JOSSE GOOSSENS - MÜNCHEN.
»Hunsrücker Bauernkirmes«
MALER, DICHTER, KRITIKER.
VON FRANZ. SERVAES.
Ein lebender Maler, dem ich den höchsten
, Respekt entgegenbringe, Max Lieber-
mann, hat (im Maiheft von „Kunst und Künst-
ler") den Satz aufgestellt: „Erfindung ist Emp-
findung". In dieser Form ist der Satz nicht zu
halten. Denn wenn die beiden Begriffe gleich-
zusetzen wären, so hätte die Sprache nicht
zweier Worte für sie bedurft. Man kann also
höchstens sagen: die beiden Begriffe sind ein-
ander verwandt. Oder, was hier wohl das
richtigere wäre: der eine (Erfindung) umfaßt
ein selbständiges Teilgebiet des anderen. Der
Satz hätte also in diesem Falle auch lauten
können: Erfindung ist ohne Empfindung nicht
zu denken.
Man halte dies nicht für Wortklauberei. Es
liegen hier größere Gegensätze verborgen, als
man anfangs vermuten sollte. Indem Lieber-
mann die beiden Begriffe einander gleichsetzt,
drückt er das Wesen der Erfindung herab; oder
er"gt es zu sehr ein. Hinter dem Wort „Erfin-
dung" wittert sein Spürsinn etwas anderes,
Fatales: ein Stückchen „Literatur". Und dieses
will er beseitigen. Er will sagen, daß die spe-
zifisch malerische Erfindung völlig frei sei von
literarischer und selbst von poetischer Erfin-
dung; es komme einzig darauf an, daß sie von
Anfang bis zu Ende in wirkliche Empfindung
getaucht sei. „Die Phantasie", sagt er in die-
sem Sinne, „hört nicht da auf, wo die Arbeit
beginnt, sondern sie muß dem Maler bis zum
letzten Pinselstrich die Hand führen." Dieser
letzte Satz zeigt, daß Liebermann jedenfalls
etwas sehr Gutes im Sinne hat. Er sagt es nur zu
absolut, zu diktatorisch. Was insbesondere die
poetische Erfindung angeht, so wird man sie in
derart prinzipieller Weise von der malerischen
Erfindung nicht scheiden können. Man wird nur
sagen dürfen, daß sie der malerischen Erfindung
nicht notwendig eigen sei; daß diese auch ohne
poetischen Einfall ganz gut existieren könne,
vielleicht sogar sicherer, ruhiger und naiver
existiere. Darum wird man aber nicht behaup-
ten dürfen, daß eine Verschmelzung der poeti-
schen mit der malerischen Phantasie „Unsinn"
erzeuge, noch daß etwas Unmalerisches und
deshalb, im besonderen Falle, Unkünstlerisches
notwendigerweise hierbei herauskomme. Wer
wird bei Giorgione, oft auch bei Tizian, wer
wird bei Rembrandt und selbst bei Rubens,
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»Hunsrücker Bauernkirmes«
MALER, DICHTER, KRITIKER.
VON FRANZ. SERVAES.
Ein lebender Maler, dem ich den höchsten
, Respekt entgegenbringe, Max Lieber-
mann, hat (im Maiheft von „Kunst und Künst-
ler") den Satz aufgestellt: „Erfindung ist Emp-
findung". In dieser Form ist der Satz nicht zu
halten. Denn wenn die beiden Begriffe gleich-
zusetzen wären, so hätte die Sprache nicht
zweier Worte für sie bedurft. Man kann also
höchstens sagen: die beiden Begriffe sind ein-
ander verwandt. Oder, was hier wohl das
richtigere wäre: der eine (Erfindung) umfaßt
ein selbständiges Teilgebiet des anderen. Der
Satz hätte also in diesem Falle auch lauten
können: Erfindung ist ohne Empfindung nicht
zu denken.
Man halte dies nicht für Wortklauberei. Es
liegen hier größere Gegensätze verborgen, als
man anfangs vermuten sollte. Indem Lieber-
mann die beiden Begriffe einander gleichsetzt,
drückt er das Wesen der Erfindung herab; oder
er"gt es zu sehr ein. Hinter dem Wort „Erfin-
dung" wittert sein Spürsinn etwas anderes,
Fatales: ein Stückchen „Literatur". Und dieses
will er beseitigen. Er will sagen, daß die spe-
zifisch malerische Erfindung völlig frei sei von
literarischer und selbst von poetischer Erfin-
dung; es komme einzig darauf an, daß sie von
Anfang bis zu Ende in wirkliche Empfindung
getaucht sei. „Die Phantasie", sagt er in die-
sem Sinne, „hört nicht da auf, wo die Arbeit
beginnt, sondern sie muß dem Maler bis zum
letzten Pinselstrich die Hand führen." Dieser
letzte Satz zeigt, daß Liebermann jedenfalls
etwas sehr Gutes im Sinne hat. Er sagt es nur zu
absolut, zu diktatorisch. Was insbesondere die
poetische Erfindung angeht, so wird man sie in
derart prinzipieller Weise von der malerischen
Erfindung nicht scheiden können. Man wird nur
sagen dürfen, daß sie der malerischen Erfindung
nicht notwendig eigen sei; daß diese auch ohne
poetischen Einfall ganz gut existieren könne,
vielleicht sogar sicherer, ruhiger und naiver
existiere. Darum wird man aber nicht behaup-
ten dürfen, daß eine Verschmelzung der poeti-
schen mit der malerischen Phantasie „Unsinn"
erzeuge, noch daß etwas Unmalerisches und
deshalb, im besonderen Falle, Unkünstlerisches
notwendigerweise hierbei herauskomme. Wer
wird bei Giorgione, oft auch bei Tizian, wer
wird bei Rembrandt und selbst bei Rubens,
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