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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Brieger, Lothar: Bildhauer Georg Kolbe - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0223

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Georg Kolbe Berlin.

zu zerstören. Solchen bedeutsamen und tiefen
Werken, in denen kein Pathos, sondern ein
Gefühl konzentrierte Form gewinnt, Bezeich-
nungen zu geben, ist schwer, fast unmöglich.
Wir sehen keine „ Erwartung ", keine „Jungfrau ",
keinen „Helden", sondern das Physiologische
des augenblicklichen Empfindens solcher Art
ist gesehen und geformt.

Wir haben es also mit einer Plastik des Mo-
mentanen zu tun, mit einer Kunst, die den
Augenblick monumentalisiert, indem sie ihn
nach jeder Äußerung hin festhält und ihm seine
Würde und konzentrierte Ständigkeit gibt. Das
ist denn die Stärke
und das unzeitlich
Zeitgemäße von Kol-
bes Kunst. Unser „mo-
dernes" Leben — un-
willkürlich wagt man
im Zeitalter literari-
scher Fruchtbarkeit
solche Worte nur in
Anführungsstrichen
zu setzen — hat dem
Momente, dem Au-
genblick eine Bedeu-
tung eingeräumt, die
er früher nicht besaß.
Es zerfällt in eine un-
endliche Reihe von
Augenblicken, deren
jeder für sich bedeut-
sam ist. Das Momen-
tane spielt die aus-
schlaggebende Rolle,
daher jagt sich das
Leben scheinbar so,
ohne in seiner Summe
eigentlich anders zu
sein als je früheres.
Das ist das Charakte-
ristikum desMenschen
unserer Zeit. Und na-
türlich zeigt sich das
auch im Physiologi-
schen, in der Verände-
rung des ganzen Kör-
pers, seines Aus-
drucksund seiner Ge-
sten. Aber es ist merk-
würdig, daß, während
solches im Leben
schon durchaus aner-
kannt und damit eine
Banalität ist, es in der
Kunst nicht wahr sein
soll, oder zum minde-

bildha.uer. GEORG Kolbe kerlin. »Kniendes Mädchen«

sten noch nicht genügend erkannt ist. Die Pla-
stik der Gegenwart wiederholt im ganzen doch
immer Vergangenes, wehrt sich dagegen, wie sie
doch müßte, ein ganz neues Lernen und Schaffen
auf Grund dieses neuen Lebens zu beginnen.

Hier ist Kolbes Kunst „broken away", und
das hebt sie in die Zukunft. Sie ist die Plastik
des modernen Körpers und seiner Eigenart, die
Plastik des Augenblicks, auf die wir unsere
Augen erst mit einigem lohnenden Zwang ein-
stellen müssen, weil sie von alter Gewohnheit
lange gebunden waren. Und hier muß Kolbe
doch mit einem andern Namen verkoppelt wer-
den : mit Auguste Ro-
din. Est ist interessant
zu sehen, wie zwei
ganz verschiedene
Temperamente, Natu-
ren undPersönlichkei-
ten in verschiedenen
Ländern zu gleicher
Zeit fast dieselben
Wege in die Zukunft
schreiten. Gänzlich
unabhängig von ein-
ander. Kolbes Welt
ist noch nicht so
fest und geschlossen
emporgewachsen um
ihn, sie blüht erst un-
beirrbar und hart-
näckig auf. Aber es
ist bei alledem die
gleiche „Richtung" in
dem Schaffen beider
Künstler, des Künst-
lers Wissen um die
neue Welt des Mo-
mentanen, die neu mit
Ausdauer und Kraft
erobert werden muß.
Es ist ein hartes und
ein großes Werk, dem
Kolbes Arbeit u. Rin-
gen gelten. Ein einsam
Werk, die Eroberung
neuen Besitzes, wäh-
rend sich die anderen
im vorhandenen Be-
sitze freuen. Aber es
ist die echte Schöpfer-
arbeit. Und so wächst
sie denn empor, wo
anderes ' bereits zu
sein vorgibt, und er-
kämpft sich mit Red-
lichkeit ihre Existenz.

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