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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Schliepmann, Hans: Die Ausstellung als Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0142

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Die Ausstellung als Kunstwerk.

eine so namenlos teure Luxuskunst wäre!
— Und doch: Eine Gelegenheit hat auch die
Baukunst gefunden, noch in unserer Zeit ihre
Größe zu zeigen: die Ausstellungen! Nicht
die Gemäldeausstellungen mit etwas Archi-
tektur nebenbei, nicht die kleinen Veranstal-
tungen besonderer Industrien, sondern die
großen, zu „Ereignissen" geprägten Riesen-
ausstellungen. Auch sie sind ja nicht viel
mehr als Träume, architektonische Träume
eines oder doch weniger Sommer. Ein schöner
Schein, aus dem dienstwilligsten, aber auch im
vergänglichsten Stoffe, über luftigen Holz- oder
Eisengerüsten gewoben als ein Zaubermantel
über einer im letzten Sinne auch wieder — rein
geschäftlichen Unternehmung. Aber mag das
doch sein ! Kunst ist Eindruck ; das Bild, das
wir in einer fernen Gemäldegalerie sehen, ent-
schwindet ebenfalls aus unserer eigenen Wirk-
lichkeit, das Festspiel in Bayreuth lebt nur in
der Erinnerung über die wenigen Stunden der
Aufführung hinaus. So kann auch eine Aus-
stellung uns künstlerische Werte höchsten
Ranges geben, deren Nachwirkung unser ganzes
Leben durchzittert. In der Tat: Es ist uns noch
viel zu wenig bewußt geworden, daß wir in den
großen Ausstellungsveranstaltungen die hervor-
ragendsten Kunstaufgaben der Gegenwart zu
erblicken haben, daß hier „das" Architektur-
kunstwerk der Gegenwart geschaffen worden
ist oder doch geschaffen werden kann.

Freilich, um das einzusehen, müssen wir ein-
mal unsere erst langsam und teuer erworbenen
Erkenntnisse von Zwecklichkeit und Material-
gerechtigkeit etwas aus den Augen setzen, wir
müssen den Glauben an Märchen oder doch
Theaterillusionen mitbringen und dann auch
wieder so starke Illusionsstörungen wie Rummel-
platz und Geschäftsbetrieb verwinden. Gerade
den kritischen Köpfen fällt das schwer, und so
ist denn in der Presse gerade das Problem der
Ausstellung als eines Kunstwerkes nicht recht
der Rede wert gehalten worden. Aber just weil
uns die idealen Aufgaben ewiger Dauer fehlen,
werden wir um der starken unvergleichlichen
Augenblickseindrücke willen den ästhetischen,
auch erzieherisch-ästhetischen, Wert der Aus-
stellungen nicht hoch genug anschlagen können.

Die heurigen Ausstellungen in London und
Brüssel haben mir dies zu lebendiger Erkennt-
nis gebracht. Nur aus den politischen Spann-
ungen zwischen uns und unseren Vettern jenseits
des Kanales ist es zu erklären, daß man hier gar
nicht ahnt, wie Gleichenloses London in seiner
„Japanisch-Britischen Ausstellung" in „Shep-
herds Bush" geschaffen hat. Und nicht erst
heut, sondern schon vor zwei Jahren zur,, Franco-

Britischen" Ausstellung, denn zu dieser sind die
riesigen weißen Bauten errichtet — zum Japa-
nischen passen sie auch im Stile nicht im ge-
ringsten ! Aber was tut für den Gesamteindruck
der Stil? Was tut's im Märchen, ob Sneewitt-
chen im Kostüm des elften oder des fünfzehn-
ten oder sechzehnten Jahrhunderts auftritt?
Alle diese Schnörkel eines rechten „Zucker-
bäckerbarocks", in die der Gips so gern hinein-
fließt: soll man sie mit der philologenhaften
Brille des Stilfanatikers betrachten? Soll man
sie nicht genießen etwa wie die Purzelbäume der
Musik in der Ouvertüre zum Sommernachts-
traum?

Ein Sommernachtstraum ist fürwahr diese
grandiose Ausstellung mit ihrem Palastmaßstab,
ihren wuchtig entwickelten riesigen Achsen und
den dadurch geschaffenen immer wieder neu
sich aufbauenden großartigen Architekturbil-
dern ; besonders der erste, der indische Hof, ist
von höchster Schönheit, gar erst zur Zeit der
blauen Stunde, wenn plötzlich alle Architektur-
linien durch tausende gelblicher Glühlämpchen
nachgezogen werden, wenn im großen Mittel-
bassin die Gondeln goldene Furchen ziehen und
die Wasserkunst in der Mittelachse in wech-
selnden Farben strahlt. Mag auch mit den Ein-
bauten innerhalb des Wasserbeckens etwas zu
viel getan sein: dieser Traum überwältigt und
läßt endlich einmal wieder dieMacht vonGoethes
Göttin, der

ewig beweglichen,

immer neuen

seltsamen Tochter Jovis,

seinem Schoßkinde,

der Phantasie
mit ehrfürchtigen Schauern fühlen. Das aber
braucht unsere Zeit der exakten Wissenschaft
und zerdröselnden Kritik! Daß diese Kunst vom
Ganges entlehnt ist, raubt dem Eindruck keinen
Deut von seiner Größe. Wir bewundern dann
eben aus frischer Erkenntnis — Indien statt
Englands. Aber wir bewundern! Kein Bild
kann uns das so reich geben, denn wir stehen
eben mitten drin in dieser Welt der Formen- und
Farbenwunder, wir leben, träumen lebend in
diesem Märchen aus Tausend und einer Nacht!

Nur einmal habe ich ähnlich Gewaltiges, im
Maßstabe noch weit Mächtigeres gesehen: auf
dem „Forum" der Weltausstellung von Chi-
cago 1903. Keine andere Weltausstellung hat
die Größe dieses Gesamtbildes übertroffen. —
Dagegen nun Brüssel! — Ein großes Kind hat
seine Spielsachen ausgepackt, plundrige Jahr-
marktsware, dazwischen einige bessere Stücke
von guten Tanten! Das ist der erste Gedanke.
Eine plumpe akademische Semesterarbeit das

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