DIE AUSSTELLUNG ALS KUNSTWERK.
VON HANS SCHLIEPMANN.
Die „Industrialisierung" der Erde geht mit
Siebenmeilenstiefeln vorwärts. Sogar die
Passion Jesu Christi wird ja schon heuer in
Oberammergau in amerikanischer Geschäfts-
weise ausgeschlachtet. Was bleibt, das nicht
Geschäft wäre? — Man mag das beklagen, ja
man wird's keinem verdenken, wenn er das
ekelhaft findet, sans phrase. Aber um die Tat-
sache kommen wir deshalb nicht herum. Je
enger die Menschen zusammenrücken müssen
an ihren Krippen, desto wichtiger wird der Platz
an dieser Krippe, desto ausschließlicher müssen
die Gedanken sich darum drehen, rechtzeitig
ein gutes Plätzchen zu bekommen. Darüber
gehen die besseren Gedanken verloren, und
von allen Göttern bleibt nur Götze Erfolg und
Allgott Mammon auf dem Thron. Unsere eigent-
lichen Tempel sind nicht mehr die Gotteshäuser,
sondern Bahnhöfe und Warenhäuser. Sie sind,
ohne daß dabei irgend eine bewußte Absicht
vorgelegen hätte, zu den eigentlichen Wahr-
zeichen der Gegenwart geworden, denen auch
die Kunst unserer Tage das bezeichnende, ja
das bewundernswerte, in aller Vorzeit nicht
seines Gleichen findende Gepräge gegeben.
Das ist aber nur ein Beweis dafür, daß das
Zweckliche alle übrigen Motive in unserer Zeit
verdunkelt. Und nicht bloß in der Baukunst.
Das verkäufliche Bildwerk und Gemälde über-
wiegt in den Ausstellungen mehr und mehr die
Versuche der Wenigen, die die Menge immer
ungenierter sonderbare Schwärmer nennt, weil
sie Offenbarungen des eigenen besonderen Ichs
zu bringen wagen; in Literatur und Musik,
namentlich im Theater sinkt das Niveau mehr
und mehr zur bloßen Unterhaltungsware hinab.
Die neue Herrschaft der Operette ist nichts als
der Beweis, daß Rezepte für anspruchslose
mrnfreie Kitzelung herabgekommener Nerven
das beste Geschäft sind.
Zweifellos sind das alles Erscheinungen natio-
nalen Niederganges. Aber unser Leben ist
vielgestaltiger geworden; die Vielfältigkeit un-
serer Kassenmischungen, der bewußte Indi-
vidualismus hat bewirkt, daß nicht einerlei
1 endenz durch die ganze Zeit geht wie in frühe-
ren lagen, wo wirklich ein ganzes Volk, von
wenigen Kassandra-Naturen abgesehen, gleich-
maßig verfiel. Neben dem überall breit wu-
chernden Unkraut sehen wir doch heute überall
neue Triebe hoffnungsfreudig emporwachsen.
Fehlen uns anscheinend die großen Politiker,
so zeigt sich die Nation doch noch immer
ganz unerschöpft in der Hervorbringung künst-
lerischer Naturen. Wie viele von diesen den
Wuchs des Talentes überschreiten, wie viele
sich als bahnbrechende Genies betätigen könn-
ten, läßt sich gar nicht sagen, denn erst in
der Betätigung entwickelt sich die rechte Kraft.
Uns aber fehlt es überall an Aufgaben. Man
denke z. B. an Slevogt, der das Glück hatte,
bei guten, aber keineswegs übermächtigen An-
lagen, schon früh eine „gute Presse" zu finden:
wie reich vermochte er sich unter den Fittichen
des Glückes zu entwickeln! Oder man er-
innere sich, wie das zarte und gewissenhafte
feinfühlige Talent Messels zu bahnbrechen-
den Schöpfungen gelangen konnte, während
weit genialere Köpfe, wie namentlich Bruno
Schmitz, viel brachliegen mußten!
Daß gerade die Architektur am meisten unter
diesem Mangel an Aufgaben leidet, ist natür-
lich. Sie erfordert die größten Mittel, um zu
wirken, denn der architektonische Entwurf mit
seiner Parallelprojektion vermittelt dem Laien
keinen der Wirklichkeit auch nur angenäherten
Eindruck. Da aber der Zweck die Welt regiert,
sind die Mittel für gewaltige Bauten nur ganz
ausnahmsweise vorhanden. Nur solche aber
könnten wieder den Beweis erbringen, daß die
Architektur die führende Kunst zu sein ver-
mag, daß sie Wirkungen erreicht, denen nichts
an die Seite zu setzen ist.
So sehen wir denn, daß unsere hervor-
ragendsten künstlerischen Kräfte von größten
Werken, die einen ganz neuen ästhetischen
Ausdruck und Niederschlag der Strebungen
und Sehnsucht unserer Zeit geben könnten, nur
träumen dürfen. Von der Fülle solcher Gesichte
gab erst kürzlich der Wettbewerb für den Be-
bauungsplan von Groß-Berlin in den Arbeiten
von Bruno Schmitz und Bruno Möhring
hier überwältigende Beweise — Beweise auf
Papier, für verschwiegene Mappen oder höch-
stens für ein menschenleeres Architektur-
museum ! — Das also könnten wir leisten, so
könnten wir bauen und uns mit Schönheit um-
geben, wenn — — ja, wenn die Baukunst nicht
127
VON HANS SCHLIEPMANN.
Die „Industrialisierung" der Erde geht mit
Siebenmeilenstiefeln vorwärts. Sogar die
Passion Jesu Christi wird ja schon heuer in
Oberammergau in amerikanischer Geschäfts-
weise ausgeschlachtet. Was bleibt, das nicht
Geschäft wäre? — Man mag das beklagen, ja
man wird's keinem verdenken, wenn er das
ekelhaft findet, sans phrase. Aber um die Tat-
sache kommen wir deshalb nicht herum. Je
enger die Menschen zusammenrücken müssen
an ihren Krippen, desto wichtiger wird der Platz
an dieser Krippe, desto ausschließlicher müssen
die Gedanken sich darum drehen, rechtzeitig
ein gutes Plätzchen zu bekommen. Darüber
gehen die besseren Gedanken verloren, und
von allen Göttern bleibt nur Götze Erfolg und
Allgott Mammon auf dem Thron. Unsere eigent-
lichen Tempel sind nicht mehr die Gotteshäuser,
sondern Bahnhöfe und Warenhäuser. Sie sind,
ohne daß dabei irgend eine bewußte Absicht
vorgelegen hätte, zu den eigentlichen Wahr-
zeichen der Gegenwart geworden, denen auch
die Kunst unserer Tage das bezeichnende, ja
das bewundernswerte, in aller Vorzeit nicht
seines Gleichen findende Gepräge gegeben.
Das ist aber nur ein Beweis dafür, daß das
Zweckliche alle übrigen Motive in unserer Zeit
verdunkelt. Und nicht bloß in der Baukunst.
Das verkäufliche Bildwerk und Gemälde über-
wiegt in den Ausstellungen mehr und mehr die
Versuche der Wenigen, die die Menge immer
ungenierter sonderbare Schwärmer nennt, weil
sie Offenbarungen des eigenen besonderen Ichs
zu bringen wagen; in Literatur und Musik,
namentlich im Theater sinkt das Niveau mehr
und mehr zur bloßen Unterhaltungsware hinab.
Die neue Herrschaft der Operette ist nichts als
der Beweis, daß Rezepte für anspruchslose
mrnfreie Kitzelung herabgekommener Nerven
das beste Geschäft sind.
Zweifellos sind das alles Erscheinungen natio-
nalen Niederganges. Aber unser Leben ist
vielgestaltiger geworden; die Vielfältigkeit un-
serer Kassenmischungen, der bewußte Indi-
vidualismus hat bewirkt, daß nicht einerlei
1 endenz durch die ganze Zeit geht wie in frühe-
ren lagen, wo wirklich ein ganzes Volk, von
wenigen Kassandra-Naturen abgesehen, gleich-
maßig verfiel. Neben dem überall breit wu-
chernden Unkraut sehen wir doch heute überall
neue Triebe hoffnungsfreudig emporwachsen.
Fehlen uns anscheinend die großen Politiker,
so zeigt sich die Nation doch noch immer
ganz unerschöpft in der Hervorbringung künst-
lerischer Naturen. Wie viele von diesen den
Wuchs des Talentes überschreiten, wie viele
sich als bahnbrechende Genies betätigen könn-
ten, läßt sich gar nicht sagen, denn erst in
der Betätigung entwickelt sich die rechte Kraft.
Uns aber fehlt es überall an Aufgaben. Man
denke z. B. an Slevogt, der das Glück hatte,
bei guten, aber keineswegs übermächtigen An-
lagen, schon früh eine „gute Presse" zu finden:
wie reich vermochte er sich unter den Fittichen
des Glückes zu entwickeln! Oder man er-
innere sich, wie das zarte und gewissenhafte
feinfühlige Talent Messels zu bahnbrechen-
den Schöpfungen gelangen konnte, während
weit genialere Köpfe, wie namentlich Bruno
Schmitz, viel brachliegen mußten!
Daß gerade die Architektur am meisten unter
diesem Mangel an Aufgaben leidet, ist natür-
lich. Sie erfordert die größten Mittel, um zu
wirken, denn der architektonische Entwurf mit
seiner Parallelprojektion vermittelt dem Laien
keinen der Wirklichkeit auch nur angenäherten
Eindruck. Da aber der Zweck die Welt regiert,
sind die Mittel für gewaltige Bauten nur ganz
ausnahmsweise vorhanden. Nur solche aber
könnten wieder den Beweis erbringen, daß die
Architektur die führende Kunst zu sein ver-
mag, daß sie Wirkungen erreicht, denen nichts
an die Seite zu setzen ist.
So sehen wir denn, daß unsere hervor-
ragendsten künstlerischen Kräfte von größten
Werken, die einen ganz neuen ästhetischen
Ausdruck und Niederschlag der Strebungen
und Sehnsucht unserer Zeit geben könnten, nur
träumen dürfen. Von der Fülle solcher Gesichte
gab erst kürzlich der Wettbewerb für den Be-
bauungsplan von Groß-Berlin in den Arbeiten
von Bruno Schmitz und Bruno Möhring
hier überwältigende Beweise — Beweise auf
Papier, für verschwiegene Mappen oder höch-
stens für ein menschenleeres Architektur-
museum ! — Das also könnten wir leisten, so
könnten wir bauen und uns mit Schönheit um-
geben, wenn — — ja, wenn die Baukunst nicht
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