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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0398

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4. Das hellenistische Theater.

Aufbau des Dramas eingetreten. Denn während im IV. und wahrscheinlich auch
im III. Jahrhundert noch öfter Dramen mit Chören aufgeführt wurden, scheinen
die letzteren im IL Jahrhundert meist abgekommen zu sein (vgl. S. 262). Genau
sind wir über den Zeitpunkt nicht unterrichtet. Der Fortfall des Chores hätte
eine Veränderung des Theaters zur Folge haben können, weil die Orchestra nun
bei dramatischen Aufführungen nicht mehr einen vollen Kreis zu bilden brauchte.
Davon ist aber in dieser Epoche noch nichts zu sehen. Vielmehr bleibt die
Orchestra in Griechenland in der ganzen hellenistischen Zeit als voller Kreis
unverändert bestehen. Der Fortfall des Chores hat also zunächst gar keine Ver-
änderung des Theaters hervorgerufen.

Trotzdem sollen nach der herrschenden Ansicht die Schauspieler in dem
hellenistischen Theater nicht in der Orchestra, sondern regelmässig oben auf dem
Dache des Proskenion gespielt haben! Diese mit der Entwickelungsgeschichte
des Theaters ganz unvereinbare Lehre gründet sich fast auschliesslich auf die
Angabe Vitruvs über das Spiel im griechischen Theater (V, 7, 2). Dass an die-
ser Stelle aber ein auf verschiedene Weise erklärbarer Irrtum vorliegt, ist im
VII. Abschnitt nachzuweisen versucht worden. Wir dürfen vielmehr trotz der
Angabe Vitruvs über die Art des Spiels daran festhalten, dass die Schauspieler
in dem hellenistischen Theater stets vor dem Proskenion in der Orchestra auf-
traten. Bei ihrem Erscheinen benutzten sie entweder die Thür des Proskenion
oder, wenn sie aus der Ferne kamen, eine der beiden Parodoi und traten auch
meist auf demselben Wege wieder ab. Nur in Einzelfällen erschienen sie aui
dem Dache des Proskenion, wenn sie im oberen Stockwerk oder auf dem Dache
ihres Hauses auftreten musst'eri. Auf demselben Dache oder über ihm schwebend
(vgl. die Vorrichtung im Theater von Oropos, S. 108) erschienen auch die Götter
als «dei ex machina».

Einen wesentlichen Unterschied zwischen dem altgriechischen und dem hel-
lenistischen Theater giebt es also weder in Bezug auf die Grundrissform, noch
hinsichtlich der Art des Auftretens der Schauspieler. Die alte Einrichtung des
runden Tanzplatzes mit dem neben ihm liegenden Spielhause war beibehalten;
nur waren an Stelle der vergänglichen Holzbauten feste Steingebäude getreten.

Wie ein solches Theater aussehen mochte, sucht das in Figur 94 (S. 384)
mitgeteilte perspektivische Bild zu veranschaulichen. Man sieht die durch eine
einfache Linie angedeutete kreisrunde Orchestra und in ihrer Mitte einen vierecki-
gen Altar. Das Skenengebäude ist nach dem Vorbilde des delischen Theaters
gezeichnet; Paraskenien fehlen und das Proskenion geht als Säulenhalle rings
um die Skene herum (vgl. den Grundriss Figur 59 auf S. 145)- Von der letzte-
ren sieht man auf dem Bilde nur den Oberstock. Durch einfache Thorbauten
ist das Proskenion mit dem Zuschauerraum verbunden.

Die Zahl der Halbsäulen des Proskenion und die Anordnung seiner ver-
schiedenartig gestalteten Intercolumnien haben wir ebenfalls nach dem Theater
von Delos bestimmt. Man erkennt drei dunkel gezeichnete Thüren und neben
 
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