Blätter aus Hans Böhlers ostasiatischer Studienmappe.
h. Köhler wien. Zeichnung: »Vornehme Chinesin«
durch in jene Stimmung versetzt, die das
künstlerische Schaffen bei ihm ermöglicht.
Stimmungen empfindet nun jeder Mensch,
aber es ist eine ganz besondere Stimmung,
die das künstlerische Schaffen begünstigt:
ein spezifischer Zustand gesteigerterEmpfin-
dungsfähigkeit. Goethe hat diesen Zustand
gut geschildert: „Ich suchte mich innerlich
von allem Fremden zu entbinden, das Äußere
liebevoll zu betrachten, und alle Wesen,
vom menschlichen an, so tief hinab, als sie
nur faßlich sein möchten, jedes in seiner
Art auf mich wirken zu lassen. Dadurch
entstand eine wundersame Verwandtschaft
mit den einzelnen Gegenständen der Natur,
und ein inniges Anklingen, ein Mitstimmen
ins Ganze, so daß jeder Wechsel, es sei der
Ortschaften und Gegenden, oder der Tages-
und Jahreszeiten, oder was sonst sich er-
eignen konnte, mich aufs innigste berührte."
Von den Dingen sich innig berühren lassen,
das versteht nun Hans Böhler, und da sich
mit dieser Fähigkeit bei ihm die rege Kraft
zur Gestaltung paart, kehrte er von seiner
44°
Ostasienreise mit einer künstlerisch wertvollen
Ausbeute heim.
Der größere Teil seiner Arbeiten, von denen
wir auf diesen Seiten einige abbilden, entstand
in China, dem Lande, dem er als Künstler gegen-
über Japan unbedingten Vorzug gibt als dem
kulturälteren, künstlerisch bedeutenderen, aristo-
kratisch ungleich feineren. Er bewundert die
Chinesin mehr als die Japanerin; denn wenn
diese blumenhaft lieblich anmutet, berückt die
edelrassige Chinesin durch ihre angeborene Vor-
nehmheit und den ästhetischen Adel ihrer Er-
scheinung. Die Weiße ihrer Haut soll von un-
tadeliger Reinheit, der Ausdruck ihrer Glieder-
bewegung von wohl exotischer, aber graziöser
Rhythmik, die Form ihrer Hände von köstlicher
Schönheit sein nach Böhlers lobpreisender Schil-
derung. Der Eindruck anscheinender Dürftigkeit
und linkischer Einfalt, den der erste Anblick im
Fremdling bewirkt, wandelt sich nach genauerer
Betrachtung zur stärksten Bewunderung der nun-
mehr erkannten auserlesenen Schönheit, einer
Schönheit, die Böhler nicht nach europäischem Ge-
schmack, sondern nach künstlerischen Gesichts-
hans böhler—wien. Zeichnung: »Tonkinesin«
h. Köhler wien. Zeichnung: »Vornehme Chinesin«
durch in jene Stimmung versetzt, die das
künstlerische Schaffen bei ihm ermöglicht.
Stimmungen empfindet nun jeder Mensch,
aber es ist eine ganz besondere Stimmung,
die das künstlerische Schaffen begünstigt:
ein spezifischer Zustand gesteigerterEmpfin-
dungsfähigkeit. Goethe hat diesen Zustand
gut geschildert: „Ich suchte mich innerlich
von allem Fremden zu entbinden, das Äußere
liebevoll zu betrachten, und alle Wesen,
vom menschlichen an, so tief hinab, als sie
nur faßlich sein möchten, jedes in seiner
Art auf mich wirken zu lassen. Dadurch
entstand eine wundersame Verwandtschaft
mit den einzelnen Gegenständen der Natur,
und ein inniges Anklingen, ein Mitstimmen
ins Ganze, so daß jeder Wechsel, es sei der
Ortschaften und Gegenden, oder der Tages-
und Jahreszeiten, oder was sonst sich er-
eignen konnte, mich aufs innigste berührte."
Von den Dingen sich innig berühren lassen,
das versteht nun Hans Böhler, und da sich
mit dieser Fähigkeit bei ihm die rege Kraft
zur Gestaltung paart, kehrte er von seiner
44°
Ostasienreise mit einer künstlerisch wertvollen
Ausbeute heim.
Der größere Teil seiner Arbeiten, von denen
wir auf diesen Seiten einige abbilden, entstand
in China, dem Lande, dem er als Künstler gegen-
über Japan unbedingten Vorzug gibt als dem
kulturälteren, künstlerisch bedeutenderen, aristo-
kratisch ungleich feineren. Er bewundert die
Chinesin mehr als die Japanerin; denn wenn
diese blumenhaft lieblich anmutet, berückt die
edelrassige Chinesin durch ihre angeborene Vor-
nehmheit und den ästhetischen Adel ihrer Er-
scheinung. Die Weiße ihrer Haut soll von un-
tadeliger Reinheit, der Ausdruck ihrer Glieder-
bewegung von wohl exotischer, aber graziöser
Rhythmik, die Form ihrer Hände von köstlicher
Schönheit sein nach Böhlers lobpreisender Schil-
derung. Der Eindruck anscheinender Dürftigkeit
und linkischer Einfalt, den der erste Anblick im
Fremdling bewirkt, wandelt sich nach genauerer
Betrachtung zur stärksten Bewunderung der nun-
mehr erkannten auserlesenen Schönheit, einer
Schönheit, die Böhler nicht nach europäischem Ge-
schmack, sondern nach künstlerischen Gesichts-
hans böhler—wien. Zeichnung: »Tonkinesin«