Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

DOI article:
Frank, Wilhelm: Reise und Kunstgenuss
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0081

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
M- ZÜRCHER- FLORENZ

VILLA RIPOSO DEI VESCOVI.

REISE UND KUNSTGENUSS.

VOM WILHELM FRANK.

In der Kunst des Reisens gibt es seit Jahren
eine sezessionistische Bewegung. Sie ver-
leumdet den Baedeker, sie verleumdet die
großen Galerien und Attraktionen, sie möchte
durchaus den Reisenden zu einem Erleben
des fremden Landes bringen, indem sie ihn von
der Heerstraße abführt in die Winkel, die
Winkel der Kultur und der Kunst.

Vieles ist an dieser Bewegung gut. Aber
indem sie das Schauen zu mindern sucht gegen-
über dem Erleben, birgt sie doch eine Gefahr.

Die „Erledigung" der großen Galerien ist
eine Strapaze, und das Reisen soll keine Stra-
paze sein. Warum nicht? Ich bin durchaus
gegenteiliger Meinung. Arbeit und Anstren-
gung, die das Aufsuchen und Würdigen der im
fremden Lande hoch aufgehäuften Kunstschätze
erfordern, zählen vielleicht zu den ergiebigsten
Strapazen, denen sich der Mensch unterziehen

kann. Geht man ihnen, als Sezessionist des
Reisens, aus dem Wege, so macht man sich
einer schweren Unterlassungssünde schuldig.
Denn die psychologische Situation
des Reisenden ist dem Kunstgenüsse auf ein-
zige Weise günstig. Sie nicht auszunützen, ist
Vergeudung und Verschleuderung. Ich behaupte
also nichts anderes, als daß der Kunstgenuß
auf der Reise unvergleichlich ergiebiger ist als
zu Hause; daß Werke derselben Qualität, zu
Hause gesehen, lange nicht den Reingewinn an
Beglückung liefern, als wenn sie auf der Reise
mit aufgerüttelten und an volle Tätigkeit ge-
wöhnten Sinnen genossen werden.

Die Seele jedes Reisenden ist einzig auf das
Aufnehmen eingestellt. Eine Reise bedeutet
nicht nur eine Ortsveränderung, sondern in
erster Linie eine durchgreifende Gemütsrevolu-
tionierung, ein Aufgeben des eigenen aktiven

'»u/u. I.

67
 
Annotationen