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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Behne, Adolf: Neue Kräfte in unserer Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0284

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litaristisch gestimmten Ratio ist, sondern aus sehr geheimnisvollen Gründen
kommt. Freilich liegt das irrationale Element nun nicht mehr an der eins
kleidenden Oberfläche, sondern in der Sache selbst, im Kern. Das »Geheim?
nis« ist nicht mehr Angelegenheit der Aussage, Deutung, Predigt, Erklärung,
Unterhaltung, sondern unsichtbar stumme Formkraft.
Das Geheimnis eines Munch enthüllte das Geheimnis eines Klinger als lite?
rarischen Tiefsinn. Aber dem Geheimnis eines Munch geschah dann das
nämliche durch die in ihrer Exaktheit unauflösliche Sachlichkeit eines Archi?
penko. Von der »Rede« verdichtete sich das Geheimnis zum »Gefühl« —
und vom »Gefühl« verdichtete es sich zur nackten Existenz schweigender
Formen.
Keineswegs ist das Gesetz der Mechanisierung unseres Lebens — auch das
ein Ausdruck, der zum Mißverständnis fast herausfordert — verurteilt, die
Kunst zu entwurzeln. Solange wir freilich Geheimnis nur in mittelalterlicher
oder orientalischer Mystik sehen, müssen wir das wohl glauben. Solange
aber haben wir auch nur eine Kunst, die auf Krücken geht. Diese Krücken
können außergewöhnlich kostbar sein — mit indischen Perlen und mit afri?
kanischen Diamanten geziert... es bleiben Krücken. Und so ziehen wir eine,
vielleicht bescheidenere Kunst vor, die fest und sicher auf eigenen gesunden
Füßen steht — eine Kunst unserer Zeit und unserer Zone, eine europäische
Kunst.
Diese Kunst hat ihre eigenen aufwühlenden Geheimnisse, die allerdings
nicht empfindet, wer Geheimnis nur im Sonderbaren, Fremden, Unregel?
mäßigen, Seltsamen und Ungewohnten zu sehen vermag — weil ihm die
Vorstellung, es möchte doch noch Zauberer geben, einen angenehmen Schauer
beschert. Einer der Ersten von denen, die unsere Wunder begeistern konn?
ten, war F. T. Marinetti, wobei ich nicht so sehr an den Marinetti denke,
der den »Hymnus auf das Rennautomobil« sang, als an den Marinetti von
1920, der in neuen Formen arbeitet, aus dem Geiste der »splendeur geome?
trique et mechanique« (Les mots en liberte futuristes). Jener Hymnus war
noch Romantik (Pendant zu Luigi Russolos Bild des sausenden D?Zuges),
die sich an die Stimmungswerte der Maschine hielt, an ihr äußerlich, im
Sinne des »Interessanten« Wunderbares, während es nur ankommt auf das
Arbeiten aus einer Gesinnung, die, was immer an Stoffen ergriffen werden
mag (und es gibt natürlich in der Wahl des Themas keine Beschränkung),
in innerer struktureller Einheit steht mit der einfachen, klaren, präzisen und
beweglichen Leistung der modernen Maschine.
Ein Prozeß der Säuberung geht nun dem Prozeß der Sammlung notwendig
parallel — so wie auch in der modernen Wirtschaft Konzentration von Ar;
beitsteilung unzertrennlich ist, wie andererseits eine Tendenz zur Mischung
zusammengeht mit der Tendenz zur Verstreuung.
Solche war das Prinzip der — langsam — zu Ende gehenden Zeit. Sie knüpfte
die fremdesten Dinge zusammen, wenn nur eine »Wirkung« in Aussicht
stand. Die neue Idee der Sammlung oder Konzentration führt wieder jede
Erscheinung zu ihrem Gesetz. Sie ist eigensinnig, wenn sie die willkürlichen
Verbindungen spaltet und die zusammenraffende Verkupplung der Dinge
wieder trennt. Aber dieser Eigensinn ist fruchtbar. Denn jedes Ding kommt

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