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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Roessler, Arthur: Bildhauer Jan Stursa, Prag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0463

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BILDHAUER JAN STURSA-PRAG.

VON ARTHUR ROESSLER WIEN.

Manchesmal steigt aus dunkeln Tiefen ein
schmerzendes Mißtrauen gegen den
Künstler in uns empor. Wir sind dann geneigt
zu glauben, daß der Künstler uns bei der ange-
strebten Verwirklichung des Verlangens, die
Welt durch das Sehen zu erfassen, hindere, daß
er sich störend zwischen uns und die Schön-
heiten der Natur stelle, sie verdecke und uns
für sie Surrogate darbiete. Wir sind in diesem
Zustand mißlaunig, halb verärgert, halb gelang-
weilt. Wenn wir uns jedoch hernach recht be-
sinnen, wird uns klar, daß wir nur in verein-
zelten Fällen, nur im besonderen, nicht im all-
gemeinen das Recht haben, mißtrauisch zu sein,
das heißt, daß wir nur einzelnen, die uns mit
ihren gauklerischen Hervorbringungen Kunst
vortäuschen möchten, mißtrauen dürfen, aber
nicht der Kunst überhaupt, da sie es ist, wo-
durch wir das Schöne — auch in der Natur —
empfinden lernten.

Nun ist die Kunst aber immer mit dem
Manne, und am liebsten mit einem nach keinem
Vorbilde zu bemessenden, von keinem Nach-
folger zu verdunkelnden, eigenartigen Manne.
Die Kunst ist mit dem Manne, weil sie seiner
spezifisch männlichen Kraft bedarf, um ihre
Geschöpfe aus dem dunkeltiefen Urgrund jener
schaffenden Naturgewalten, die im Wesen des
Menschen verborgen enthalten sind, — und
deren Vorgänge stets ein Geheimnis für den
Beobachter bleiben, weil er sie nur an den sinn-
fällig gewordenen Merkmalen ihrer Tätigkeit zu
erkennen vermag, aber nicht in ihrer Tätigkeit
selbst — anschaulich, sinnlich erfaßbar an den
hellen Tag zu heben. Wir können demnach auf
den Künstler nicht verzichten. Wir müssen ihm
trauen, vertrauen, auch dann, wenn wir ihn und
sein Werk nicht gleich verstehen. Ja, wir müssen
sogar dem noch unverstandenen Künstler am
meisten vertrauen, da er ein Eroberer sein
könnte, ein Vorläufer, ein Voraussichtiger, der
Dinge sieht und gestaltet, die wir noch nicht
sahen; ist es uns doch darum zu tun, unser Be-
wußtsein von der Sichtbarkeit der Welt zu ver-
feinern und zu bereichern.

Die meisten Menschen sind allerdings so be-
schaffen, „daß sie außerhalb des Begriffes und
seiner folgerechten Handhabung überhaupt kein
Geistesleben sich denken können," vielmehr
wähnen, ein sinnlich Anschauliches, mit dem

sie keine schulmäßig erworbene Vorstellung
verbinden können, müsse notwendig gehaltlos
sein. Sie ziehen als Gebärdenausdruck des
Zweifels und der Geringschätzung die Schultern
hoch, wenn man ihnen sagt, das Kunstwerk
bleibe immer etwas Geheimnisvolles, der prak-
tischen Spekulation Entrücktes, von dessen
eigentlichem Wesen wir nichts Konkretes aus-
sagen können, das nur erfühlt zu werden ver-
mag. Und sie lächeln ungläubig, wenn man be-
hauptet, daß die Kunst gar nicht mit der Natur
wetteifern will, daß sie nur Ausdruck, aller-
dings der auf das höchste gesteigerte, sinnlich
erfaßbare Ausdruck eines Erlebens ist, von dem
in der Form der allgemeinen Denk- und Sprach-
weise nicht Kunde gegeben werden kann. Sie
bleiben Skeptiker, bis auch sie einmal der
Stimmungsmacht der Kunst unterliegen; denn
es gab noch keinen Menschen, der dauernd
unempfindlich geblieben wäre für die Wir-
kungen der Kunst.

Die Kunst macht uns anschaulich, was wir
zuvor nicht zu sehen vermochten. Sie verwan-
delt die kärgste Landfläche in ein zauberhaftes
Gefilde, den plumpen Ochsen in ein Wunder
der Form, den Kehrichthaufen in ein Wunder
der Farbe. Der Staub wird durch die Kunst
zu gleißendem, glitzerndem Goldpulver und
widerlicher Straßenkot zu juwelenhaft leuch-
tenden Farbflüssen. Was wir vordem für gar-
stig hielten, wird schön durch die Kunst. Sie
beseligt uns sinnlich, aber ihre Sinnlichkeit ist
keusch. Die Kunst ruft beschwörend Eva aus
dem Wüstengrab, und Eva folgt dem bannenden
Ruf und tritt in rührender Nacktheit zaghaft
lockend mit dem Apfel vor uns hin. Die Kunst
erfüllt eine Menschenform mit dem ungeheueren
Erstaunen über das Phänomen des Daseins und
läßt diese innere Bewegung in einer herrlichen
Gebärde äußerlich wahrnehmbar werden und
durch den Künstler verewigen. Die Kunst zeigt
uns die Melancholie der Seele und des Leibes
in den anmutig schlanken Gliedern eines Mäd-
chens, das sich zum Weibe wandelt, und sie
zeigt uns,wie aus dem zarten und gebrechlichen
Gefäß eines anderen Jungmädchenkörpers das
scheue Leben entflieht, und wie die edel - ge-
schmeidige Form dennoch wundersam belebt
bleibt durch die verewigenden Mittel der Kunst.
Sie zeigt uns den Jüngling in seiner Weltsehn-
 
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