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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1902 - 31. Januar 1902)
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Ehre erweisen können nls dadurch, dah wir erklären,
ihre Armee habe dieselbe Vereinignng von Heldentnm^
Menschlichkeit und tadellosem moralischem Verhalten ge-
zeigt wie unsere eigene. Wenn Bülow sagt, eS seien
ihm von dieser Seite Versicherungen über die wahre Be-
deutung von Chamberlains Worten gegeben worden, so
können wir nur bemerken: wir möchten gerne einen
doknmentarischen Beweis für diese Lhatsache sehen. Daß
man solche Versicherungen gesucht hat, scheint nicht un-
wahrscheinlich, daß sie je in offizieller Form gegeben
sind, scheint in der That sehr nnwahrscheinlich.

Der „Telegrap h", der init den finanziellen und
aristokratischen Kreisen, die seit Jahren auf ein deutsch-
englisches Einvernehmen hinarbeiten, besondere Füh-
lnng hat, bemüht sich, Bülows Rede äußerst versöhnlich
zu kritisieren nnd sogar eine Uebereinstimmung zwischen
Ehamberlains und Bülows Ansichten nachzuweisen, in-
dem er schreibt: „Jn seiner ausgesprochenen energischen
Zurückweisung äußerer Angriffe ist Bülow in völliger
Harmonie mit dem Geiste der Edinburger Rede und
Chamberlain würde, wie wir glaubem völlig bereit sein,
die Erklärung des deutschen Kanzlers, daß er sich durch
keine ausländischen Meinungen, Lendenzen und Demon-
strationen im Geringsten von seiner Politik ablenken
läßt, als Ausdrnck seiner eigcnen wirl'licheii. Meinung
anzunehmen."

Die radikalen Blätter sehen in BülowZ
Rede eine Lektion Chamberlains für seine indiskreten
Mißgrifse in der answärtigen Poliük, worüber sie Ge-
nngthunng empfinden. ^

_- ^

Aeutscher ILeichstag.

Berlin, 9. Januar.

Fortsetzung der Etatsberatung.

Abg. Bachern (Zentr.): Wir stehen vor einem Etar,
ivie er noch nie dagetvesen ist. Die Gründe liegen grötztenteils
rn der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Man hätte
aber immer im Auge behalten müssen, datz eine solche Ver-
schlechterung erfahrungsgemätz mit Notwendigkeit eintreten
mutzte. Gewitz ist au dem Rückgange des Verkehrs auch die
schlechte Geschäftslage schuld. Der Hauptgrund sind aber die
Gebahren der Kohlen- und Eisenshndikatc, die verschärfend
gewirkt haben. Wenn denen auch schwcr beizukommen ist, mutz
rnan doch auf eine erhöhte Staatsaufsicht bedacht sein. Redner
bespricht sodann die Erledigung der Chinaangelegenheit und
sagt, Deutschland sei mit Ehre aus der Chinaaffaire her-
ausgekommen. Hierauf kommt der Redner auf die Finanz-
lage des Rcichs zurück. Die im Etat für 1S02 geforderte Zu-
schutzanleihe erfordere gründlichste Prüfung. Redner be-
kämpfte weiter den Vorschlag des Professors Laband- Stratz-
burg betreffend Aufhebung der Frankensteinschen Klausel, deren
Bedeutung für die politische Stellung der Einzelstaaten cr-
wiesen sei. Dagegen könnte man den Modus der Matrikular-
beiträge ändern. Der Einfiihrnng einer direkten Reichsein-
kommensteucr müsse das Zentrum widersprechen. Die berech-
tigte Entrüstung des deutschen Volkes über Chamberlains Rede
war spontan und geradezu eruptip. Redner erklärt schlietzlich,
durch die Wegnähme des „Patrimonnnn Petri" seien in den
Gemüter der deutschen Katholiken nach wie vor dieselben Ge-
fühle rege wie zur Zeit der Einnähme Roms.

Staatssekretär Krätke: Die geringere Steigerung der
Hinnahmen des Postetats beruht teilweise auf der schlechten
Eeschäftslage. Die Ueberschüsse in Frankreich und England
tönnen und müssen größer sein, weil diese Länder sich mit der
Beförderung von Waren und Paketen nicht befassen wie wir.
Jch erinnere ferner an die Verringerung der Gebühren, vor
allem auch für das Telephonieren. Es ist das Verdienst meines
Borgängers, der das Telephonnetz auch auf das flache Land
ausgedehnt hat. Aber es entstanden grohe Ausgaben fiir
Neuanlagen von Tekrgraph und Telephon, dcnn es rnütz ja
jeder angeschkossen werden, der es verlangt. Die zehn Millio-
nen Mark Etatsüberschreitungen beruhen zum Teil auf den
Entschädigungssummen, die an Privatgesellschaften bezahlt wer-
Len mußten, 2)4 Millionen auf der Herabsctzung der Dienst-
stunden, )4 auf der Gewährung von Urlaub zu Erholung an
Unterbeamte.

Abg. Richter (freis. Volksp.): Jch bin mit der Erklä-
rung des Reichskanzlers gegenüber Chamberlain vollkommen
einverstanden. Es bewahrheitet sich auch hier das Wort Capri-
vis: Jn nationalen Fragen sind wir Deutsche
alle einigl Wir wissen, was wir an unserem Heere ha-
ben und was es mit dem englischen Minister für eine Be-
wandtnis hat! Nun genug davon: Wir haben wichtigeres
zn thun. Die beifällige Bemerkung des Grafen Stolberg
Lber den Dreibund gab dem Reichskanzler gestern willkommenen
Anlatz zu einer sorgfältig vorbereiteten Aeutzerung über den-
selben. Die parlamentarische Rcdnertribüne ist ja sehr ge-
eignct, um einem Dinge zu sagen, die in diplomatischen Noten
nicht gcsagt werden können. Dem ersten Teil der Aeutze-
rungen des Reichskanzlers stimme ich vollkommen bei. Nicht
ganz klar ist mir der letzte Teil, daß der Dreibund nicht mehr
dieselbe Bedeutung habe wie früher. Er ist ja recht schön, aber
wenn er nicht mehr da ist, geht cs auch. Vielleicht waren diese
Aeutzerungen weniger an unsere alsan eine andere Adresse
gerichtet. Was unsere Weltpolitik anbetrifft, so habe ich auf
der Schule gelernt, je grötzer die Reibungsfläche ist, desto leich-
ter kann eine Reibung eintreten. Fürst Bismarck hatte für
die Bedeutung der übereseeischen Frage das richtige Augenmah.
llnsere Weltpolitik vermehrt die Möglichkeit einer Verwicke-
lung in üüerseeischen Gebieten. Die Brüsseler Zuckerkonferenz
werde erfolglos verlaufen, wie alle derartigen Konferenzen.
Seit 1896 sind die fortdauernden Ausgaben für Militär,
Marine und Kolonien immer gestiegen un'd sind jetzt um 143
Millionen höher als damals. Zum Schlusse wünschte Redner
Verminderung der deutschen Besatzung in China. Er erwähnt
noch, datz der Staatssekretär des Reichsschatzamtes gestern von
der Möglichkeit einer höheren Tabaksteuer gesprochen habe und
schließt mit der Forderung, bei der Behandlung der Finanzen
wieder zu der alten preußischen Tradition der Sparsamkeit
znrückzugehen. (Beifall links.)

Abg. von Kardorff (Reichsp.) glaubt nicht, datz eine
höhere Tabaksteuer vom Reichstage genehmigt werde. Die Er-
folge der Brüsseler Zuckerkonferenz setzt er gleich Null an. Er
verlangt schlietzlich Cinschränkung der Freizügigkeit.

Abg. Schrader (freis. Ver.) verlangt Verschiebung un-
nutzer Ausgaben auf günstigere Zeiten und die Einführung
emer jährlich zu bewilligenden Reichseinkommen- und Ver-
mögenssteuer. Handel und Jndustrie werden die Krisis auch
wieder überwinden.

Darauf vertagt sich das Haus auf morgen 1 Uhr.

Bade«.

8.0. Karlsruhe, 9. Jan. Der „Schwäb. Merkur"
fchreibt: Wahrend die Wohnungsgeldvorlage
allgemein durch die Höhe der Ansätze überraschte und
ihr Gesamtbetrag die in Aussicht genommene Summe
von 1 Mllion bedeutend übersteigt (1,6 Millionen so-
gleich, anwachsend auf 2,3 Mill.), ist bei derLehrer -
vorlage das Gegenteil der Fall, indem sie hinter den

Erwartnngen zurückbleibt. Man hatte auf 1 Mill. mkn-
destens aber auf 900 000 M. gerechnet und nun sind
es bloß 630 000 Mark, die dazu dienen sollen, die bis-
her zu Ungunsten der nlteren Lehrer bestehenden lleber-
gangsbestimmungen unschädlich zu machen. Das ist et-
was, aber nicht alles, was mit einer gewissen Berechti-
gung in Lehrerkreisen erwartet wurde. Das Echo, das
aus dem Lande zu erwarten ist, wird auf eine Enttäusch-
ung schließen lassen. Der drohende Lehrermangel hätte
die Regierung veranlassen sollen, etwas tiefer zu Gun-
sten der Lehrer in den Beutel zu greifen und lieber
die Wünsche unserer Beamtenklasse noch zn vertagen,
denn dort ist das größere Bedürfnis und das dringendere
Verlangen der Staatsräson. Die 630 000 Mark für
die Lehrer nnd die 1,6 Millioiien für die Wvhnungsgelder
machen znsammen etwas üller 2,2 Millionen, davon
1,1 Millionen für die Lehrer und 1,1 Millionen für
die Wohnungsgelder hätte sich näher an den Erwartun-
gen, beziehungsweise Zusagen gehalten und wäre wohl
allgemein als der Sachlage entsprechend beurteilt wor-
den.

80. Karl s r u h e , 9. Ian. Wie aus Abgeord-
netenkreisen verkautet, steht für Anfang der näch-
sten Woche die Generaldebatte über die Lage des Staats-
hauShaltes und die Politik der Regierung Zu erwarten.
Jn Verbinduiig damit soll die Jnterpellation über die
Stellungiiahme der Großherzoglichen Regierung zum
Zolltarif verhandelt werden. Es war auch davon die
Nede, die Interpellation für sich allein vorzunehmen.
Die Interpellanten (Sozialdemokraten nnd Demokratsn)
scheinpn indefsen keinen so großen Wert mehr auf eine
eingehende Erörternng zu legen, nachdem der Reichstag
sich bereits mit der Sache besLüftigt hat.

Prcußc».

— Jm Abgeordnetenhause lcgte dcr Finanz-
minister am 9. ds. den Etatsentwurf vor. Die Etats-
rede verkannte nicht die momentan gedrückte Lage, sprach
sich aber schon über die nächste Zukunft durchaus nicht
pessimisttsch aus. Jm Etat für 1902 stnd die Eimiahmen
mit 2 634 167144 Mk., die ordenllichen Ausgaben mit
2 467457174 Mk., die außerordentlichen Ausgaben mii
146 769 970 Mk. veranschlagt. Am Montag stehm die
Poleninterpsllatioiien auf der Tagesordnung. ^

Aus der Karlsruher Zeitung.

Karlsruhe, 9. Jan. Gestern besuchten die Groß-
herzoglichen Herrschaften mit der Kronprinzessin Victoria
und dem Prinzen Wilhelm von Schweden die Opernvor-
stellung im Großherzoglichen Hoftheater bis zumSchluß,
wonach Jhre Königlichen Hoheiten den Generalintendan-
ten Dr. Bürklin und den Generalmusikdirektor Mottl
in dem Logenraum empfingen. Heute Vormittag von
11 llhr an bis halb 1 Uhr hörte der Großherzog den
Vortrag des Präsidenten des Ministeriums des Jnnern
Geheimrats Dr. Schenkel. Prrnz Wilhelm von Schwe-
den verließ die Höchsten Herrschaften um 5 Uhr 46 Min.
Jhre Königlichen Hoheiten begleiteten denselben zum
Bahnhof. Der Prinz reist direkt ohne Aufenthalt unter-
wegs nach Stockholm. Seine Königliche Hoheit ist beglei-
tet von dem Kapitän in der Königlich Schwedischen Ma-
rine Grafen Posse.

Ausland.

Oesterreich-Ungar«.

Wien, 8. Jan. Die „Politische Korrespondenz"
wird von zuständiger französischer Seite ermächtigt, die
Aeußerungen, welche bei der Unterredung eines Pariser
Berichterstattrs des „Giornale d'Jtalia" mit Delcasse
letzterem bezüglich der Rolle Jtaliens aus der Balkan-
halbinsel in denMund gelegt wurden, kategorisch für nn-
richtig zu erklären, Delcasse belstihrte den Gegenstand im
Gespräch überhaupt nicht.

England.

London , 9. Jan. Die B u r e n ziehen sich an
der Grenze des Zululandes zusammen. Eine
Abteilung steht dicht ani oberen Undunyana, eine zweite
Abteilung Passierte nachmittags Nondweni und rückte
gegen Jnkandkla vor. Die Buren ziehen Erkundigun-
gen bezüglich der Besatzuugen in Helpmakaa und Pome-
rog ein und sind, wie gemeldet wird, im Besitze von zwei
PomPongeschützen.

Asicn.

Peking, 8. Jan. Mehrere hohe Beamte hatten
hente im kaiserlichen Palaste Audienz. Die Kat-
serin-Witwe führte die Unterhaltung und ließ
den Kaiser, der melancholisch und teilnahmslos da-
saß. völlig unbeachtet. Besonder^ . hervorgehoben zu
werden verdient, daß bei dem Empfang sremde Truppen-
abteilungen anwesend waren. Die Kaiserin schien von
der Zkotwendigkeit einer versöhnlichen Politik überzeugt
nnd erließ ein Edikt, in welchem befohlen wird,
daß Tungfuhsiang hingerichtet werden
soll. Der Tartarengeneral in Kansii soll das Urteil
vollstrecken. ^uanschikai, Linkunji und Tschangtschitung
richteten eine gemeinsame Denkschrift an die Kaiserin,
in der sie Tungfuhsiang für die Ermordung der belgi-
schen Missionare verantwortlich machen und dessen Hin-
richtung empfehlen, bevor er einen Aufstand hervorge-
rufen nnd die Regiernng in Schwierigkeiten mit den
Fremden verwickeltEhabe.^^ .... ..

Aus Stadt und Land.

Heidelberg 10. Ianuar.

(I) Vortrag Bassermnnn. Gestern fand im überfüllten
Gartensaale der Harmonie der dritte Vortrag des evang. Bun-
des statt. Kirchenrat Bassermann redete über „P r i e-
ster und Pfarrer". Nachdem der Redner die Absicht,
gegen den katholischen Priesterstand zu hetzen, als ihm ganz
ferne liegend abgewiesen, und die Erkenntnis des prinzipiellen
Unterschiedes oder Gegensatzes zwischen katholischem Priester-
stand und evangelischem Pfarrertum als Zweck seiner Crörte-
rungen bezeichnet hat, trat er zunächst in eine Besprechung
der grundverschiedenen Art ein, wie ein Priester einerseits, ein
Pfarrer andererseits wird. Jener durch die bischöfliche Weihe,
die ihn in real- übernatürlicher, zugleich unauflöslicher Weise
mit Christus verbindet, so datz er Christum in sich darstellt;
dieser aus der Gemeinde heraus, vermöge dcs ihr eigenen all-
gemeinen Priestertums, durch die Wahl und die Berufung des
Einen, der um der Ordnung willen an Stelle Aller das Amt in
ihr verwalten soll, wobei die Ordination bon ganz nntergeord-

neter Bedeutung ist. Nach Luthers Meinung wird der „Geisr-
liche" geboren, nicht gemacht, er ist die christlich-religiöse Per-
sönlichkeit, wie sie auS der Christengemeinde erwächst. Dadurch
nun ist weiter die Stellung bcider zur Gemeinde bedingt. Der
Priester steht der Gemeinde gegenüber, von ihr geschieden durch
die ihm bcrliehene, einzigartige göttliche Würde, die nicht von
sciner religiös-moralischen Persönlichkeit abhängig ist; der
Pfarrer steht in der Gemeinde, der geistliche Standesunterschieb
ist aufgehoben, damit zugleich auch die Forderung einer be-
sonderen Heiligkeit und Rekigiositüt. Deshalb hat jener die
Aufgabe über die Gemeinde zu herrschen, wozu ihm ja in dcn
Sakramenten, besonders der Beichte, alle Mittel in die Hand ge-
geben sind, während dieser höchstens durch wissenschaftliche
und technischc Befähigung, sowie durch seine sittlich religiöse
Persönlichkeit eine führende Stellung gewinnen kann, jedoch so,
daß er jederzeit dem Urteil der Gemeinde unterliegt. Ein
entsprechender linterschicd zeigt sich dann in den Mitteln des
Wirkens; es sind dort die Sakramenie, bcsonders das Metz-
opfer und die Butze und Sakramentation, ex opere operatv und
physisch die heiligmachende Gnade emflößend, in ihrer Wir-
kung auch auf den Körper des Empfängers, ja nuf leblose
Dinge aller Art sich erstreckenö. Hier dagegen soll durch das
Wort Gottes Glauben gewirkt werden, aus dcm die Werke
hervorgehen, eine rein geistigc Wirkung. die lcdiglich anf di:
Bildung von selbständigen chrijilichen Persönlichkeiten abzielt.
Znletzt ivurde dann noch die Stelluug des Pricsters zu den
nicht kirchlichcn Gebieten und Kreisen, wie Schule, Wissenfchaft,
Politik, Recht, Armen- und Krankenpflege gezcichuet: Der Prie-
ster mutz dahin streben, sie alle unter die Herrschaft der Kirche.
zurückzubringen und ihnen den Stempel des Kirchlichen auf-
zuprägen, während ihnen evangeiischerscitZ freier Spielraum
zur Entfaltung der in ihnen tiegcndcn Kräfte gegeben wird.
Mit der Beantwortung der GewisienSfrage, warum die Eoaii-
gelischen einen mit so hohen Vorzügen ausgestatteten Priester-
stand dennoch ablehnen müssen — aus Gründen der histori-
schen und religiösen Wahrheit — und dcr Förderung einer
selbständigen evangelischen Religiosität, schlotz der Redner seine
fesselnden, von sachlicher Ruhe mid Wissensckiaftlichkeit gctra-
gcnen interessanten Ausführungen.

X 3»r Frage der Wiederherstellnng des Schlosses- Am
8. Jan., abends 8'/^ Uhr fand in Karlsruhe e'ne Sitzung des
Badtschen Archttekten- und Jngenieurveretns für
den mitielrheintschen Bezirk statt, in welcher über die Frage der
Wiederhsrstellung des Heidelberger Schlosses beraten wurde.
Die autzerordentlich zahlretch bcsuchte Versammlung wurde, ohne
dab ein Beschluß gefabt war, wegen vorgerückter Zeit gegcn
1 Uhr vertagt. Refereut Professor Ratzel trat warm für die
Wtederherstellung ein, während dsr Correferent, Brof. v. Oechel»
häuser, sich dagegen aussprach. Jngenieur Ammon erklärte,
daß er srüher G-gner d-r Wiederherstellung gewesen sei, nun-
mehr aber, nachdem er daS Protokoll der ttonferenz von 1901
siudiert habe, namentltch durch dic Ausführungen von Koch und
Seitz, sich von der Zweckmäßigkeit der Regterungsvorschläge über-
zeugt h-be Von den geladenen Güsten deteitigten sich Dr. Alt
auS Mannheim. Prof. Haupt aus Hannover im Sinne der
Gegner, Archiiekt Seitz aus Heidelberg im Sinns der
Anhäuger des Schäfer'schen Projekts an der Dtskussion, Prof.
p. Oechelhänser konslatierts, daß die Sprengungen der Fran-
zosen an den eigenllichen Wohngebäuden keinen Schadeu verur-
sacht haben; er tst auch der Meinung, daß Schäfer am Fiiedrichs-
bau nickt zu viel gethan have inid daß der Doppelgtebel d!e
rtchtige Lösung der Dachsrage gcwefcn sei; die Befragüng von
Sachverständigen'vonSeiten der Stadt Heidetberg und des Schloß-
veceins hrlte er für nutzlos. Als etwas bisher Unbekanntes teilt
v. Oecheltäuser mit, daß Durm dem Finanzministcrium srüher
ein Gutachten cingeretcht habe, welches d-n Ausbaii, wie ihn
Schäfer j.tzt vorschlägt, schon sn-pfahlen yabe. Dr. Alt ist
der Meinung, daß bas Projekt von Scitz demjenigen
von Schäfer vorzuziehen sei. Seitz konstattert, daß von
den Gegnern, so just von Adler, auS seinem früheren Gut-
achten Teile ohne jeden Zusammenhang herousgenssen und
iu unrichstger w-llkürltcher We!se als B-weis herangezogen wur-
den dafür, daß der Olto-Hetnrichs-Bau auch ohne Dach erhalten
wcrden könne; er v-rwahrt sich anch dagegen, daß sein Projekt
in eincn Eegensatz zu dem Schäfcr'schen gestellt werde. Die
Betruchtungeu, welche die Gegner früher in Tagesblättern an
die jetzige Form d-s Otto-Heinrichs-Baus geknüpft hatten mit
der Absicht, ihre Behauptunz, die Fassade habe ursprünglich mit
horlzontaleai Abschiuß ausgeführt werden sollen, -u begründen,
sind in dcr Bersaimnlung von Lachverständigen begreiflicherweise
mehr zurückgetreten. Nur Prof. Haupt aus Hannover versuchte
die Fassade dadurch, daß sr sich ein Stockwerk ganz entfernt, das
Erdgeschoß niedriger, die Fenstervirdachungeu dasclbst tn den
zweiten Stock verlegt, dte Nischeu mit den Figuren ganz weg
nnd noch andere solche Umgesta'tungen denkt, einem italienischen
Vorbild, dem Palazzo Roverella in Ferrara zu rähern. Er kon-
struierte auch einc ganz neue Auslegung des Vertrags mit Co-
lins. Jhm entgegneie Seitz, daß man auf diese Art leicht jcdes
Gebäude in ein b-liediges andere verwandeln könne und daß die
neue Vertragsdeutung nur dazu diene, den Bewets von der Un-
möglichkeit der richtigen Auslegung des Aktenstückes zu verstärken.
Jm Ganzen hat man den Eindruck von der Versammlung er-
halten. datz seitdem dis Diskussion über die Wiederherstellung dcs
Schlosses in Fachb!ät!er und Fachveecine verlegt wurde. die
Freunde der Wiederherstellung immer mehr Boden ge wtnncn.

Zu dem Selbstmord im Eisenbahnkoupee, toorüber wir in
voriger Nummer berichteten, schreibt ein Karlsruher Korrespon-
dent des „Mannh. Anz.": Aus den gefundenen Papieren geht
hervor, datz der Selbstmörder Kihm heitzt, vom Stand Kanf-
mann ist und die unglückliche That wegen unglücklicher Liebe
vollbracht hat. Drei Briefe hatte Kihm bei sich, einen an seine
Mutter, die bei einem anderen Sohne lebt, der Pfarrer im
badischen Schwarzwald ist, einen an das betreffende MLdchen
und einen an die Polizei von Friedrichshafen, wo Kihm seither
in Stellung gewesen zu sein scheint. Jn dem einen Schreiben
bat der Selbstmörder um Verzeihung, ferner um kirchliche
Beerdigung.

1s. Unvorstchtigkeit. Jn einem Zug von Neckarsteinach —
Heidelberg warf etn Herr etnen Zigarrenitummel in Len Schlitz
der Konpeethür, der zur Aufnahme des Fensters dient, was die
Folge hatte, datz die Thüre in Brand geriet und beim Oeffnen
derselben die hellen Flammen emporschlugen. Da der kleine
Brand sogleich durch den Geruch bsmerkt wurde, konnts derselbe
auf der Station Schlierbach gelöscht und g-ößerer Schaden ver'
hütet werden.

O Kochverein. Den Bericht über die Feier des Kochverei»?
aw Mittwoch bringen wir morgen.

— Polizeibericht. Dret Arbettsr wurden wegen Bsttelns,
ein Schlosser zur Slraferstehung uud ein Frauenzimmer wegev
Umherziehens verhaftet. Wegen Unfugs kamen drei PersoneN
zur Anzeige.

I Wiesloch, 9. Jan. (Ein selten vorkommen^
d e s F a m i l i e ii d r a m a) hat sich heute früh gegen 10 Uh^
hier abgespielt. Der wegen Mihhandlung seiner Chefrall
angeklagte .Kronenwirt Thome aus dem nahen DielheiiN
war heute wegen obigen Vergehens zur Aburteilnng vor das
hiesige Schöffengericht vorgeladen. Vor Beginn der Berhand^
lung erschotz der rohe Mensch mittels eines Revolvers seinS
ebenfalls vorgeladene Frau, welche sich in letzter Zeit bei hie^
sigen Verwandten aufhielt, vor dem Eingang in das Gerichts-'
gebäude und fenerte dann drei Schüsse auf sich selbst ab,
die jedoch nicht lebensgefährlich sein sollen. Unter grotzel'
Menschenandrang wurden beide in das Spital dahier ver^
bracht, von wo aus der Mörder mittags gegen 1 Uhr mit einev'
Wagen in das akademische Krankenhaus nach Heidelberg ge^
führt wurde. (Er starb unterwegs. Red.)

, si Mannheim, 9. Jan. (Zur Frage der Rheinreg^
 
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