KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
JANUAR 1912.
STUTTGART. In dem Pazaurekschen Landes-
gewerbe-Museum war eine Ausstellung ge-
werblicher Arbeiten von J. V. Cissarz zu sehen.
Bücher, Drucksachen, Ledereinbände, Druckstoffe,
Tapetenmuster, eine neue Drucktype, Photogra-
phien von Innenräumen, Glasfenstern, Gärten usw.
Cissarz ist in die neue Kunstgewerbe-Bewegung
eingetreten als gefühlvoller Ornamentist, als ein
Lyriker der Linien, als ein Schwarz-Weiß-Rhyth-
miker. Die weitere Entwicklung des neuen Buch-
gewerbes, die den Kalli- und Typographen in den
Vordergrund schob, ist seiner Art nicht gerade
günstig gewesen. Cissarz ist diesen Strömungen
keineswegs ausgewichen. Er zeigt in den Buch-
einbänden für Cotta oder Spemann Kalligraphen-
leistungen wie einer, zeigt in den Probedrucken zu
einer „Cissarz-Latein", die die Schriftgießerei
Ludwig & Mayer in Frankfurt eben herausbringt,
seine typographische Befähigung, wenn auch —
wie gerade der Schmuck zu diesen Typen beweist
— seine heimliche Liebe ornamentalen Rhythmen
gehört. Er entfaltet sie in zahllosen Tapeten-
und Druckstoffmustern, neuerdings auch an gespon-
nenem Papier, das eben von einem süddeutschen
Fabrikanten auf den Markt gebracht wird. Auf
welchen Gebieten er sich auch tummelt, immer
wahrt er seinen Ton, den Ton des zart gestimm-
ten Lyrikers.
Gegenüber in den Ausstellungsräumen des
Kunstgewerbehauses waren Ledermöbel aus-
gestellt. In erster Linie Sofas und Sessel von
A. Bühl er, denen Haustein die kapriziöse
Form gegeben hat. Haustein macht sich los von
den vierschrötigen Sißkästen, wie sie zu uns über
den Kanal gekommen sind. Den Komfort behält er
bei, knetet aber auf eigene Weise die Beine, das
Holzgerüst, die Rück- und Seilenlehnen durch. Er
gewinnt diesen Sitjgelegenheiten aparte Silhouetten
ab; mit Nägeln, Steppnähten, Ledergurten usw.
weiß er das Gerüst optisch aufzulockern. Ein bis-
chen vorsichtiger sollte er nur mit den Relüren
umgehen, die das feine Spiel seiner Formen keines-
wegs verfeinern. — paul wkstheim.
£
LANDSCHAFTEN VON WILLY PREETOR1US.
_j Eine feine, intime, lyrische Kunst, weich und
sinnenfreudig, kultiviert, liebenswürdig und emp-
findsam. Weiche, grüne Wolken, schwellen die
belaubten Bäume, und nicht schwerer, nicht stoff-
licher wirken die begrünten Hügel, die sie tragen.
An den Formen, an den Räumen liegt dem Maler
nicht viel. Ihn interessieren rein koloristische Pro-
bleme, die Töne im Teppich der Landschaft und
ihr Verhalten zu einander. Ich glaube, daß Pree-
torius in dieser koloristischen Herabminderung des
Formalen manchmal zu weit geht, daß er sich
vollere Wirkung sichern könnte, wenn er der Form,
die doch die Farbe erst in Bewegung bringt, etwas
mehr Rechte gäbe, zumal, da er nicht zu den
Stilisten gehört und immer treu und redlich von
der wirklichen sinnlichen Erscheinung der Land-
schaft ausgeht. Preetorius liebt das sonst so ge-
fürchtete Grün des vollen Sommers und die weichen,
verbindlichen Formen der Hügellandschaften. Er
hat viele seiner Motive aus der Umgegend des
lieblichen Ammersees geholt, deren Reiz von Mün-
chens Malern immer noch zu wenig gewürdigt wird,
obwohl sie zu Duzenden draußen wohnen und ar-
beiten. Es läßt sich nicht abstreiten, daß zwischen
dieser Landschaft und Willy Preetorius eine ange-
nehme Kongenialität besteht; seine Begabung, an
hessischer und thüringischer Mittelgebirgsland-
schaft erzogen, fühlt sich hier heimisch und findet
im Motiv ihr eigenes Wesen wieder, ihre Liebens-
würdigkeit, ihre Stille, Feinheit und Kultur.
Zur gleichen Zeit, da Willy Preetorius bei Brakl
die Ausbeute seiner letjten Sommer vorführte, zeigte
sein Bruder, Emil Preetorius, dort wieder einmal
eine Übersicht über den buchgewerblichen Teil
seines ausgebreiteten graphischen Schaffens, dessen
hohe Qualitäten unseren Lesern schon bekannt
sind. w m
£
CHINESISCHE VASEN. Im Kunstsalon von
Friedmann & Weber gab es eine sehr aparte
Chinoiserie. Ein kleines halbdunkles Kabinett, dessen
Decke sich nach dem Rhythmus eines Tempel-
daches aus seidigem Indigo wölbte, behütete in
sechs aus gelb leuchtenden Wänden sich öffnen-
den Nischen eine Sammlung chinesischer Keramik:
eine artistische Andacht zog ihre Kreise um den
verzückten Beschauer. Es war wirklich ein sehr
konzentrierter Genuß, diese aus Sinnlichkeit ge-
formten Gefäße, diese im kleinsten Format die
Monumentalität des Materials noch erschöpfenden
Figuren ansehen zu können. Man möchte den
Amateur beneiden, dem es vergönnt ist, diese
zauberhaften Glasuren, deren Farben in den zar-
testen Zwischentönen musizieren, zu sammeln;
man wäre beinahe verführt, sich zum Spezialisten
für chinesische Gefäßkeramik auszubilden, um
das Werden dieser Wunder genau zu studieren.
Noch weiß man zu wenig von den chinesischen
Töpfern, zu wenig überhaupt von den Künsten
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JANUAR 1912.
STUTTGART. In dem Pazaurekschen Landes-
gewerbe-Museum war eine Ausstellung ge-
werblicher Arbeiten von J. V. Cissarz zu sehen.
Bücher, Drucksachen, Ledereinbände, Druckstoffe,
Tapetenmuster, eine neue Drucktype, Photogra-
phien von Innenräumen, Glasfenstern, Gärten usw.
Cissarz ist in die neue Kunstgewerbe-Bewegung
eingetreten als gefühlvoller Ornamentist, als ein
Lyriker der Linien, als ein Schwarz-Weiß-Rhyth-
miker. Die weitere Entwicklung des neuen Buch-
gewerbes, die den Kalli- und Typographen in den
Vordergrund schob, ist seiner Art nicht gerade
günstig gewesen. Cissarz ist diesen Strömungen
keineswegs ausgewichen. Er zeigt in den Buch-
einbänden für Cotta oder Spemann Kalligraphen-
leistungen wie einer, zeigt in den Probedrucken zu
einer „Cissarz-Latein", die die Schriftgießerei
Ludwig & Mayer in Frankfurt eben herausbringt,
seine typographische Befähigung, wenn auch —
wie gerade der Schmuck zu diesen Typen beweist
— seine heimliche Liebe ornamentalen Rhythmen
gehört. Er entfaltet sie in zahllosen Tapeten-
und Druckstoffmustern, neuerdings auch an gespon-
nenem Papier, das eben von einem süddeutschen
Fabrikanten auf den Markt gebracht wird. Auf
welchen Gebieten er sich auch tummelt, immer
wahrt er seinen Ton, den Ton des zart gestimm-
ten Lyrikers.
Gegenüber in den Ausstellungsräumen des
Kunstgewerbehauses waren Ledermöbel aus-
gestellt. In erster Linie Sofas und Sessel von
A. Bühl er, denen Haustein die kapriziöse
Form gegeben hat. Haustein macht sich los von
den vierschrötigen Sißkästen, wie sie zu uns über
den Kanal gekommen sind. Den Komfort behält er
bei, knetet aber auf eigene Weise die Beine, das
Holzgerüst, die Rück- und Seilenlehnen durch. Er
gewinnt diesen Sitjgelegenheiten aparte Silhouetten
ab; mit Nägeln, Steppnähten, Ledergurten usw.
weiß er das Gerüst optisch aufzulockern. Ein bis-
chen vorsichtiger sollte er nur mit den Relüren
umgehen, die das feine Spiel seiner Formen keines-
wegs verfeinern. — paul wkstheim.
£
LANDSCHAFTEN VON WILLY PREETOR1US.
_j Eine feine, intime, lyrische Kunst, weich und
sinnenfreudig, kultiviert, liebenswürdig und emp-
findsam. Weiche, grüne Wolken, schwellen die
belaubten Bäume, und nicht schwerer, nicht stoff-
licher wirken die begrünten Hügel, die sie tragen.
An den Formen, an den Räumen liegt dem Maler
nicht viel. Ihn interessieren rein koloristische Pro-
bleme, die Töne im Teppich der Landschaft und
ihr Verhalten zu einander. Ich glaube, daß Pree-
torius in dieser koloristischen Herabminderung des
Formalen manchmal zu weit geht, daß er sich
vollere Wirkung sichern könnte, wenn er der Form,
die doch die Farbe erst in Bewegung bringt, etwas
mehr Rechte gäbe, zumal, da er nicht zu den
Stilisten gehört und immer treu und redlich von
der wirklichen sinnlichen Erscheinung der Land-
schaft ausgeht. Preetorius liebt das sonst so ge-
fürchtete Grün des vollen Sommers und die weichen,
verbindlichen Formen der Hügellandschaften. Er
hat viele seiner Motive aus der Umgegend des
lieblichen Ammersees geholt, deren Reiz von Mün-
chens Malern immer noch zu wenig gewürdigt wird,
obwohl sie zu Duzenden draußen wohnen und ar-
beiten. Es läßt sich nicht abstreiten, daß zwischen
dieser Landschaft und Willy Preetorius eine ange-
nehme Kongenialität besteht; seine Begabung, an
hessischer und thüringischer Mittelgebirgsland-
schaft erzogen, fühlt sich hier heimisch und findet
im Motiv ihr eigenes Wesen wieder, ihre Liebens-
würdigkeit, ihre Stille, Feinheit und Kultur.
Zur gleichen Zeit, da Willy Preetorius bei Brakl
die Ausbeute seiner letjten Sommer vorführte, zeigte
sein Bruder, Emil Preetorius, dort wieder einmal
eine Übersicht über den buchgewerblichen Teil
seines ausgebreiteten graphischen Schaffens, dessen
hohe Qualitäten unseren Lesern schon bekannt
sind. w m
£
CHINESISCHE VASEN. Im Kunstsalon von
Friedmann & Weber gab es eine sehr aparte
Chinoiserie. Ein kleines halbdunkles Kabinett, dessen
Decke sich nach dem Rhythmus eines Tempel-
daches aus seidigem Indigo wölbte, behütete in
sechs aus gelb leuchtenden Wänden sich öffnen-
den Nischen eine Sammlung chinesischer Keramik:
eine artistische Andacht zog ihre Kreise um den
verzückten Beschauer. Es war wirklich ein sehr
konzentrierter Genuß, diese aus Sinnlichkeit ge-
formten Gefäße, diese im kleinsten Format die
Monumentalität des Materials noch erschöpfenden
Figuren ansehen zu können. Man möchte den
Amateur beneiden, dem es vergönnt ist, diese
zauberhaften Glasuren, deren Farben in den zar-
testen Zwischentönen musizieren, zu sammeln;
man wäre beinahe verführt, sich zum Spezialisten
für chinesische Gefäßkeramik auszubilden, um
das Werden dieser Wunder genau zu studieren.
Noch weiß man zu wenig von den chinesischen
Töpfern, zu wenig überhaupt von den Künsten
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