DAS PORTRÄT UND DIE PHOTOGRAPHIE.
VON DR. PAUL FECHTER.
Alle Angriffe gegen den Naturalismus in der
L bildenden Kunst, alle Erörterungen der
Stilprobleme in Malerei und Plastik erleiden
an einer Stelle eine Umbiegung: sobald man
an die Diskussion der spezifischen Aufgaben
des Porträts herantritt. Das Betonen rein
formaler Prinzipien tritt hier zurück hinter
den Forderungen des Gegenständlichen; der
Akzent lie£l auf dem Objekt, die Freiheit
wird Notwendigkeit — und der eben erst eli-
minierte Naturalismus ersteht, scheinbar we-
nigstens, mit frischer Kraft von neuem.
Es ist kein Zufall, daß gerade an diesem
Punkte die Photographie zuerst den Versuch
eines Wettbewerbs mit der Kunst unternom-
men und hier ihre ersten wirklichen Erfolge
erzielt hat. Aus einem durchaus gesunden
Instinkt erwuchsen die ersten primitiven Ver-
suche, rein sachlich die Züge der menschlichen
Erscheinung, in denen sich ihr wesentliches
ausdrückt, festzuhalten — und aus dem glei-
chen Instinkt setzten hier zuerst die Bestre-
bungen ein, diese Resultate der Photographie
soweit als möglich zu ästhetischen Werten zu
erheben. Man empfand mehr oder weniger
unbewußt, daß zwischen den besonderen Auf-
gaben des Porträts, die ihm seine Sonder-
stellung innerhalb der bildenden Kunst an-
weisen, und den Mitteln der Photographie
Beziehungen bestehen, von denen aus die
Versuche einer künstlerischen Ausgestaltung
ihrer Ergebnisse am ersten Erfolg versprechen.
Jede freie künstlerische Betätigung ist Ge-
staltung, Formung, Ausdruck erlebter An-
schauungswerte. Die Hand löst aus dem durch
das Auge Empfangenen, in den künstlerischen
Schichten der Seele Erlebten die reinen Sicht-
barkeitswerte — sei es direkt vor der Natur,
sei es, nachdem das Erlebnis sich seine spe-
zifische Form geschaffen hat. Die Umwelt ist
nur Material; die Schönheit der Dinge wird
dem neuen Gesetz der Schönheit des Werkes
untergeordnet. Das gilt für alle Gebiete künst-
lerischer Betätigung — bis auf das Porträt.
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VON DR. PAUL FECHTER.
Alle Angriffe gegen den Naturalismus in der
L bildenden Kunst, alle Erörterungen der
Stilprobleme in Malerei und Plastik erleiden
an einer Stelle eine Umbiegung: sobald man
an die Diskussion der spezifischen Aufgaben
des Porträts herantritt. Das Betonen rein
formaler Prinzipien tritt hier zurück hinter
den Forderungen des Gegenständlichen; der
Akzent lie£l auf dem Objekt, die Freiheit
wird Notwendigkeit — und der eben erst eli-
minierte Naturalismus ersteht, scheinbar we-
nigstens, mit frischer Kraft von neuem.
Es ist kein Zufall, daß gerade an diesem
Punkte die Photographie zuerst den Versuch
eines Wettbewerbs mit der Kunst unternom-
men und hier ihre ersten wirklichen Erfolge
erzielt hat. Aus einem durchaus gesunden
Instinkt erwuchsen die ersten primitiven Ver-
suche, rein sachlich die Züge der menschlichen
Erscheinung, in denen sich ihr wesentliches
ausdrückt, festzuhalten — und aus dem glei-
chen Instinkt setzten hier zuerst die Bestre-
bungen ein, diese Resultate der Photographie
soweit als möglich zu ästhetischen Werten zu
erheben. Man empfand mehr oder weniger
unbewußt, daß zwischen den besonderen Auf-
gaben des Porträts, die ihm seine Sonder-
stellung innerhalb der bildenden Kunst an-
weisen, und den Mitteln der Photographie
Beziehungen bestehen, von denen aus die
Versuche einer künstlerischen Ausgestaltung
ihrer Ergebnisse am ersten Erfolg versprechen.
Jede freie künstlerische Betätigung ist Ge-
staltung, Formung, Ausdruck erlebter An-
schauungswerte. Die Hand löst aus dem durch
das Auge Empfangenen, in den künstlerischen
Schichten der Seele Erlebten die reinen Sicht-
barkeitswerte — sei es direkt vor der Natur,
sei es, nachdem das Erlebnis sich seine spe-
zifische Form geschaffen hat. Die Umwelt ist
nur Material; die Schönheit der Dinge wird
dem neuen Gesetz der Schönheit des Werkes
untergeordnet. Das gilt für alle Gebiete künst-
lerischer Betätigung — bis auf das Porträt.
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