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Ness, Wolfgang [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 10, Teil 1): Stadt Hannover — Braunschweig, 1983

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https://doi.org/10.11588/diglit.44751#0101

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stoßenden Wände mit einer zarten Bänder-
rustika versehen. Das Haus erbaute um 1830
Laves — zu einer Zeit, als auch an anderer
Stelle repräsentative Lusthäuser außerhalb
der Befestigung entstanden (z.B. ,Bella
Vista' des Ministers von Schulte vor dem
Neuen Tor an der Waterloostraße).
Etwa gleichzeitig (1820) erhielt die ehemals
zu Linden gehörende Glocksee/Ohe den Sta-
tus einer selbständigen Ortschaft, und in
diesen Jahren begann die Industrieansiedlung
zu beiden Seiten der Ihme. 1826 erwarb die
,,Imperial-Continental-Gas-Association" vom
Lindener Unternehmer Egestorff ein auf der
Westseite derGlockseestraße liegendesGrund-
stück, um eine Gasfabrik zu errichten, die
das Monopol auf Belieferung der Stadt Han-
nover mit Gas sowohl für die Straßenbe-
leuchtung — Hannover war die erste Stadt
mit Gasversorgung in Deutschland — als auch
für den privaten Verbrauch besaß. Dieses
Privileg verlängerte man mehrmals, bis der
Erste Weltkrieg die Beziehung zerschlug
und die Stadt das Gaswerk übernahm. Durch
die stetige Vergrößerung umfaßte das Gas-
werk um 1900 den gesamten Bereich zwi-
schen Ihme und Glockseestraße von der Ein-
mündung der Rückert- bis zur Königsworther
Straße und fast den ganzen Zwickel zwi-
schen Lenau- und Braunstraße; über eine
werkseigene Eisenbahnbrücke lief seit 1872
(Bau des Bahnhofs Küchengarten, vgl. Bd.
10.2 Hannover Teil 2) der Kohletransport,
den zunächst Fuhrwerke und Kähne besorg-
ten. Die Umstellung auf Ferngas machte die
Werksanlagen inzwischen überflüssig; so hat
sich an alter Bausubstanz lediglich ein um
1882 entstandener Gasbehälter — als Kan-
tine umgenutzt — erhalten. Er bietet mit
seiner an sakraler Architektur (z.B. Baptiste-,
rien) und an der Romanik geschulten Gestal-
tung ein gutes Beispiel gründerzeitlicher In-
dustriebaukunst, die die technisch fort-
schrittliche innere Nutzung mit anspruchs-
vollen Zitaten verbrämte und überhöhte.
Gleichzeitig repräsentiert er die historische
Schicht der Industriealiesierung in der
Glocksee; sonst sind die Werksanlagen in
diesem Bereich auf beiden Ufern der Ihme —
bis auf eine umgenutzte Halle — verschwun-
den (heute Grünfläche, auf dem Grundstück
des Gaswerks Neubauten, auf dem Westufer
das Ihmezentrum).
DIE ENTWICKLUNG NACH DER
EINGEMEINDUNG
Der Gasbehälter stammt aus einer Zeit, als
die Glocksee bereits der Stadt Hannover ein-
gemeindet war (1869), und man durch
Stadtplanung größeren Stils der Bevölke-
rungszunahme und den Verkehrsproblemen
Herr zu werden suchte. Zunächst verwirk-
lichte man mit der Anlage der Humboldt-
Straße (1870), des Goetheplatzes (1870—75)
und der Goethestraße (ab 1870) die Laves'-
sche Planung von ca. 1850, die über diesen
Straßenzug die Verkehrsanbindung der west-
lichen Vorstädte an die repräsentativen Stra-
ßen und Plätze der nördlichen und östlichen
Stadterweiterungen und den Bahnhof ge-
währleisten sollte (vgl. 01 Mitte). Dieser
Straßenzug nahm nun einen Teil des west-

östlichen Verkehrs auf, hier fuhr ab 1872/
73 die erste Schienenpferdebahn von Hanno-
ver nach Linden.
Zentrale Bedeutung kam dem runden, regel-
mäßig in Segmente gegliederten Goetheplatz
zu, von dem entsprechend der Planung heute
sechs Straßen ausgehen. Abgesehen von den
beiden ersten Straßen verlief ihr Ausbau je-
doch schleppend: die Feuerwehrstraße, die
die Calenberger Neustadt erschloß, entstand
erst 1892 mit der Errichtung der Feuerwehr-
gebäude. Die Anlage der Lenaustraße, die
zunächst einen direkten Ihme-Übergang nach
Linden schaffen sollte, und die Anlage der
Braunstraße erfolgten 1889 zusammen mit
dem Ausbau der Königsworther Straße, in
deren Verlängerung 1890 endlich die zweite,
dringend benötigte Brücke nach Linden ent-
stand (Leinertbrücke).
Die kontinuierliche Aufsiedlung in die-
sem Bereich setzte erst ab 1890 ein. In der
Nähe des Goetheplatzes baute man einige
öffentliche Gebäude, die die Gesamtanlage
prägten (z.B. die Garnisonskirche mit Pfarr-
haus von Hehl 1891—96 erbaut, das Finanz-
amt, die bereits erwähnte Feuerwehr, das

Glockseestraße 1, Villa Rosa, um 1830,
Architekt G. L. F. Laves



Goethegymnasium von 1888/89 an der Goe-
thestraße auf dem Grundstück des heutigen
Eichamts); sie fielen wie auch große Teile
der benachbarten Wohnbebauung durch das
Bombardement des Zweiten Weltkriegs; heu-
te ist der Platz — da offenbar während der
Nachkriegszeit der Gestaltungswille hint-
angestellt wurde — zu einem Verkehrskreisel
degeneriert. Streckenweise erhalten ist die
alte Bebauung an der Goethe- und der
Braunstraße.
Lenau-/Rückertstr. und Ihmestraße
Außer diesen vereinzelterstehenden Häusern
findet sich zwischen Glocksee- und Hum-
boldtstraße/Goetheplatz an der Lenau- und
Rückertstraße noch eine geschlossene Grup-
pe (Glockseestr. 5, Lenaustr. 7—12, Rückert-
str. 4—14) von vorwiegend viergeschossigen,
zweispännigen Häusern, die sowohl in der
Fassadengestaltung als auch der Innenauf-
teilung (3-Zimmer-Wohnungen) typisch für
den kleinbürgerlichen Wohnungsbau diese
Phase in Hannover sind. Vom Ziegelrohbau
bis zur reinen Putzfassade tauchen alle
Mischformen auf. Die Gliederung hebt ent-

Humboldtstraße 3, ehemalige
Militärlehrschmiede, gegen 1900


Glockseestraße, ehemaliger Gasbehälter,
um 1882


Rückertstraße nach Osten


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