Die Schönheit in den Bildwerken der ersten Gruppe wird mit einem Blick
erfaßt, die künstlerischen Reize dieser anderen liegen in einer Fülle über#
raschender Einzelmotive, die das Auge nur nacheinander aufzunehmen im
Stande ist. Das Spiel der unaufhörlich sich ablösenden Richtungen, die dem
Auge hier aufgezwungen werden, indem es immer wieder von einem Be#
wegungsresultate zum anderen gleitet, ist ein Komplex von physiologischen
Eindrücken, deren psychischer Reflex jedoch nicht als örtliches Neben#
einander starrer Formen, sondern als zeitliches Nacheinander rhythmischer
Bewegungen empfunden wird. Da wir durch unsere unwillkürlichen Ideen#
Verbindungen angesichts eines jeden durch eine Bewegung geschaffenen
Zustandes die Vorstellung von dieser Bewegung selbst in uns wachrufen,
gestalten wir vor dieser Plastik das optische Erlebnis des Seins zu dem
psychischen Erlebnis eines Geschehens; und die Empfindung, daß nicht
unser Auge an den Linien einer Figur entlang sich bewegt, sondern diese
vor unserem Auge, kann so stark werden, daß wir uns wundern, wenn die
Figur eines Münchener Maruskatänzers, vor der wir einen Moment die
Augen schlossen, immer noch ihre alte Stellung einnimmt. Vor einer alt#
ägyptischen Figur würde uns dieses Gefühl niemals befallen.
Wir sahen vorhin, daß die absolute Ruhe des Modells nicht conditio sine
qua non für die Plastiker der ersten Gruppe ist, jedenfalls aber kam die
möglichste Einfachheit der Bewegungsmotive den künstlerischen Absichten
der alten Ägypter z. B. sehr entgegen, nämlich die Einstellung der unab#
gelenkten Sinnlichkeit auf das zeitlich Unbedingte, auf den großen Dominant#
akkord des Seins. Die barocken Gotiker, das 18. Jahrhundert dagegen ent#
fachten in der Plastik einen Sturm, durch welchen alle Bewegungsmöglich#
keiten zugleich aufgepeitscht wurden.
Diese Art von Künstlern zwingt ihr Verlangen, aus dem Leben möglichst
viel Lebendiges herauszureißen, um es in ihrem Werke unterzubringen, zu
einer viel stärkeren Abhängigkeit von ihrem Modell als die ersteren, die
darin nur das allgemein Gültige suchen und alles Zufällige ausschalten. Sie
führt vielmehr ihre Begierde, das Leben in möglichst allen Äußerungen zu
erhaschen dazu, jede Runzel und jedes Fältchen, das die Porträtähnlichkeit
und damit den unmittelbaren Eindruck des Lebendigen erhöhen könnte,
aufzustöbern, und ihr unablässiges Ringen weniger um die ewige Wahrheit
als vielmehr um die momentane Wirklichkeit läßt sie gerade das Indivi#
du eile dem Generellen überordnen.
Wir gelangen also auch auf diesem Wege zu jener Zweiteilung der künst#
lerischen Bestrebungen in der Plastik — und in der Kunst überhaupt — die
bereits Hildebrand in seinem Problem der Form ausdrücklich betonte als
das Architektonische und das Imitative.
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erfaßt, die künstlerischen Reize dieser anderen liegen in einer Fülle über#
raschender Einzelmotive, die das Auge nur nacheinander aufzunehmen im
Stande ist. Das Spiel der unaufhörlich sich ablösenden Richtungen, die dem
Auge hier aufgezwungen werden, indem es immer wieder von einem Be#
wegungsresultate zum anderen gleitet, ist ein Komplex von physiologischen
Eindrücken, deren psychischer Reflex jedoch nicht als örtliches Neben#
einander starrer Formen, sondern als zeitliches Nacheinander rhythmischer
Bewegungen empfunden wird. Da wir durch unsere unwillkürlichen Ideen#
Verbindungen angesichts eines jeden durch eine Bewegung geschaffenen
Zustandes die Vorstellung von dieser Bewegung selbst in uns wachrufen,
gestalten wir vor dieser Plastik das optische Erlebnis des Seins zu dem
psychischen Erlebnis eines Geschehens; und die Empfindung, daß nicht
unser Auge an den Linien einer Figur entlang sich bewegt, sondern diese
vor unserem Auge, kann so stark werden, daß wir uns wundern, wenn die
Figur eines Münchener Maruskatänzers, vor der wir einen Moment die
Augen schlossen, immer noch ihre alte Stellung einnimmt. Vor einer alt#
ägyptischen Figur würde uns dieses Gefühl niemals befallen.
Wir sahen vorhin, daß die absolute Ruhe des Modells nicht conditio sine
qua non für die Plastiker der ersten Gruppe ist, jedenfalls aber kam die
möglichste Einfachheit der Bewegungsmotive den künstlerischen Absichten
der alten Ägypter z. B. sehr entgegen, nämlich die Einstellung der unab#
gelenkten Sinnlichkeit auf das zeitlich Unbedingte, auf den großen Dominant#
akkord des Seins. Die barocken Gotiker, das 18. Jahrhundert dagegen ent#
fachten in der Plastik einen Sturm, durch welchen alle Bewegungsmöglich#
keiten zugleich aufgepeitscht wurden.
Diese Art von Künstlern zwingt ihr Verlangen, aus dem Leben möglichst
viel Lebendiges herauszureißen, um es in ihrem Werke unterzubringen, zu
einer viel stärkeren Abhängigkeit von ihrem Modell als die ersteren, die
darin nur das allgemein Gültige suchen und alles Zufällige ausschalten. Sie
führt vielmehr ihre Begierde, das Leben in möglichst allen Äußerungen zu
erhaschen dazu, jede Runzel und jedes Fältchen, das die Porträtähnlichkeit
und damit den unmittelbaren Eindruck des Lebendigen erhöhen könnte,
aufzustöbern, und ihr unablässiges Ringen weniger um die ewige Wahrheit
als vielmehr um die momentane Wirklichkeit läßt sie gerade das Indivi#
du eile dem Generellen überordnen.
Wir gelangen also auch auf diesem Wege zu jener Zweiteilung der künst#
lerischen Bestrebungen in der Plastik — und in der Kunst überhaupt — die
bereits Hildebrand in seinem Problem der Form ausdrücklich betonte als
das Architektonische und das Imitative.
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