Die Ausstellung als Kunstwerk.
Wir sahen dort so vornehm kultiviert drein, wie
es leider daheim im Leben lange nicht ist. Nun,
dem Ausland gegenüber mag's schon gelten, daß
nur die Denkweise unserer besten Geister zur
Erscheinung kommt. Für die Ausstellungen ist's
sogar Pflicht, eben weil sie das große Gesamt-
kunstwerk der Neuzeit sein können und sein
sollen. Die strenge Zucht, in die unsere Industrie,
namentlich in Darmstadt und München, ge-
nommen worden ist, hat uns auf dem Wege zu
diesem Kunstwerk tüchtig vorwärts gebracht.
Aber vielleicht könnten wir noch Größeres er-
reichen, wenn wir bei der baulichen Gestaltung
der Ausstellungen der Phantasie einmal ruhig
die Zügel noch etwas mehr schießen ließen. Es
ist nur natürlich und in gewissem Sinne auch
gut, daß dies bisher nicht geschehen ist. Nach
den Orgien der Stilklitterung mußte uns erst
einmal die Besinnung kommen ; wir mußten die
Struktur als die Wurzel aller Formengebung
wiedererkennen und mußten dem modernen
Bedürfnis erst den modernen Ausdruck finden.
Aber dabei ist unleugbar ein wenig Lehrhaftig-
keit und Nüchternheit über uns gekommen —
man erinnere sich der rhythmisch so feinen, aber
doch schließlich fast fanatisch wahrhaftigen und
gesucht einfachen Schöpfung Läugers in der
schönen Mannheimer Gartenbau-Ausstellung.
So notwendig uns Einfachheit war, so vornehm
sie zu wirken vermag: den Eintagsschöpfungen
in Eintagswerkstoff einer Ausstellung gegen-
über ist der Purismus mindestens keine Not-
wendigkeit. „München 1908" war gewiß
gut, namentlich als Erziehung zum modernen
Stilgefühl; im Gesamteindruck aber blieb es
ohne rechte Aufrüttelung, ohne den letzten Reiz
des Festlichen, Großartigen; es hatte etwas zu
viel — Gut Bürgerliches, möcht ich sagen.
Selbst die verregnete Berliner Gewerbe-Aus-
stellung 1896 gab in ihrem von Bruno Schmitz
geschaffenen Festplatz da unzweifelhaft weit
mehr. Es war jje überquellende, in großen
reinen Schmuckmotiven sich auslebende Phan-
we'd h'er Ungewonnlichstes Wirklichkeit
wer en lleß, nur nicht in solchen Abmessungen
wie heuer in London.
™ Aufschwung aus dem Zweckgemäßen
zum Uenkmalsmäßigen, aus dem Klugen ins Er-
habene und Unerhörte oder auch dreist nur
einmal ins spielend Phantastische -: das ist's,
was uns Neues geben, neue Anregungen ver-
mitteln und erloschene Empfindungen im Volke
wieder entfachen könnte und was in unserer
Zeit der ewigen Sachlichkeit uns nottäte. Für
uns Deutsche wäre es dabei selbstverständlich,
daß solche Phantasiekunst nicht in den Formen
der Vergangenheit schwelgen, sondern auf eige-
nen Bahnen sich ergehen würde. Die Stilklitte-
rung ist für alle Selbstdenkenden seit Dresden
erledigt. Darum aber würde auch eine solche
deutsche Schöpfung sicher den Gipfel aller
Ausstellungskunst bilden. Wir dürfen an unsere
Künstler glauben! —
Ob es sich um eine „Weltausstellung" han-
delt — an deren letzten praktischen Zweck
auch ich nicht mehr recht glaube — oder um
eine große nationale oder auch nur um eine
große Fachausstellung handelt, ist in ästhe-
tischer Hinsicht einerlei. Für unsere Kunst-
entwicklung aber ist es durchaus notwendig,
daß die große Aufgabe der „Ausstellung als
Kunstwerk" allgemein anerkannt werde.
£ Daß dies z. B. vollständig bei der deutschen
Abteilung für die nächstjährige Ausstel-
lung in Turin übersehen ist, halte ich gerade-
zu für eine schwere Einbuße an nationalem
Ansehen. Nach einem mir vorliegenden „Pro-
spekt", der allen als Aussteller in Betracht
kommenden Industriellen zugegangen ist, wird
da am Po an geradezu unvergleichlich schöner
Stelle ein Riesengebäude für die deutsche Ab-
teilung errichtet, das eine geradezu gottver-
lassene, hilflose, aber großsprecherische, zu-
sammengestümperte, aber formenüberladene
Stilklitterung in italienischer Renaissance als
den Ausdruck „deutscher moderner Kunst" zu
geben wagt. Es ist dringend zu fordern, daß
sich die Leiter der Unternehmung verantwort-
lich darüber äußern, wie sie an so vielen her-
vorragenden deutschen Architekten vorbei-
gehen und die große Aufgabe — wahrscheinlich
natürlich um des schundigen Sparsystems wil-
len! — an eine so völlig unzulängliche Kraft
geben konnten. Hoffentlich fegt die allgemeine
Entrüstung diesen kläglichen Entwurf noch bei-
seite ! Wir hätten sonst Jahrzehnte an der
Scharte zu wetzen, die hier im Dunkeln von
völlig kunstfremden Nur-Kaufleuten der deut-
schen Kunst geschlagen worden ist.
' -Da Derartiges noch heute möglich ist, muß
um so nachdrücklicher nach einer wahrhaft
großendeutschenAusstellung gerufen
werden. Wird Berlin endlich diesen Ruf
hören, das sich seit Jahrzehnten durch kleinere
Kunststädte in den Hintergrund drängen ließ?
Oder werden wir weiter uns mit dem Bewußt-
sein des verkannten Genies begnügen müssen,
daß wir zwar Architekten genug hätten, eine
Unternehmung so prächtig wie die Londoner zu
inszenieren und sie obendrein auch noch in
völlig modernem Geiste zu gestalten — daß
wir aber in Deutschland das Großar-
tige noch niemals zur Wirklichkeit
zumachenvermochten? — h. sch.
1910/11. II. 4.
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Wir sahen dort so vornehm kultiviert drein, wie
es leider daheim im Leben lange nicht ist. Nun,
dem Ausland gegenüber mag's schon gelten, daß
nur die Denkweise unserer besten Geister zur
Erscheinung kommt. Für die Ausstellungen ist's
sogar Pflicht, eben weil sie das große Gesamt-
kunstwerk der Neuzeit sein können und sein
sollen. Die strenge Zucht, in die unsere Industrie,
namentlich in Darmstadt und München, ge-
nommen worden ist, hat uns auf dem Wege zu
diesem Kunstwerk tüchtig vorwärts gebracht.
Aber vielleicht könnten wir noch Größeres er-
reichen, wenn wir bei der baulichen Gestaltung
der Ausstellungen der Phantasie einmal ruhig
die Zügel noch etwas mehr schießen ließen. Es
ist nur natürlich und in gewissem Sinne auch
gut, daß dies bisher nicht geschehen ist. Nach
den Orgien der Stilklitterung mußte uns erst
einmal die Besinnung kommen ; wir mußten die
Struktur als die Wurzel aller Formengebung
wiedererkennen und mußten dem modernen
Bedürfnis erst den modernen Ausdruck finden.
Aber dabei ist unleugbar ein wenig Lehrhaftig-
keit und Nüchternheit über uns gekommen —
man erinnere sich der rhythmisch so feinen, aber
doch schließlich fast fanatisch wahrhaftigen und
gesucht einfachen Schöpfung Läugers in der
schönen Mannheimer Gartenbau-Ausstellung.
So notwendig uns Einfachheit war, so vornehm
sie zu wirken vermag: den Eintagsschöpfungen
in Eintagswerkstoff einer Ausstellung gegen-
über ist der Purismus mindestens keine Not-
wendigkeit. „München 1908" war gewiß
gut, namentlich als Erziehung zum modernen
Stilgefühl; im Gesamteindruck aber blieb es
ohne rechte Aufrüttelung, ohne den letzten Reiz
des Festlichen, Großartigen; es hatte etwas zu
viel — Gut Bürgerliches, möcht ich sagen.
Selbst die verregnete Berliner Gewerbe-Aus-
stellung 1896 gab in ihrem von Bruno Schmitz
geschaffenen Festplatz da unzweifelhaft weit
mehr. Es war jje überquellende, in großen
reinen Schmuckmotiven sich auslebende Phan-
we'd h'er Ungewonnlichstes Wirklichkeit
wer en lleß, nur nicht in solchen Abmessungen
wie heuer in London.
™ Aufschwung aus dem Zweckgemäßen
zum Uenkmalsmäßigen, aus dem Klugen ins Er-
habene und Unerhörte oder auch dreist nur
einmal ins spielend Phantastische -: das ist's,
was uns Neues geben, neue Anregungen ver-
mitteln und erloschene Empfindungen im Volke
wieder entfachen könnte und was in unserer
Zeit der ewigen Sachlichkeit uns nottäte. Für
uns Deutsche wäre es dabei selbstverständlich,
daß solche Phantasiekunst nicht in den Formen
der Vergangenheit schwelgen, sondern auf eige-
nen Bahnen sich ergehen würde. Die Stilklitte-
rung ist für alle Selbstdenkenden seit Dresden
erledigt. Darum aber würde auch eine solche
deutsche Schöpfung sicher den Gipfel aller
Ausstellungskunst bilden. Wir dürfen an unsere
Künstler glauben! —
Ob es sich um eine „Weltausstellung" han-
delt — an deren letzten praktischen Zweck
auch ich nicht mehr recht glaube — oder um
eine große nationale oder auch nur um eine
große Fachausstellung handelt, ist in ästhe-
tischer Hinsicht einerlei. Für unsere Kunst-
entwicklung aber ist es durchaus notwendig,
daß die große Aufgabe der „Ausstellung als
Kunstwerk" allgemein anerkannt werde.
£ Daß dies z. B. vollständig bei der deutschen
Abteilung für die nächstjährige Ausstel-
lung in Turin übersehen ist, halte ich gerade-
zu für eine schwere Einbuße an nationalem
Ansehen. Nach einem mir vorliegenden „Pro-
spekt", der allen als Aussteller in Betracht
kommenden Industriellen zugegangen ist, wird
da am Po an geradezu unvergleichlich schöner
Stelle ein Riesengebäude für die deutsche Ab-
teilung errichtet, das eine geradezu gottver-
lassene, hilflose, aber großsprecherische, zu-
sammengestümperte, aber formenüberladene
Stilklitterung in italienischer Renaissance als
den Ausdruck „deutscher moderner Kunst" zu
geben wagt. Es ist dringend zu fordern, daß
sich die Leiter der Unternehmung verantwort-
lich darüber äußern, wie sie an so vielen her-
vorragenden deutschen Architekten vorbei-
gehen und die große Aufgabe — wahrscheinlich
natürlich um des schundigen Sparsystems wil-
len! — an eine so völlig unzulängliche Kraft
geben konnten. Hoffentlich fegt die allgemeine
Entrüstung diesen kläglichen Entwurf noch bei-
seite ! Wir hätten sonst Jahrzehnte an der
Scharte zu wetzen, die hier im Dunkeln von
völlig kunstfremden Nur-Kaufleuten der deut-
schen Kunst geschlagen worden ist.
' -Da Derartiges noch heute möglich ist, muß
um so nachdrücklicher nach einer wahrhaft
großendeutschenAusstellung gerufen
werden. Wird Berlin endlich diesen Ruf
hören, das sich seit Jahrzehnten durch kleinere
Kunststädte in den Hintergrund drängen ließ?
Oder werden wir weiter uns mit dem Bewußt-
sein des verkannten Genies begnügen müssen,
daß wir zwar Architekten genug hätten, eine
Unternehmung so prächtig wie die Londoner zu
inszenieren und sie obendrein auch noch in
völlig modernem Geiste zu gestalten — daß
wir aber in Deutschland das Großar-
tige noch niemals zur Wirklichkeit
zumachenvermochten? — h. sch.
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