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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0433

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Max Pechstein—Berlin.

MAX PECHSTEIN-BERLIN.

Gemälde: »Das Rettungsboot«

oder man steht verblüfft und bald ergriffen vor
Symbolen einer metaphysischen Nacktheit.

Nackt und groß ist das ganze graphische
Werk Pechsteins. Es ist beinahe unbekannt;
obgleich es noch deutlicher als die Leinwände
das Wesen und die Stärke des Künstlers zeigt.
Das wäre längst die Meinung aller Kundigen,
wenn sie seine Holzschnitte, Lithographien und
Zeichnungen beisammen gesehen hätten.

Pechstein hatHolzschnitte gemacht, vor denen
man an einen motorischen Instinkt des Messers
glauben lernt. Mit wenigen straffen Zügen
spaltete das Schustermesser große Späne aus
der Holztafel; noch aus dem Abdruck sieht man
den handwerklichen Vorgang. Pechstein meidet
das zärtliche Hohleisen; einen breiten robusten
Stahl führt er mit zustoßender Gewalt. Es ist
nichts Gezeichnetes in diesen Arbeiten; es wäre
gewaltsam und beinahe unmöglich, einen ähn-
lichen Eindruck mit dem Pinsel zu erstreben.
Die Lebensenergie, die diesen Blättern ent-

strömt, hat etwas Aufreizendes; die Verteilung
von Schwarz und Weiß sichert durch die Selbst-
verständlichkeit der Balance auch den heftigsten
Ausbrüchen eines charakterisierenden Tempe-
ramentes die Größe dekorativer Wirkung. Zu-
gleich spüren wir im Schwarz-Weiß überzeu-
gende Farbeneindrücke; sodaß.wenn nun wirk-
lich Pigmente hinzukommen, solches Kolorit als
organisch empfunden wird. So erklärt es sich,
daß es durchaus nicht stört, wenn Pechstein
einen Frauenkörper mit Grün angibt, oder wenn
er sonst irgendwie die von uns geglaubte Farb-
gebung der Natur vertauscht. Man denkt gar-
nicht daran, die scheinbare Naturwidrigkeit
aufzugreifen; weil man garnichts Körperlich-
Wirkliches, sondern allein etwas Flächig-Musi-
kalisches erwartet. Man sieht Bewegungen in
der Fläche, elastische Züge, starke Rhythmen;
man sieht Gewichtsverteilungen, lineare The-
men; man erlebt eine Welt, die ihre eigenen
Gesetze hat, weil sie ein eigenes Sein ist.

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