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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Armando, Walter Gualterio: Religiöse Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0101

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RELIGIÖSE MUSIK
WALTER DAHMS=FLORENZ

Zu einer Zeit, da auf allen Gassen vom »religiösen Erlebnis« die Rede
ist, weil man es nicht kennt und besitzt und weil es eben deshalb so
grenzenlos billig ist, hält man Umschau nach Ersatz* und Illusions*
mitteln für den verlorenen Glauben. Man täuscht sich durch stimmungs*
seliges Philosophieren, durch Dichten, Malen und Musikmachen eine reli*
giöse Sphäre vor, eine Gefühlstrunkenheit, die künstlich ist, weil ihr die
Unschuld und Ursprünglichkeit fehlen. Weisheit, Kunst und Religion sollen
heute nicht mehr die Dinge sein, die am schwersten und nur für die wenig*
sten zu erreichen sind, sondern der zuckersüße, entsagungslüsterne Apostelton
unserer zeitgenössischen Menschenbeglücker verspricht allen und vielen
das Himmelreich einer Etwas*Weisheit, Etwas#Kunst und Etwas*Religion.
So verschmilzt leicht das religiöse Erlebnis mit dem künstlerischen, zerläuft
Weisheit in Gefühl, und der törichte Mensch glaubt im Hingegebensein an
die Stimmung seiner Seele das Größte zu besitzen, ohne in Wirklichkeit mehr
als eine flüchtige Ahnung davon zu verspüren. Diejenigen, die stark genug
sind, den Lockungen einer leichten Zufriedenheit zu widerstehen, retten sich
in die Welt der Historie, und in ihrem Bestreben, das Große, das war und
ist, zu begreifen, kommen sie näher an das Ziel ihrer Sehnsucht heran. Denn
nur das Genie vermag den Weg zu weisen, der zur Vollkommenheit führt.
Und dieser Weg wird stets beschwerlich und mühselig sein, nicht nur für
den schaffenden Genius, sondern auch für alle anderen, die an seinen Be*
glückungen teilhaben, die ihn verstehen wollen.
Es sei eine Scheidewand aufgerichtet gegen diejenigen, die auf ästhetischen
Schleichwegen die Kunst mit der Religion verbinden und verbrüdern wollen.
Kunst und Religion gehören mit ihren Wurzeln, naturgegeben, zueinander,
müssen miteinander geboren sein, wenn sie wahr und stark sind. Der Musiker
darf es bekennen: Musik und Religion sind vom Anbeginn miteinander
verknüpft. Der erste Gottesgedanke, der erste Gnadenfunke war eine musika*
lische, künstlerische, wenn auch noch so primitive Eingebung. Die Künste
halfen den Glauben, die Freude am Glauben verbreiten: sie dienten als
Schmuck. Sie waren die Träger des religiösen Gefühls jenseits des gedankt
liehen Dogmas. Insoweit die Künste aber der religiösen Idee verherrlichend
und verklärend dienten, kann man von dem religiösen Erlebnis als einem
ästhetischen Phänomen reden.
Ihre religiöse Ausdrucksform hat sich die Musik im großen Sinne erst durch
die Erfindung der Kontrapunktik geschaffen. Was die Gotik als Raumkunst
dem Gottesgedanken an Bildhaftigkeit verlieh, das gab ihm in der Musik
die Fuge, die getränkt war mit dem ehernen, gewaltigen Geist des Chorals.

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