KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
NOVEMBER 1911.
BERLIN. Das erneute Interesse am Werk
Feuerbachs zieht bisher unbekannte Gemälde
aus der Frühzeit ans Licht. Bei Our litt sah man
kürzlich 12 Bilder, zum Teil aus jener Epoche
Feuerbachs, die durch den Einfluß Coutures be-
stimmt ist. Unverkennbar überall, selbst bei den
beiden Frauenköpfen aus 1853 und 54, der starke
Instinkt für reine Malerei; trotj sehr bewußter
dekorativer Absichten. Deutlicher spürt man seine
Empfindlichkeit für zarte malerische Differenzie-
rungen in den späteren Landschaften. Es ist interes-
sant, gerade diese Versuche Feuerbachs kennen
zu lernen, da man sich viel zu sehr auf den späteren
Maler der Iphigenien und Medeen eingestellt
hat. - Die große Hodler-Ausstellung bei Cassirer,
zum Teil aus den Resten der im Sommer in Köln
und Frankfurt gezeigten Kollektion bestehend, ent-
hält Arbeiten aus den frühesten Anfängen des
Künstlers. Seit 1872 (Hodler ist 1853 geboren)
ist fast jedes Jahr mit einem charakteristischen
Erzeugnis vertreten, und so liegt in 79 Bildern,
Studien und Zeichnungen die eigenartige Entwick-
lung dieses Malers zum ersten Male dem Studium
offen. Bis zum Jahre 1890 stritt in Hodler der
Maler des konventionellen Staffeleibildes mit dem
Kompositeur des monumentalen Freskos, bis dann
mit grandioser Konsequenz jener Stil entwickelt
wird, mit dem sich Hodler einen Plarj in der
Kunstgeschichte unserer Zeit endgültig erstritten
hat. — Es ist dann
noch von der ersten
„juryfreien Kunst-
schau" zu berichten.
Die an sich plausible
Idee bedarf, nach-
dem der vorjährige
Versuch in München
genugsam diskutiert
worden ist, keiner
eingehenden Erörte-
rung; bleibt die kri-
tische Sichtung die-
ser Berliner Veran-
staltung. In wenig
geeigneten Räumen
des Hauses Pots-
damerstraße 39 hat
man mehr als 1000
Nummern von Male-
rei und Graphik und
einige wenige Plasti-
ken schlecht und
CUNO AMIET.
recht untergebracht. Unter den Malereien herrscht,
damit mußte man rechnen, bei weitem der Dilettan-
tismus und die Talentlosigkeit vor. Zahlreiches
Mittelgut, unter dem sich besonders viele Arbeiten
von Frauen finden, und ein paar solide Arbeiten
älteren Stils sind dann weiterhin zu konstatieren.
Endlich die Erzeugnisse der Modernsten, der Ver-
treter des „dekorativen Impressionismus", darunter
eine Anzahl der Gründer der „Neuen Secession".
So habe ich in dieser Ausstellung nichts gesehen,
was nicht die tolerante große Kunstausstellung
oder die ebenso tolerante „Neue Secession" auch
hätte akzeptieren können. Und ich fand nur wenig,
was der alten Secession würdig gewesen wäre.
Immerhin ein schlimmes Zeichen! Sind aber die
Veranstalter selbst von diesem Versuch befriedigt?
War es ihre Absicht, dem Dilettantismus und dem
Durchschnitt auf die Beine zu helfen? In der Kunst
gilt immer nur das beträchtliche Talent. Oder
wünschte man Entdeckungen zu machen von ver-
kannten und im Dunkel ringenden Genies? Unsere
Kultur ist viel zu sehr auf die bildenden Künste
eingestellt, als daß wirklich Gutes lange verborgen
bleiben könnte. Von ihrer Notwendigkeit kann
diese juryfreie Kunstschau nicht überzeugen. So
wäre ihre Dauer abzuwarten. — dr. ewald Bender.
KÖLN. Ausstellung „Kölner Privatbesiß". Aus
Anlaß des 50jährigen Bestehens des Wall-
raf- Richartj -Mu-
seums zu Köln hat
Direktor Dr. Hagel-
stange eine Ausstel-
lung von Werken
neuzeitlicher Kunst
aus Kölner Privat-
besiß zusammenge-
bracht. Man emp-
fängt die Uberzeug-
ung, daß die Kölner
Kunstfreunde sich
nicht zufrieden geben
mit mittelmäßiger
Akademiemalerei,
daß man vielmehr
das Persönliche im
Kunstwerk sucht und
temperamentvolle,
starke Eindrücke bie-
tende Werke einer
schwächlichen Kom-
promißkunst vorzieht.
Ausstellung: »Kölner Privatbesitze »MUTTER U. KIND«
28l
NOVEMBER 1911.
BERLIN. Das erneute Interesse am Werk
Feuerbachs zieht bisher unbekannte Gemälde
aus der Frühzeit ans Licht. Bei Our litt sah man
kürzlich 12 Bilder, zum Teil aus jener Epoche
Feuerbachs, die durch den Einfluß Coutures be-
stimmt ist. Unverkennbar überall, selbst bei den
beiden Frauenköpfen aus 1853 und 54, der starke
Instinkt für reine Malerei; trotj sehr bewußter
dekorativer Absichten. Deutlicher spürt man seine
Empfindlichkeit für zarte malerische Differenzie-
rungen in den späteren Landschaften. Es ist interes-
sant, gerade diese Versuche Feuerbachs kennen
zu lernen, da man sich viel zu sehr auf den späteren
Maler der Iphigenien und Medeen eingestellt
hat. - Die große Hodler-Ausstellung bei Cassirer,
zum Teil aus den Resten der im Sommer in Köln
und Frankfurt gezeigten Kollektion bestehend, ent-
hält Arbeiten aus den frühesten Anfängen des
Künstlers. Seit 1872 (Hodler ist 1853 geboren)
ist fast jedes Jahr mit einem charakteristischen
Erzeugnis vertreten, und so liegt in 79 Bildern,
Studien und Zeichnungen die eigenartige Entwick-
lung dieses Malers zum ersten Male dem Studium
offen. Bis zum Jahre 1890 stritt in Hodler der
Maler des konventionellen Staffeleibildes mit dem
Kompositeur des monumentalen Freskos, bis dann
mit grandioser Konsequenz jener Stil entwickelt
wird, mit dem sich Hodler einen Plarj in der
Kunstgeschichte unserer Zeit endgültig erstritten
hat. — Es ist dann
noch von der ersten
„juryfreien Kunst-
schau" zu berichten.
Die an sich plausible
Idee bedarf, nach-
dem der vorjährige
Versuch in München
genugsam diskutiert
worden ist, keiner
eingehenden Erörte-
rung; bleibt die kri-
tische Sichtung die-
ser Berliner Veran-
staltung. In wenig
geeigneten Räumen
des Hauses Pots-
damerstraße 39 hat
man mehr als 1000
Nummern von Male-
rei und Graphik und
einige wenige Plasti-
ken schlecht und
CUNO AMIET.
recht untergebracht. Unter den Malereien herrscht,
damit mußte man rechnen, bei weitem der Dilettan-
tismus und die Talentlosigkeit vor. Zahlreiches
Mittelgut, unter dem sich besonders viele Arbeiten
von Frauen finden, und ein paar solide Arbeiten
älteren Stils sind dann weiterhin zu konstatieren.
Endlich die Erzeugnisse der Modernsten, der Ver-
treter des „dekorativen Impressionismus", darunter
eine Anzahl der Gründer der „Neuen Secession".
So habe ich in dieser Ausstellung nichts gesehen,
was nicht die tolerante große Kunstausstellung
oder die ebenso tolerante „Neue Secession" auch
hätte akzeptieren können. Und ich fand nur wenig,
was der alten Secession würdig gewesen wäre.
Immerhin ein schlimmes Zeichen! Sind aber die
Veranstalter selbst von diesem Versuch befriedigt?
War es ihre Absicht, dem Dilettantismus und dem
Durchschnitt auf die Beine zu helfen? In der Kunst
gilt immer nur das beträchtliche Talent. Oder
wünschte man Entdeckungen zu machen von ver-
kannten und im Dunkel ringenden Genies? Unsere
Kultur ist viel zu sehr auf die bildenden Künste
eingestellt, als daß wirklich Gutes lange verborgen
bleiben könnte. Von ihrer Notwendigkeit kann
diese juryfreie Kunstschau nicht überzeugen. So
wäre ihre Dauer abzuwarten. — dr. ewald Bender.
KÖLN. Ausstellung „Kölner Privatbesiß". Aus
Anlaß des 50jährigen Bestehens des Wall-
raf- Richartj -Mu-
seums zu Köln hat
Direktor Dr. Hagel-
stange eine Ausstel-
lung von Werken
neuzeitlicher Kunst
aus Kölner Privat-
besiß zusammenge-
bracht. Man emp-
fängt die Uberzeug-
ung, daß die Kölner
Kunstfreunde sich
nicht zufrieden geben
mit mittelmäßiger
Akademiemalerei,
daß man vielmehr
das Persönliche im
Kunstwerk sucht und
temperamentvolle,
starke Eindrücke bie-
tende Werke einer
schwächlichen Kom-
promißkunst vorzieht.
Ausstellung: »Kölner Privatbesitze »MUTTER U. KIND«
28l