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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Westheim, Paul: Schöne, spottbillige alte Sachen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0442

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SCHÖNE, SPOTTBILLIGE ALTE SACHEN.

Wenn ab und zu ein Antiquitätenmacher
zu ungeschickt war, so daß er ertappt
werden mußte, sind alle Zeitungsspalten voll von
den Tricks, denen die Sammelfanatiker zum
Opfer fallen. Mit Ergötzen zucken wir die Ach-
seln über die dummen Yankees, die sich mit
Wonne reinlegen lassen. Und wir, wir neunmal
Weisen. Wie die Maus die geschickte Falle
umschwärmen bei uns die hohen und anderen
Herrschaften alle erdenkbaren Trödelbuden.
Jeder hat irgend eine andere „Quelle", wo er
für ein Butterbrot fabelhafte Sachen hamstert.
Unsere Antiquitätenhändler sind bekanntlich
Philantropen. Sie wollen den naiven Sammlern
die Illusionen belassen und aus diesem Grunde,
(natürlich nur aus diesem Grunde) setzen sie
die geheimnisvolle Augurenmiene auf, lassen
sie sich nichts merken, das sie die wunderbarsten
Antiquitäten für ein Spottgeld hergeben können
— weil die Fabrik den Kram ja alle Tage wieder
frisch liefert. In Thüringen allein wird alljährlich

für Unsummen „echt altes" Meißener Porzellan
hergestellt, und die Produktion von „ alten " Holz-
schnitzereien, Steinarbeiten, Gläsern, Bronzen,
Möbeln wirft nicht weniger ab. Dagegen bleibt
das moderne Kunstgewerbe, so prachtvoll und
preiswert es auch sein mag, unbeachtet und un-
verkauft. Die Pointe bei der ganzen Komödie ist
aber die, daß die Künstler selber erst die Affen-
liebe für die Antiquitäten gezüchtet haben und
nun über die Schwindelei und Narretei stöhnen,
nachdem von ihren eigenen Erzeugnissen so viele
Käufer nichts mehr wissen wollen. Warum auch?
Es gibt ja so schöne, spottbillige alte Sachen. —

paui. westheim.

ä.

Das natürliche Empfinden ist bei vielen Heu-
tigen verbildet durch hereingetragene Ge-
sichtspunkte, überwuchert von angelerntem,
kunstfremdem Wissen, verdunkelt von Senti-
mentalität, gefälscht durch das herrschende
Streben nach Prätension. — heem. muthesius.

Professor adolf Hengeler München. Gemälde; »Porträt«. Privatbesitz.

1911. vi. 2.

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