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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Falk, Norbert: Franz Christophe - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0265

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Norbert Falk :

FRANZ CHRISTOPHE-BERLIN.

Da alles auf Erden Sohn, Tochter und Enkel
ist und unser leidiges Wissen uns immer
gleich an die Genesis der Dinge denken läßt,
statt daß wir uns am Objekt recht objektiv er-
freuen, so belästigt uns beim ersten Anblick
eines Künstlerphänomens der Gedanke an
dessen Elternschaft, Abkunft, Stammbaum.
Der genealogische Sparren sitzt uns im Kopf.
In der Musik haben ihn die Reminiszenzen-
jäger. In der Literatur tritt er als Plagiatäsie
auf. In der bildenden Kunst bläst er auf den-
selben Flöten, aber hier kommt noch eine
Nuance hinzu: das bildnerische Vortänzer-
tum. Wenn man solcher Art Hofballelemente
ins Gebiet der Abstraktionen überpflanzen darf.

Wenn ich eine Mappe mit den berückend
grazilen, schlanken und geistdurchleuchteten
Zeichnungen Franz Christophes durch-
blättere, so wird mir so ein gelbsüchtiger Haar-
spalter lang und breit zu erzählen beginnen, was
doch die Bekanntschaft mit den japanischen
Holzschneidern für fruchtenden Samen im deut-
schen Kunstland ausgestreut hat, und wie
Beardsley die Brücke ist, über die sie sich alle
drängen. Aber das trifft heute schon jedes
Kind, beim Anblick solcher Blätter zu rufen:
„0, die Japaner! 0, du gepudertes Rokoko!"

Franz Christophe ist, über Th. Th. Heine
hinaus, der eminenteste Japanist. Aber bei wem
der ganze Stil so vollkommen Kunstausdruck
des eigensten Wesens wird wie bei Christophe,
der mag, angeregt durch die gelbe Welle des
Ostens, seine Anlagen zwar erst bewußt ent-
wickelt haben, — im Grunde wäre aber die
Physiognomie seines Oeuvre nicht viel anders
geworden, wenn er vor der Zeit unserer Ja-
panbekanntschaft geschaffen hätte. In dem
schlanken , schmalen, geschmeidig - kantigen
Künstler klingt ein starkes Echo aus den
Glanztagen des französischen Rokoko; die
Schatten getanzter Gavotten und Menuetts
huschen mit kinematographischer Deutlichkeit
durch das Unterbewußtsein dieser subtilen
Künstlerpsyche, und der Geist der gestutzten
Alleen, der theatralischen Lyrik und des leis
aufklärerischen Sarkasmus hätte den feinen,
schlanken, fest den Griffel führenden Fingern
die bizarr-drollige Note diktiert, auch ohne
die Verschwisterung mit der stilisierten Im-
pressionistik der Männer von Nippon. Aber
eine glücklichere Berührung hat es wohl selten
gegeben als die des bewußt zitierten Rokoko-
geistes mit der japanischen Formenseele. Die
mit Varieteparfüms durchdüftete Neuromantik,

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