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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Breuer, Robert: Max Pechstein, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0430

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MAX PECHSTEIN - BKKL1N.

GEMÄLDE: »FLUNDERNFISCHER«
DARMSrÄDTER PRIVATRKSIT/.

MAX PECHSTEIN—BERLIN.

VON ROBERT BREUER.

Es gehört zu den schwersten Irrtümern un-
serer Zivilisation, daß sie sich der Kunst
wahlverwandt glaubt und um solcher Verwandt-
schaft willen beansprucht, über die Kunst herr-
schen zu können. Die Wahrheit aber ist, daß
die Kunst keinen schlimmeren Feind hat, als
eben diese Zivilisation. Die Kunst kommt aus
dem Rauschen des Blutes; die Zivilisation ist
ein Vielfältiges aus rechnender Verständigkeit.
Die Zivilisation ist Verschneidung, die Kunst
Steigerung des Lebens. Die Zivilisation ist
eine Alterserscheinung der Menschheit, die
Kunst der Menschheit ewige Jugend. Die Zivi-
lisation kann vererbt, gelehrt, variiert und diplo-
matisiert werden; die Kunst ist immer wieder
neu, unmittelbar und einzig. So ist es nur
selbstverständlich, daß die Zivilisation oft er-
schreckt steht vor der Kunst Unbändigkeit;
die Gelehrsamkeit, der Sittenkodex, die Aka-
demie, der ganze zivilisatorische Apparat sträubt
sich gegen die Tollheit, die immer wieder von
vorn anfangen möchte. Es gibt aber keine
Kunst, die nicht, um eine neue Synthese zu

zeugen, zuvor in das Primitive niederstieg. Das
Primitive ist das Reich der Mütter. Nur die
immer neue Kunst bleibt ewig.

Die Schwachen wähnen, daß eine Kompo-
sition dasselbe sei wie eine Synthese. Nichts
ist verkehrter. Was man so komponieren heißt,
bedeutet kaum mehr als ein äußerliches Neben-
einander; aus Soldaten wird das Bild einer
Schlacht, aus Bäumen eine Landschaft zusam-
mengesetzt. Das kann ähnlich und gefällig wer-
den; fehlt nur der Herzschlag. Die Synthese
sucht den einen, großen Puls; sie achtet nicht
gewußter Tradition, noch verführerischerFlitter,
sie will: das Wesentliche, das Entscheidende.
Das will sie herausreißen aus der Natur, aller
Geschichte zum Trotz. Gewiß, die Geschichte
ist eine Realität; ihr hat auch der Wille zur
Synthese Tribut zu zahlen. Auch Marees und
Cezanne, van Gogh und Gauguin stehen unter
dem Schatten derer, die vor ihnen das Künst-
lerische umkämpften. Aber: sie alle, die Helden
der Kunst, nahmen das Gegebene nicht als
Krücke; sie empfanden es als einen Widerstand,

1912. VI. 1.
 
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