VON DER GELASSENHEIT
BEIM BETRACHTEN DER KUNSTWERKE.
VON HANS THOMA KARLSRUHE.
Da ich gegenwärtig zur Erholung in der
Sommerfrische bin und nichts tun soll, so
habe ich Zeit dazu, meine Ansicht auszu-
sprechen, „wie es der gebildete Laie anstellen
könnte, um in ein innigeres Verhältnis zur zeit-
genössischen Kunst zu gelangen". — So unge-
fähr lautete ja der Wunsch, mit dem Sie mich
aufforderten, etwas für Ihre geschätzte Zeit-
schrift beizutragen. Ich möchte meine Meinung
m wenig Sätzen sagen, das ist aber nicht leicht,
denn ich bin nicht willens, diese Sätze auch
beweisen zu wollen und muß es dem Leser
überlassen, ob er damit einverstanden sein will.
Fr wird wohl viel Selbstverständliches finden,
das man ihm nicht zu sagen brauchte, er wird
manches als unrichtig zu korrigieren haben, —
aber dazu red't man ja miteinander.
Vor allen Dingen möchte ich dem Betrachter,
°er in ein gutes Verhältnis zu den Kunstwerken
Rommen will, anraten, daß er seine volle Ge-
lassenheit bewahren möge; vor allen Dingen
ute er sich vor verkehrtem Enthusiasmus. Ich
^emedenBetrachter,der gleich zornig wird,wenn
P^J ein Werk nicht gefällt. Maßvoller, richtiger
^erjUsiasmus ist aber nicht schlimm, wenn ein
dg/p 'nm Freude macht; denn alle Äußerungen
ggj^ reude sind gesund und hier liegen sie auch
so t lm ^n*eresse des Künstlers, da sie sich oft
P-. r,steigern bis zum Ankauf seines Werkes.
G" ,
r^^'^hen Gleichmut sollten aber diejenigen
' bewahren, die nicht daran denken,
zu kaufen, — denn für das geringe
Antritts
Weik
be • ,"'ts^e^' das man für eine Ausstellungs-
^sjehtigung ausgibt, ist es wirklich nicht der
in 7le 'Wert, in besondere Erregung oder gar
k?rn zu geraten.
ein W n£llli£e Gelassenheit läßt sich Zeit dazu,
ein ei j ZU betrachten, denn sie will entweder
gar kein105 ^r*e'" darüber haben oder lieber
'SL daß 6S ' s'e we'ß' daß es gar nicht nötig
Denn jjj1^111 über alles ein Urleil haben muß.
Vor ]au^e ann es leicht dazu kommen, daß man
einem ' \Y ^ar n'cn' dahinter kommt, ob
doch T ^e^"^ oder nicht, und das wäre
wohl 1,6 Ptsacbe für den Beschauer so-
beide aU°h für den Künstler, und würde die
^en W gute Beziehungen bringen.
binteenrtnidie richliße Gelassenheit einmal da-
so kö Sekommen ist, daß ein Werk ihr gefällt,
°nnen sämtliche Kritiker der Welt sie nicht
daran irre machen, sie wird sich deshalb vor
allen Dingen darum bemühen, zu erfahren, ob
es ihr gefällt, — das ist doch die Hauptsache.
Wenn es ihr nicht gefällt, so wird sie gelassen
daran vorbeigehen, oder wenn sie im Zweifel
wäre, so wird sie es wohl später wieder ruhig
ansehen; es kommt vor, daß es ihr alsdann doch
gefällt. — Der höchste Akt des Gefallens ist
das Besilzergreifen des Werkes, und diejenigen,
welchen der materielle Besitz des Werkes ver-
sagt ist, können und werden von demselben
geistigen Besitz ergreifen. Das ist ja ein beson-
derer Vorzug des Kunstwerkes, daß es in gei-
stigen Besitz sich umwandeln läßt.
Wenn einer eine Meinung über etwas hat,
so möchte er sie auch als allgemeingiltig ange-
sehen wissen, das ist auch bei Kunstmeinungen
der Fall, darum der viele Streit. Bei Kunst-
werken gibt es keine feste Norm, nach der man
urteilen könnte, und die beweglichen Meinungen
schon bezeugen es, daß ein beweglicher Geistes-
hauch von ihnen ausgehen muß, der den einen
so, den andern anders berührt, ein Hauch,
der mehr empfunden als verstanden werden
kann. Es kommt ganz darauf an, ob der Be-
schauer dem seelischen Vorgang, der beim Ent-
stehen des Werkes mitgewirkt hat, folgen kann
oder folgen will.
Meist hat ein kritischer Beschauer viel zu
wenig Zeit, denn seine Natur drängt ihn dazu,
gleich darüber zu urteilen, oder es nicht der
Mühe wert zu hallen, Zeit daraul zu verwenden.
Es soll bei Kunsterzeugnissen öfters vor-
kommen, daß einem etwas gefällt, ohne daß
man es versteht. Ich halte das für keinen Fehler,
denn es kommt dies auch bei Naturerzeugnissen
fast täglich vor. Das Gefallen ist wichtiger als
das Verstehen — denn der Kunstgenuß beruht
auf ihm. Man kann das Gefallen auch als ein
intimeres Verstehen betrachten, ein Verstehen,
das nicht zum Rechenexempel geworden ist.
Der Künstler ist im allgemeinen mehr be-
friedigt von dem Beschauer, dem sein Werk
gefällt, als von dem, der es versteht — ich will
aber niemand zu nahe treten, es kann auch
Künstler geben, denen es umgekehrt lieber ist.
Gutes Urteil ist nicht hoch genug zu schätzen,
jedoch kann auch das beste Urteil kein Kunst-
werk hervorbringen, außer wenn der Urteiler
auch zugleich ein Könner ist — was ja bei dem
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BEIM BETRACHTEN DER KUNSTWERKE.
VON HANS THOMA KARLSRUHE.
Da ich gegenwärtig zur Erholung in der
Sommerfrische bin und nichts tun soll, so
habe ich Zeit dazu, meine Ansicht auszu-
sprechen, „wie es der gebildete Laie anstellen
könnte, um in ein innigeres Verhältnis zur zeit-
genössischen Kunst zu gelangen". — So unge-
fähr lautete ja der Wunsch, mit dem Sie mich
aufforderten, etwas für Ihre geschätzte Zeit-
schrift beizutragen. Ich möchte meine Meinung
m wenig Sätzen sagen, das ist aber nicht leicht,
denn ich bin nicht willens, diese Sätze auch
beweisen zu wollen und muß es dem Leser
überlassen, ob er damit einverstanden sein will.
Fr wird wohl viel Selbstverständliches finden,
das man ihm nicht zu sagen brauchte, er wird
manches als unrichtig zu korrigieren haben, —
aber dazu red't man ja miteinander.
Vor allen Dingen möchte ich dem Betrachter,
°er in ein gutes Verhältnis zu den Kunstwerken
Rommen will, anraten, daß er seine volle Ge-
lassenheit bewahren möge; vor allen Dingen
ute er sich vor verkehrtem Enthusiasmus. Ich
^emedenBetrachter,der gleich zornig wird,wenn
P^J ein Werk nicht gefällt. Maßvoller, richtiger
^erjUsiasmus ist aber nicht schlimm, wenn ein
dg/p 'nm Freude macht; denn alle Äußerungen
ggj^ reude sind gesund und hier liegen sie auch
so t lm ^n*eresse des Künstlers, da sie sich oft
P-. r,steigern bis zum Ankauf seines Werkes.
G" ,
r^^'^hen Gleichmut sollten aber diejenigen
' bewahren, die nicht daran denken,
zu kaufen, — denn für das geringe
Antritts
Weik
be • ,"'ts^e^' das man für eine Ausstellungs-
^sjehtigung ausgibt, ist es wirklich nicht der
in 7le 'Wert, in besondere Erregung oder gar
k?rn zu geraten.
ein W n£llli£e Gelassenheit läßt sich Zeit dazu,
ein ei j ZU betrachten, denn sie will entweder
gar kein105 ^r*e'" darüber haben oder lieber
'SL daß 6S ' s'e we'ß' daß es gar nicht nötig
Denn jjj1^111 über alles ein Urleil haben muß.
Vor ]au^e ann es leicht dazu kommen, daß man
einem ' \Y ^ar n'cn' dahinter kommt, ob
doch T ^e^"^ oder nicht, und das wäre
wohl 1,6 Ptsacbe für den Beschauer so-
beide aU°h für den Künstler, und würde die
^en W gute Beziehungen bringen.
binteenrtnidie richliße Gelassenheit einmal da-
so kö Sekommen ist, daß ein Werk ihr gefällt,
°nnen sämtliche Kritiker der Welt sie nicht
daran irre machen, sie wird sich deshalb vor
allen Dingen darum bemühen, zu erfahren, ob
es ihr gefällt, — das ist doch die Hauptsache.
Wenn es ihr nicht gefällt, so wird sie gelassen
daran vorbeigehen, oder wenn sie im Zweifel
wäre, so wird sie es wohl später wieder ruhig
ansehen; es kommt vor, daß es ihr alsdann doch
gefällt. — Der höchste Akt des Gefallens ist
das Besilzergreifen des Werkes, und diejenigen,
welchen der materielle Besitz des Werkes ver-
sagt ist, können und werden von demselben
geistigen Besitz ergreifen. Das ist ja ein beson-
derer Vorzug des Kunstwerkes, daß es in gei-
stigen Besitz sich umwandeln läßt.
Wenn einer eine Meinung über etwas hat,
so möchte er sie auch als allgemeingiltig ange-
sehen wissen, das ist auch bei Kunstmeinungen
der Fall, darum der viele Streit. Bei Kunst-
werken gibt es keine feste Norm, nach der man
urteilen könnte, und die beweglichen Meinungen
schon bezeugen es, daß ein beweglicher Geistes-
hauch von ihnen ausgehen muß, der den einen
so, den andern anders berührt, ein Hauch,
der mehr empfunden als verstanden werden
kann. Es kommt ganz darauf an, ob der Be-
schauer dem seelischen Vorgang, der beim Ent-
stehen des Werkes mitgewirkt hat, folgen kann
oder folgen will.
Meist hat ein kritischer Beschauer viel zu
wenig Zeit, denn seine Natur drängt ihn dazu,
gleich darüber zu urteilen, oder es nicht der
Mühe wert zu hallen, Zeit daraul zu verwenden.
Es soll bei Kunsterzeugnissen öfters vor-
kommen, daß einem etwas gefällt, ohne daß
man es versteht. Ich halte das für keinen Fehler,
denn es kommt dies auch bei Naturerzeugnissen
fast täglich vor. Das Gefallen ist wichtiger als
das Verstehen — denn der Kunstgenuß beruht
auf ihm. Man kann das Gefallen auch als ein
intimeres Verstehen betrachten, ein Verstehen,
das nicht zum Rechenexempel geworden ist.
Der Künstler ist im allgemeinen mehr be-
friedigt von dem Beschauer, dem sein Werk
gefällt, als von dem, der es versteht — ich will
aber niemand zu nahe treten, es kann auch
Künstler geben, denen es umgekehrt lieber ist.
Gutes Urteil ist nicht hoch genug zu schätzen,
jedoch kann auch das beste Urteil kein Kunst-
werk hervorbringen, außer wenn der Urteiler
auch zugleich ein Könner ist — was ja bei dem
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