstwerke zu „besitzen". Es
genügt nicht, daß Kunstwerke massenhaft er-
zeugt werden. Daß sie den Markt und die
Häuser wie eine Hochflut überschwemmen. Daß
sie bei mondänen Veranstaltungen, die sich
Kunstausstellungen schelten lassen, zu tausen-
den aufmarschieren. Daß sie in Leitartikeln,

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