Dr. A. E. Brilickmann Aachen:
RAUMBILDUNG IN DER BAUKUNST.
VON DR. A. E. BRINCKMANN—AACHEN.
Es muß auffallen, daß in den meisten archi-
> tektonischen Analysen und baugeschicht-
lichen Abhandlungen in erster Linie von den
Bauformen als solchen gehandelt wird und man
über der plastischen Erscheinung der Materie
das Endresultat des architektonischen Gestal-
tens, die Bildung des Raumes, das Heraus-
schneiden eines bestimmt umgrenzten Luftvo-
lumens aus den unendlichen Reihen des Unbe-
grenzten vernachlässigt. Man bleibt bei der
Untersuchung der raumbildenden Mittel stehen,
statt den Zusammenhang zwischen ihnen und
dem Raum selbst zum Gegenstand wissenschaft-
licher und ästhetischer Betrachtung zu machen.
Die Gesamtwirkung jedes Baues, soweit er
nicht nur monumentale Masse ist, resultiert aus
zwei Einzelwirkungen. Die eine erzielt sein
Baumaterial als plastisch geformter Körper.
Hier spricht nur die voluminöse Materie. Ge-
wiß bedarf es schon eines langen und folge-
richtigen Gestaltungsprozesses, um die aus den
praktischen Anforderungen sich ergebende ge-
samte Baumasse zu gruppieren — wie man in
der Plastik eine mehrfigurige Gruppe zunächst
ihrem Massengewicht nach aufbaut —, den so
gruppierten Unterteilen durch Gesimse, Lisenen
oder Pilaster,Profilierungen ihrer Öffnungen usw.
Nachdruck zu verleihen, sie dadurch unter sich
und mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen,
vielleicht auch durch Ornamentation den Reiz
des Materials zu erhöhen oder die Bestimmung
des Gebäudes anzudeuten. Bei der Analyse
dieser Wirkungen machen wir gewöhnlich Halt.
Und gewiß vermittelt die Fähigkeit, uns mit
unserem psychostatischen Gefühl in architek-
tonische Formen hineinzuleben, z. B. die mate-
rielle Ruhe zwischen Säule und Gebälk als be-
seelte Aktion zwischen Kraft und Last aufzu-
fassen, bereits einen großen Genuß. Gerade
die nahe Verwandtschaft mit figürlicher Plastik,
die in der mittelalterlichen Baukunst — Char-
tres, Rathaus in Brügge — fast zur Deckung
von Architektonischem und Figuralem führte,
erleichtert noch das Eindringen in solche Auf-
fassung der Bauformen. Unser Vorstellungsbe-
sitz ist zudem an Bauformen erzogen, die ganz
RAUMBILDUNG IN DER BAUKUNST.
VON DR. A. E. BRINCKMANN—AACHEN.
Es muß auffallen, daß in den meisten archi-
> tektonischen Analysen und baugeschicht-
lichen Abhandlungen in erster Linie von den
Bauformen als solchen gehandelt wird und man
über der plastischen Erscheinung der Materie
das Endresultat des architektonischen Gestal-
tens, die Bildung des Raumes, das Heraus-
schneiden eines bestimmt umgrenzten Luftvo-
lumens aus den unendlichen Reihen des Unbe-
grenzten vernachlässigt. Man bleibt bei der
Untersuchung der raumbildenden Mittel stehen,
statt den Zusammenhang zwischen ihnen und
dem Raum selbst zum Gegenstand wissenschaft-
licher und ästhetischer Betrachtung zu machen.
Die Gesamtwirkung jedes Baues, soweit er
nicht nur monumentale Masse ist, resultiert aus
zwei Einzelwirkungen. Die eine erzielt sein
Baumaterial als plastisch geformter Körper.
Hier spricht nur die voluminöse Materie. Ge-
wiß bedarf es schon eines langen und folge-
richtigen Gestaltungsprozesses, um die aus den
praktischen Anforderungen sich ergebende ge-
samte Baumasse zu gruppieren — wie man in
der Plastik eine mehrfigurige Gruppe zunächst
ihrem Massengewicht nach aufbaut —, den so
gruppierten Unterteilen durch Gesimse, Lisenen
oder Pilaster,Profilierungen ihrer Öffnungen usw.
Nachdruck zu verleihen, sie dadurch unter sich
und mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen,
vielleicht auch durch Ornamentation den Reiz
des Materials zu erhöhen oder die Bestimmung
des Gebäudes anzudeuten. Bei der Analyse
dieser Wirkungen machen wir gewöhnlich Halt.
Und gewiß vermittelt die Fähigkeit, uns mit
unserem psychostatischen Gefühl in architek-
tonische Formen hineinzuleben, z. B. die mate-
rielle Ruhe zwischen Säule und Gebälk als be-
seelte Aktion zwischen Kraft und Last aufzu-
fassen, bereits einen großen Genuß. Gerade
die nahe Verwandtschaft mit figürlicher Plastik,
die in der mittelalterlichen Baukunst — Char-
tres, Rathaus in Brügge — fast zur Deckung
von Architektonischem und Figuralem führte,
erleichtert noch das Eindringen in solche Auf-
fassung der Bauformen. Unser Vorstellungsbe-
sitz ist zudem an Bauformen erzogen, die ganz