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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Thoma, Hans: Von der Gelassenheit beim Betrachten der Kunstwerke
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0060

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Von der Gelassenheit beim Betrachten der Kunstwerke.

Reichtum des Lebens auch vorkommen kann,
wo sich überhaupt nichts so sehr trennt, wie
wir mit unseren Theorien es haben wollen oder
meinen. Doch darf gesagt werden, daß die
Kunst nur vom Könner gemacht wird. Theorie
und auch die noch so gute Meinung, wie es
gemacht werden müsse, kann keine Kunstwerke
hervorbringen. Dies sollte der Laie, der in ein
gutes Verhältnis zur Kunst kommen will, be-
denken, dann stellt sich die Gelassenheit von
selbst ein; er möchte sonst vom Tannenbaum
erwarten, daß er Äpfel hervorbringt.

Die Kunst ist ein Allgemeingut der Menschen,
nicht nur für den Künstler vorhanden; auch der
Empfangende, der Empfindende, der Verste-
hende ist ein Mitschaffender, und die Kontrolle,
die er ausübt, kann segensreich wirken, wenn
sie gelassen ist, was ich diesmal mit „frei von
Vorurteil" gleichsetzen möchte. — Wenn nie-
mand mehr urteilen wollte, so würde es dem
Künstler und der Kunst doch schlecht gehen,
deshalb möchte ich „Gelassenheit" ja nicht mit
„Gleichgültigkeit" verwechselt wissen.

Jeder Künstler kann eigentlich nur das
machen, was in seiner Naturbegabung liegt, er
steht somit unter einem Zwang. Dies möge den
Kunstfreund zur Besonnenheit führen, und dann
wird seine Teilnahme kunstfördernd wirken und
ein Verständnis, das auf solchem Boden heran-
wächst, kann ein fruchtbringendes sein; es könnte
den Künstler von dem äußeren Zwang befreien,
unter dem er einer Theorie zu lieb etwas ganz
anderes macht als er eigentlich müßte.

Man könnte die Kunst als Ganzes auch so
betrachten, daß sie aus Könnern und Kennern
besteht. Der Könner hat allen Grund, be-
scheiden zu sein; denn der Könner kann ja nichts
dafür, daß er etwas kann, das liegt in seiner
Begabung, einer Gabe, die ihm ohne sein Zulun
gegeben ist. Das Können ist bei ihm eine Natur-
anlage, und wenn er auch manchmal ein wenig
stolz oder vielmehr eitel ist auf seine Natur-
begabung, so dürfte dies doch nicht weitergehen
als das Gackern des Huhnes über sein Eierlegen.

Der Kenner aber braucht nicht bescheiden
zu sein. Kenntnisse müssen erworben wer-
den, und auf etwas, was man aus eigner Kraft
erwirbt und besitzt, auf das ist man stolz, ja es
kanngeradezu einhochgemutes Gefühl erzeugen.

Da, wie allgemein bekannt, geistig lebendiges
Wesen sich nicht wie materielle Dinge scheiden
läßt, so sind auch meist Könnerlum und Ken-
nertum in der gleichen Persönlichkeit so mitein-
ander verbunden, daß man sie nicht trennen
kann und daß man in bezug auf das Selbstgefühl
eine mittlere Linie von Hochgemutheit anzu-
nehmen nicht allzusehr fehl gehen würde.

Der Kunstbetrachter hat durch seine Kennt-
nisse sich gar oft mit solch hohen Vorbildern
belastet, so daß er mit denselben den beschei-
deneren Kunstübungen der Jetztzeit, sowohl in
sich, soweit er Könner ist, als auch bei andern
entgegentreten zu müssen vermeint. Es kann
ihm dabei aber passieren, daß er ein schön zart
Pflänzlein, das sich entwickeln will, mit einer
Keule totschlägt, — der Kürze halber will ich sie
die „Rafaelskeule" nennen, sie kann aber auch
alle möglichen andere Namen haben. Das kann
nun freilich der Kunst nicht viel nützen, und
man könnte den Vergleich wagen, daß einer die
Vergißmeinnicht am Bache zertritt, weil er in
Indien eine Lotosblume gesehen hat. Freilich
soll man mit seinen Vergißmeinnichtchen auch
nicht den Lotosblumen zu Leibe gehen wollen;
auch das geschieht, denn wir sind eben kurz-
sichtige Menschen, und wenn wir etwas lieben,
so meinen wir gleich, anderes hassen zu müs-
sen. — Der liebe Gott mag wissen, warum er
unsere Herzen so klein geschaffen hat, es war
gewiß notwendig, wie alles, was besteht.

Der Kunstfreund weiß, daß, so lange das
Menschcnvolk besteht, das Singen und Sagen,
das Bauen und Bilden nicht aufhören wird. Das
kann ihn zur Milde stimmen und zu der Ein-
sicht, daß jeder Vogel, — hier jede Zeit —, so
singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, er
wird sodann nicht gleich den andern die Freude
am Hervorbringen verderben wollen, wenn er
schon Besseres kennt.

Auch in der Kunst gründet sich die Fein-
schmeckerei, wie die des Gaumens, auf Genuß-
fähigkeit. Ein gesunder Magen kann mehr ver-
tragen als ein verwöhnter, es schmecken ihm
viel mehr Dinge. Man muß immer wieder auf
die Natürlichkeit zurückkommen. Neulich hörte
ich im Buchenwalde droben ein paar Bauern-
mädchen Volkslieder singen, das war gar schön,
von natürlich wohltuender Harmonie in den
sonnigen Sommertag hinein.

Wer Kindern ihre Lust am Spielen verdirbt
und den Künstlern die Lust an ihrer Arbeit,
der ist ein Philister und wenn er auch die Idee
vom Übermenschen in seiner Seele herumträgt.

Mit diesen Erörterungen glaube ich sowohl
den Beifall der beschauenden Kenner wie auch
der produzierenden Könner errungen zu haben.
Wenn aber der und jener ein mir aus dem
Schwarzwald bekanntes Scherzwort anwendet:
„Recht hascht, aber schwyge chönnscht"! —
so denke ich, der hat recht! und auch ich will
das, was ich empfohlen habe, beherzigen: die
Gelassenheit! — Die zu preisen, ist jetzt zeit-
gemäß, sie war so nötig, die Hitze dieses Som-
mers ertragen zu können. — hans thoma.

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