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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Fechter, Paul: Fortbildungen des Impressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0309

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Fortbildungen des Impressionismus.

geheimnisvollste Erscheinung. Auch er stand
dem Impressionismus nahe, um ebenso wie
van Gogh über ihn hinauszugehen. Der Weg,
auf dem er dies tat, ist darum weniger leicht
zu fassen, weil er einmal von einer sehr per-
sönlichen und sehr genialen, d. h. von allge-
meinen Sehgewohnheiten freien Organisation
des Auges bedingt war, andererseits der begriff-
lichen Erkenntnis gerade um seiner Unbegriff-
lichkeit willen am schwersten aufzuzeigen ist.

Der Impressionismus war neben manchem
anderen ein Protest gegen das Begriffliche in
der Malerei. Die Anschauung wurde wieder
einmal betont: die Dinge sollten unabhängig
von dem, was sie sind, von ihrer Bedeutung,
rein, wie sie sich als Sichtbarkeitswerte dar-
stellen, erfaßt, nur der optische Eindruck sollte
künstlerisch verarbeitet und zu einer Einheit
geführt werden. Das Begriffliche, die Intellekts-
beimischung der Dinge, wurde bei dieser natur-
gemäß analytischen Bearbeitung soweit als mög-
lich ausgeschaltet: lediglich ihre farbig räumliche
Existenz ward berücksichtigt. In diesem ge-
reinigten Anschauungsmaterial verblieb aber
noch immer ein Zusatz von Intellektualismus —
das, was Schopenhauer den Verstand nennt,
jene Objekte formende, das rein sinnliche An-
schauungsmaterial zu dinglichen Eindrücken
verknüpfende und diese Eindrücke im Raum
„vorstellende" Tätigkeit des Auges. Es blieb
demnach die Konsequenz möglich, auch diesen
Rest nicht anschaulicher Bestandteile aus dem
optischen Material noch zu entfernen, die An-
schauung noch weiter zu entintellektualisieren
und nur das so gereinigte, nur sensualistische
Material zur Bildformung zu verwerten — ge-
wissermaßen die Passivität gegenüber dem Ein-
druck noch zu verstärken und auf diese Weise
konzentrierteste Sichtbarkeit zu gewinnen.

Der Nachweis, daß Cezanne im einzelnen be-
wußt in dieser Form gearbeitet hat, ist, weil es
sich im wesentlichen um die Konsequenz einer
Augenorganisation handelt, nicht ganz leicht.
Wer aber jemals vor allem Aquarelle von ihm
auf ihre Besonderheit zu analysieren versucht
hat, wird um die Erkenntnis nicht herumge-
kommen sein, daß sie aus einem weit konzen-
trierteren, weit mehr von allem nicht unmittelbar
Sichtbaren befreiten Anschauungsmaterial ge-
formt sind, als andere zeitgenössische Arbeiten.
Die faszinierende Kraft seiner Werke basiert,
wenn auch keineswegs lediglich, so doch sicher
zum guten Teil auf diesem Zug, der mit dem,
was van Gogh und Gauguin gegeben hatten,
zur Grundlage einer neuen, dem Impressionis-
mus entgegengesetzten Kunst geworden ist.

In Frankreich gehören die von hier ausgehen-

den Bewegungen größtenteils schon wieder der
Vergangenheit an: zum wenigsten sind von ihnen
aus bereits Fortbildungen nach neuen Zielen er-
folgt: Klassizismus und mathematisches Gesetz-
suchen, wie man es etwa bei Georges Braque
findet, sind hinzugetreten zu dem widerspruchs-
vollen Bilde, das die nachimpressionistische
Gegenwart dort bietet. Bei uns sind diese
Dinge erst in den letzten Jahren aktuell gewor-
den. Die verspätete Auseinandersetzung mit
dem französischen Impressionismus verzögerte
auch die Auseinandersetzung mit den Gegen-
bewegungen — trotz einzelner früherer Ver-
suche — um fast zwei Dezennien. Heute trifft
man die Spuren überall: Vereinigungen wie
die „Brücke" in Dresden, die „Neue Secession"
in Berlin, die „Neue Künstler-Vereinigung-
München" sind, wie man sich auch zu ihren
Resultaten stellen mag, als Symptome nicht
zu übersehen. Die formalen Tendenzen, die
sie vertreten, wirken in ähnlicher Richtung
wie die Bestrebungen auf architektonischem
und vor allem kunstgewerblichem Gebiet,
nur daß eben der Zweckgedanke fehlt. Die
Folge ist, daß zumal bei dem größtenteils be-
grifflichen Ausgang, den diese Bestrebungen
genommen haben, Dekoration ohne dekorative
Zweckbestimmung, gewissermaßen freies Kunst-
gewerbe, entsteht. „Man setzt Farbflächen
gegeneinander so, daß jene unberechenbaren
Gleichgewichtsgesetze von Farbquantitäten mit
einem neuen Spielraum persönlicher Bewegungs-
freiheit die starren wissenschaftlichen Gesetze
der Farbqualitäten ablösen." Von solchen
Grundsätzen aus (der Satz ist einem Katalog
der „Neuen Secession" entnommen) kommt man
ebensogut zu einem Bucheinband wie zu einem
Bilde — vielleicht sogar noch besser, da alle
vorherigen Theorien in der Kunst sehr vom
Übel sind. Ob auf diesem Wege die Sehnsucht
nach dem Gesetz, in dessen Notwendigkeiten das
zeitgenössische Kunstwollen seinen stärksten
Ausdruck findet, zu einem Resultat von bleiben-
der Kraft zu kommen vermag, ob nicht viel-
mehr der gangbarste Weg zu diesem Ziel der
war, den Hans von Marees ging, der das
Allgemeine aus der immer tiefer bohrenden
Versenkung in die Regionen der Seele fand,
wo im Persönlichen das überindividuelle Ge-
setz in Kraft tritt — das bleibt zum wenigsten
heute noch fraglich, wenn auch, in dem Tempo
unserer Tage, die Entwicklung mit den An-
zeichen der Entscheidung nicht gar zu lange
warten lassen dürfte — zumal wenn wieder
einmal ein stärkeres Daseinsgefühl erwächst,
vor dem dann alle abstrakten Programme von
selbst versinken. — paul fechter.

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