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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Schmid Noerr, Friedrich Alfred: Primitive Kunst und künstliche Primitivität
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0026

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des Musiksaals und des Theaters ordnen sich zum Kampfspiel: die öffentliche
Meinung hat sich unter sich verständigt und mit verteilten Rollen strebt die
ganze Unternehmung dem nach stiller Übereinkunft einzig?gemeinsamen
Ziele zu: dem lukrativen Umtrieb. Was bleibt da den Begabten, den gelern?
ten Handwerkern jener Instrumente, mit denen Kunst gemacht wird, große
Wahl? Leer, wie sie sind, an Geist, Charakter, Selbsterfahrung und Erlebnis,
ists ihnen eine Lust, so mannigfachen Heerruf zu vernehmen und Herren
der Wahl zu sein, zu welcher Partei sie sich schlagen wollen.
Der nur Begabte ist ein armer Teufel. Er nimmt als Landsknecht Handgeld,
wo es ihm gefällt; jedoch er streitet auch und fällt für fremde Herren, von
denen keiner glaubt, wofür er wirbt.
Nun ist dies freilich ein heroisches Bild. In unseren Tagen ist Parteien?
kampf auch in den Künsten viel mehr eine Angelegenheit der wirtschaft?
liehen Konjunktur, als der streitbaren Abenteuer. Dementsprechend steht
auch der richtungsverschworene Künstler?Abenteurer dem zunftbewußten
Hochstapler sehr viel näher, als dem geistigen Söldner. Denn was
ihn brandmarkt, ist Gesinnungslüge bei Gesinnungsprotzerei.
In keinem Falle tritt dies greller zutage, als im Falle der Primitiven?Nach?
ahmung. Trostlose Geistesarmut ist Voraussetzung. Denn wer, der noch ein
Fünklein Eigenleben fühlt, flieht aus sich selbst? Zur Dummheit, die nicht
Fremd von Eigen unterscheiden kann, kommt aber dann die Anmaßung, in
weitentlegene Erlebnisweise eintauchen und sie sich erschleichen zu können
mit der Verschmitztheit des Diebes. Da dies unmöglich ist, belügt sich der
betrogene Betrüger selbst mit rasch erfundener Erklärung seiner Sensationen,
die er zu haben glaubt im fremden Haus. Und was er sich erklärt, macht er
zur Theorie. Stets findet er Genossen ohne Zahl, die ihre eigene Lüstern?
heit nach Manufakturrezepten, als Ersatz für fehlenden inneren Ruf, sich
gern bestätigen möchten durch die Schlagwort?Bramarbasiererei.
Denn die Nichtberufenen sind stets am Rudel erkennbar. Sie bilden
den Verein, die Gruppe, die Partei, den Bund, die »heilige Verschwörung
um den Gral«. Sie wollen dort stark sein durch Verein, wo alle Leistung
einzig möglich ist durch letzte Sammlung und Beharrung in sich selbst: wo
sich die Gnade der Gesichte senken soll auf einen stillen Seher.
Bedarf es nun noch vieler Worte, darzutun, daß auch jene andere Primi?
tivität der Kindlichkeit gleichfalls auf keine Weise Vorbild werden kann für
solche, die an Vorbild, Schule, Überlieferung und Technik sich ermüdet
haben? Zwar gilt das Wort der Weisheit überall: »So ihr nicht werdet wie
die Kindlein, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel gelangen.« Auch
nicht in jene Himmel des Gemütes, in welchen Zwiesprache ist zwischen
Mächten der Schöpfung und Mensch. Denn immer ruht am Grunde sol?

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