KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
DEZEMBER 1910.
DEUTSCHE GRAPHISCHE AUSSTELLUNG IN
LEIPZIG. Die graphische Ausstellung im
Deutschen Buchgewerbehaus enthält Arbeiten von
fast allen bedeutenden modernen Graphikern. Bei-
nahe 800 Blätter sind ausgestellt, die aus nicht viel
weniger als 3000 eingesandten Arbeiten ausge-
wählt wurden. Die Aufstellung ist in der Weise
getroffen, dag die verschiedenen Schulen und die
in den verschiedenen deutschen Kunstzentren le-
benden Künstler zusammengestellt sind und da-
durch einheitlich geschlossene Gruppen entstehen,
von denen jede für sich sehr gut zur Geltung kommt.
Der Leipziger Schule ist relativ viel Plafj eingeräumt,
bei ihr sind auch die drei neuen Blätter von Klinger
aus dem Zyklus „vom Tode II" ausgestellt. In der
Dresdener Koje dominieren als Meister der Radierung
O. Fischer und W. Zeising, dabei als bekann-
tester Vertreter von Weimar L. v. Hof mann, der
durch seine wundervollen Studien hauptsächlich
wirkt. Die Münchner Gruppe ist sehr gut vertreten.
Farbenholzschnitte sind hier in besonders großer
Anzahl zu sehen (H. Neumann, W. Kiemmund
C. Thiemann, Hammer, Heine Rath u.a.m.).
Dann Radierungen von W. Geiger, Joseph Ulli,
Ed. Scharff, F. W. Preuss, Waentig u. a. m.
In der den Berliner Künstlern eingeräumten Koje
lenkt vor allem Käthe Kollwitz das Auge auf
sich und E. Wolfsfeld. Ganz hervorragend
kommt Orlik zurGeltung, daneben Fritz Lederer
und H. Zille. Als eine Art von Wanddekoration
sind nicht ohne farbigen Reiz die Holzschnitte von
M. Melzer, etwas sehr brutal nehmen sich da-
neben die Holzschnitte von M. Pechstein und der
Dresdener Vereinigung „Brücke" aus, die ähn-
liche Ziele verfolgen. Auch E. Nolde gehört in
diese Gruppe. Von den Worpswedern ist Hans
am Ende und H. Vogeler sehr gut vertreten.
Hamburg repräsentiert ausgezeichnet A. Jllies,
dabei noch Kalckreuth, von denen beiden sehr
viele ältere und neuere Arbeiten ausgestellt sind.
Die kleineren Kunstzentren sind in dem Eckraum
zu studieren. W. Thielmann schildert das hes-
sische Bauernleben, tüchtige Porträtradierer sind
W. Gieseund R. Winkel in Magdeburg. Frank-
furt vertritt W. Steinhausen, die Karlsruher vor
allem H. v. Volkmann, W. Conz, Kampmann
u. a. m., Stuttgart Carlos Grethe, Eckener,
Hollenberg und Reifferscheid. Von Aman-
dus Faure sind eine Anzahl hübscher neuer Blätter
ausgestellt, ebenso von A. Schinnerer und von
H. Meid, die als originelle künstlerische Persön-
lichkeiten hervorragen. - SCH-
BERLIN. Als „Künstlerbund für Glas-
malerei und Glasmosaik" hat sich in
Berlin eine Vereinigung aufgetan, der die auf die-
sem gewerblichen Sondergebiet bewährten Kräfte
wie Paul, Behrens, Gegner, Pechstein, Cesar Klein,
Becker-Tempelburg, Billing, Müller-Steglig u. a.
angehören. Das Ziel des Bundes ist, Publikum
und Architektenschaft über die dekorativen Mög-
lichkeiten einer architektonisch disziplinierten Glas-
malerei aufzuklären, was durch Ausstellungen,
Publikationen und dergleichen Veranstaltungen
geschehen soll. Als Werkstätten haben sich diesen
Künstlern Gottfr. Heinersdorff und Puhl & Wagner
angeschlossen. Die erste Ausstellung wird im Januar
im Folkwang-Museum zu Hagen stattfinden, w.
£
HANNOVER. Die Herbstausstellung bestätigt,
was schon im vergangenen Jahr festzustellen
war: einen Aufstieg. Beim Hängen wurde das
Prinzip der Kollektion durchgeführt; wir treffen
die Werke der einzelnen Künstler beisammen und
können uns so leichter ein Urteil bilden. Die
einzige Möglichkeit, grögere Ausstellungen zu
überschauen. Allerdings eine Gefährdung aller
Manieristen und Halbstarken. An diesem Prinzip
stirbt unreparierbar der Dilettantismus, auch der
professionell gewordene. Hannover Stadt und Land
weist treffliche Künstler auf, reife und aussichts-
reiche. Zu den besten gehört Carl Jörres; seine
Landschaften sind der kultivierte Extrakt einer
malerischen Melancholie, sie sind mit gefügigem
Pinsel, weich und sinnlich, mit überzeugender
Unbestimmtheit hingestrichen. Tappert und Bengen
sind als Berliner Neu-Secessionisten gut bekannt.
Bengen wird gut tun, sich dem Einflüsse Ludwig
von Hofmanns möglichst zu entziehen, Tappert
pflegt ganz mit Recht einen dekorativen Geschmack.
Sein Gefühl für Valeure und seine Tendenz nach
Effekten ist sympathischer als die ein wenig grelle
Koketterie Rudolf Webers. Georg Tronnier malt mit
sicherem Geschmack lebenswahre Bildnisse. Carl
Weidemeyer ist ein geistreicher, sehr geschickter
Illustrator und Flächendekorateur. In diesem Tem-
perament mischt sich Beardsley und Goya, Walser
und Thoma. Die Konkurrenz um den Duve-Brunnen
hatte das seltene Ergebnis, dag die drei ausgesetzten
Preise den Arbeiten des Bildhauers Herting zu-
fielen. Und, wie festgestellt sein mug: mit Recht.
Herting ist zur Zeit weitaus der beste Plastiker
der Leinestadt. Seine Entwürfe achteten der sel-
tenen Geschlossenheit des vorgesehenen Platjes,
sie unterwarfen sich der horizontalen Tendenz der
1911. IV. 8.
339
DEZEMBER 1910.
DEUTSCHE GRAPHISCHE AUSSTELLUNG IN
LEIPZIG. Die graphische Ausstellung im
Deutschen Buchgewerbehaus enthält Arbeiten von
fast allen bedeutenden modernen Graphikern. Bei-
nahe 800 Blätter sind ausgestellt, die aus nicht viel
weniger als 3000 eingesandten Arbeiten ausge-
wählt wurden. Die Aufstellung ist in der Weise
getroffen, dag die verschiedenen Schulen und die
in den verschiedenen deutschen Kunstzentren le-
benden Künstler zusammengestellt sind und da-
durch einheitlich geschlossene Gruppen entstehen,
von denen jede für sich sehr gut zur Geltung kommt.
Der Leipziger Schule ist relativ viel Plafj eingeräumt,
bei ihr sind auch die drei neuen Blätter von Klinger
aus dem Zyklus „vom Tode II" ausgestellt. In der
Dresdener Koje dominieren als Meister der Radierung
O. Fischer und W. Zeising, dabei als bekann-
tester Vertreter von Weimar L. v. Hof mann, der
durch seine wundervollen Studien hauptsächlich
wirkt. Die Münchner Gruppe ist sehr gut vertreten.
Farbenholzschnitte sind hier in besonders großer
Anzahl zu sehen (H. Neumann, W. Kiemmund
C. Thiemann, Hammer, Heine Rath u.a.m.).
Dann Radierungen von W. Geiger, Joseph Ulli,
Ed. Scharff, F. W. Preuss, Waentig u. a. m.
In der den Berliner Künstlern eingeräumten Koje
lenkt vor allem Käthe Kollwitz das Auge auf
sich und E. Wolfsfeld. Ganz hervorragend
kommt Orlik zurGeltung, daneben Fritz Lederer
und H. Zille. Als eine Art von Wanddekoration
sind nicht ohne farbigen Reiz die Holzschnitte von
M. Melzer, etwas sehr brutal nehmen sich da-
neben die Holzschnitte von M. Pechstein und der
Dresdener Vereinigung „Brücke" aus, die ähn-
liche Ziele verfolgen. Auch E. Nolde gehört in
diese Gruppe. Von den Worpswedern ist Hans
am Ende und H. Vogeler sehr gut vertreten.
Hamburg repräsentiert ausgezeichnet A. Jllies,
dabei noch Kalckreuth, von denen beiden sehr
viele ältere und neuere Arbeiten ausgestellt sind.
Die kleineren Kunstzentren sind in dem Eckraum
zu studieren. W. Thielmann schildert das hes-
sische Bauernleben, tüchtige Porträtradierer sind
W. Gieseund R. Winkel in Magdeburg. Frank-
furt vertritt W. Steinhausen, die Karlsruher vor
allem H. v. Volkmann, W. Conz, Kampmann
u. a. m., Stuttgart Carlos Grethe, Eckener,
Hollenberg und Reifferscheid. Von Aman-
dus Faure sind eine Anzahl hübscher neuer Blätter
ausgestellt, ebenso von A. Schinnerer und von
H. Meid, die als originelle künstlerische Persön-
lichkeiten hervorragen. - SCH-
BERLIN. Als „Künstlerbund für Glas-
malerei und Glasmosaik" hat sich in
Berlin eine Vereinigung aufgetan, der die auf die-
sem gewerblichen Sondergebiet bewährten Kräfte
wie Paul, Behrens, Gegner, Pechstein, Cesar Klein,
Becker-Tempelburg, Billing, Müller-Steglig u. a.
angehören. Das Ziel des Bundes ist, Publikum
und Architektenschaft über die dekorativen Mög-
lichkeiten einer architektonisch disziplinierten Glas-
malerei aufzuklären, was durch Ausstellungen,
Publikationen und dergleichen Veranstaltungen
geschehen soll. Als Werkstätten haben sich diesen
Künstlern Gottfr. Heinersdorff und Puhl & Wagner
angeschlossen. Die erste Ausstellung wird im Januar
im Folkwang-Museum zu Hagen stattfinden, w.
£
HANNOVER. Die Herbstausstellung bestätigt,
was schon im vergangenen Jahr festzustellen
war: einen Aufstieg. Beim Hängen wurde das
Prinzip der Kollektion durchgeführt; wir treffen
die Werke der einzelnen Künstler beisammen und
können uns so leichter ein Urteil bilden. Die
einzige Möglichkeit, grögere Ausstellungen zu
überschauen. Allerdings eine Gefährdung aller
Manieristen und Halbstarken. An diesem Prinzip
stirbt unreparierbar der Dilettantismus, auch der
professionell gewordene. Hannover Stadt und Land
weist treffliche Künstler auf, reife und aussichts-
reiche. Zu den besten gehört Carl Jörres; seine
Landschaften sind der kultivierte Extrakt einer
malerischen Melancholie, sie sind mit gefügigem
Pinsel, weich und sinnlich, mit überzeugender
Unbestimmtheit hingestrichen. Tappert und Bengen
sind als Berliner Neu-Secessionisten gut bekannt.
Bengen wird gut tun, sich dem Einflüsse Ludwig
von Hofmanns möglichst zu entziehen, Tappert
pflegt ganz mit Recht einen dekorativen Geschmack.
Sein Gefühl für Valeure und seine Tendenz nach
Effekten ist sympathischer als die ein wenig grelle
Koketterie Rudolf Webers. Georg Tronnier malt mit
sicherem Geschmack lebenswahre Bildnisse. Carl
Weidemeyer ist ein geistreicher, sehr geschickter
Illustrator und Flächendekorateur. In diesem Tem-
perament mischt sich Beardsley und Goya, Walser
und Thoma. Die Konkurrenz um den Duve-Brunnen
hatte das seltene Ergebnis, dag die drei ausgesetzten
Preise den Arbeiten des Bildhauers Herting zu-
fielen. Und, wie festgestellt sein mug: mit Recht.
Herting ist zur Zeit weitaus der beste Plastiker
der Leinestadt. Seine Entwürfe achteten der sel-
tenen Geschlossenheit des vorgesehenen Platjes,
sie unterwarfen sich der horizontalen Tendenz der
1911. IV. 8.
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