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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Michel, Wilhelm: Der deutsche Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0247

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Der dcitls-cke Stil.

architekt ludwig hohlwein münchen. Frühstiicks-Zimmer im Hause Dr. M.- München.

Franzosen das gewaltige kulturelle Pathos, das
die Deutschen zwang, die Zeit im Bauwerk und
im Geräte auszuprägen. Vor der ungeheuren
Auf raff ung, die ohne jede zentralisierte Anregung
die denkenden Köpfe diesseits des Rheines er-
griff, den Historizismus aus dem Sattel warf und
in unglaublich kurzem Zeiträume eine mächtige
neue Industrie erstehen ließ — vor dieser ge-
waltigen Kraftäußerung steht Frankreich ohne
Verständnis, mit skeptischem Lächeln, hinter
dem sich ein gutes Teil bedrohter nationaler
Eitelkeit verstecken mag. Denn das ethische
Moment in dieser ästhetischen Revolution ist
dem Genius der französischen Rasse fremd und
feind. Das zeigt sich deutlich in dem Verhält-
nis Frankreichs zu den dekorativen Elementen
im Kunstgewerbe. Selbst wenn uns drüben die
Notwendigkeit einer Reform des kunstgewerb-
lichen Ausdruckes zugegeben wird, steht gleich
dahinter die Frage: aber wozu diese Schmuck-
losigkeit, diese fanatische Schlichtheit? Der
Franzose kommt über die Anschauung, das

Möbel, das Gerät sei in erster Linie ein De-
korationsproblem, nicht hinaus. Was nicht De-
koration ist, gilt ihm kaum als Arbeit. Man be-
trachte nur die in Nancy erscheinende Zeit-
schrift „Art et Industrie ": gewiß ein Blatt und ein
Kreis von Männern, die den besten Willen an
den Tag legen und im ganzen genommen viel-
leicht auf dem richtigen Wege sind. Aber jede
Nummer der Zeitschrift enthält eine Art Mono-
graphie über eine Pflanze mit Naturaufnahmen
und stilisierten oder ornamentalen Umzeich-
nungen, denen man dann wahrscheinlich auf den
Türfüllungen der Möbel, an ihren Friesen, auf
Buchtiteln, Ofenschirmen und Fenstervergla-
sungen wieder begegnen soll.

Frankreich hat sich niemals ernstlich Mühe
gegeben, die Gründe unserer „dekorativen Ent-
haltsamkeit" einzusehen. Es hält heute noch
diese fanatische Schmucklosigkeit für eine un-
mittelbare Ausstrahlung tristen deutschen We-
sens und wertet sie mit barbarischer Naivität
völlig negativ. — wilhelm michel München.

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