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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0358

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A. Widerlegung der Gründe für eine Bühne. Vitruvs hohe Bühne.

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dem Dielenboden eines hohlen Gerüstes ausgeführt worden, auf welchem das
Gepolter der Schritte den Gesang übertönt haben würde. Um das Zusammen-
spiel der Schauspieler und Choreuten zu ermöglichen, wäre aber auch bei dem
Vorhandensein eines Chorgerüstes eine Verbindungstreppe mit dem Dache des
Proskenion notwendig gewesen, die aber, wie wir vorhin sahen, in der Architektur
des Proskenion ebenso wenig vorgesehen ist, wie die Anlage eines Podiums, das
die untere Hälfte der Proskenienwand verdecken würde.

Noch weniger vorteilhaft wäre aber ein solches Chorgerüst für die Zuschauer
gewesen, da, abgesehen von dem unschönen Aussehen des grossen Bretterge-
rüstes, der Ausblick auf das Proskenion gerade für die vornehmsten, in den
untersten Reihen sitzenden Zuschauer dadurch stark beeinträchtigt worden wäre.
Wenn aber die Höhe des Proskenion der einzige Grund für die Anlage einer
Zwischenbühne war, warum hätte man nicht lieber das Proskenion entsprechend
niedriger gemacht, den Chor aber auf dem Orchestraboden belassen und so auf
bequemere Weise den gewünschten Höhenunterschied zwischen dem Standplatz
des Chores und der Schauspieler gewonnen ?

Diese Beweisgründe sind so einleuchtend, dass heute wohl kaum noch je-
mand an eine solche « Zwischenbühne » glaubt. Mit ihr schwindet aber auch der
letzte Ausweg, um die Aufführung von Dramen mit Chören auf dem hohen Pro-
skenion des Vitruv möglich zu machen.

Die Anhänger des Bühnenspiels haben neuerdings die Vitruv-Stelle für die äl-
tere Zeit preisgegeben und dafür auf Grund anderer Erwägungen eine niedrige
Bühne als Spielplatz der klassischen Dramen angenommen, über deren Höhe und
Gestalt sie freilich sehr verschiedener Meinung sind.

Nachdem zuerst Haigh (The Attic theatre, S. 158) und E. Gardner (Journal
of Hell. Stud. XI, 1890, S. 294 und Excav. at Megalopolis, S. 99) eine niedrige
griechische Bühne angenommen hatten, sind später Weissmann (in seiner Disser-
tation und in den Jahrbüchern für Philologie, 1895, S. 678) und Christ (ebenda
1894, S. 160 f.) für sie eingetreten, und neuerdings hat auch Bethe (Prolego-
mena, S. 204 f.) für die Zeit nach 426 eine niedrige Bühne nachzuweisen versucht.

Bevor wir die für diese Hypothese angeführten Beweise einzeln besprechen,
müssen wir im Allgemeinen betonen, dass keine einzige ausdrückliche Nachricht
der alten Literatur als Stütze für eine niedrige Bühne von irgend einer Form an-
geführt werden kann. Es giebt nur einen einzigen alten Schriftsteller, der eine
bestimmte Angabe über die vermeintliche griechische Bühne und ihre Höhe Uber-
liefert, nämlich Vitruv. Wer dessen Angaben für eine Neuerung der jüngeren
Zeit erklärt, der muss zu begründen suchen, weshalb jene niedrige Bühne zur
Zeit Vitruvs 10—12 Fuss hoch gemacht wurde. Man hat nun in der That gesagt,
dass vom IV. Jahrhundert ab eine Verbindung zwischen dem Standplatz der
Schauspieler und dem des Chores nicht mehr erforderlich gewesen sei, weil der
Chor seit dem Ende des V. Jahrhunderts allmählich zurückgetreten und schliess-
lich ganz in Fortfall gekommen sei. Aber einerseits ist diese Ansicht über den
 
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