Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

DOI article:
Schulze, Otto: Stilsorgen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0240

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
■m

r

Iii1'*"*" ^

pir
fYir

14

■ . m



-—^



-Ti



PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL.

Cavalierhaus des Schlosses Seeleiten.

STILSORGEN.

Wir haben es nachgerade eingesehen, daß
wir einen Zeitstil nicht gewaltsam schaf-
fen können; nicht der Einzelne, die sogenannte
starke Persönlichkeit, nicht die Gruppe, die
sich auf das Bekenntnis solcher Persönlichkeit
stilistisch festlegte, nicht ein ganzes Volk unter
einem mächtigen pracht- und kunstliebenden
Herrscher, und wäre es ein Louis XIV., ver-
möchte es, unserer Zeit einen Stil zu geben.
Wir haben Stile in Hülle und Fülle, die Muster-
karte ist groß und reich besetzt, aber — einen
Stil haben wir zunächst nicht und werden ihn
auch in absehbarer Zeit nicht haben. Wenn
wir unter Stil in kunstgeschichtlichem Sinne
den Gesamtausdruck des Lebens einer be-

stimmten Zeitspanne verstehen, so finden wir
es begreiflich, daß bei dem immer stärkeren
Hervortreten des Eigen- und Sonderwillens
aller Schaffenden und Genießenden ein Kultur-
niederschlag großen Stils nicht erfolgen kann.
Wir können hierbei Eigenwillen getrost mit
Eigensinn übersetzen, denn es ist vielfach nur
das Beharrungsvermögen der persönlichen Ein-
bildung im Erfassen der Botschaft, der Retter
des Volkes in künstlerischen Dingen zu sein.

Bleibt ein schöpferisch tätiger eigensinniger
Sonderwillen an bescheidener Stelle, dann
schafft er vielleicht den Warengehalt und For-
mentyp eines Fabrikunternehmens; wenn es
bei einer ähnlich gearteten Natur weiter reicht,

226
 
Annotationen