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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
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Freitasi, 9. Mai 1902

Gkstes Blatt

44. Jahrgang. — 107

E rscheint taglich Somrtags ausgmonivicii. Preis rnit Favüiienblattcrn nionatiich bv Pfg. in's Haus gebracht, bei d»r Expedition und dcu Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr. . ^

A nz ei g cnpr ei s: 10 Psg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Rauui. Reklaiuezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für dic Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebcnen Tagen wird keine Perantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Lnscrate aus den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Iie Worgänge im Wejien der Kapkolonie.

Aus dem äußLrsten Westen der Kapkolonie kommt
sonüerbare Kunüe. Seit einem Monat ist Ookiep,
bie Hauptstadt vou KleiillNamaqualand, verteidigt vom
-Oberst Wellington Shelton, mit einer Bevölkerung von
6000 L-eelen belagert gewesen und erst soeben ent-
setzt worden. Die Buren scheinen sich zu Herren des gaN-
zen westlichen Disirikts gemacht zu haben unü eine
iL-tadt nach der anderen fiel durch Uebergabe oder da-
durch, daß die britischen Garnisonen abzogen, in die
Hände der Buren. Diei Blockhäusbr vsrmochten die
Bahnlinien nicht zu schützen, sondern wurden einfach
mit Dynamit in die Luft gesprengt.

Eine englische Telegraphenagentur übermittelt ver-
schiedene Briefe, die sehr interessante Einzelheiten über
die Ereignisse auf jenem fernen Teil des Kriegsschau-
Platzes enthalten. Die Briefe befassen sich hauptsächlich
mit der Belagerung der kleinen Stadt Ookiep, öie durch
eine Bahn mit dem 76 Meilen entfernten Port Nolloth
verbunden ist. Es ist zu erwähnen, daß spätere Berichte
die Entsetzung der Stadt durch von Port Nolloth unter
Oberst Cooper anrückende Unterstützungstruppen gemel-
det haben. Der erste vom 11. April datierte Brief
besagt, daß die Bahn und die Blockhäuser bei Rattleport
zerstört und alle Besatzungen der Blockhäuser an der
Linie nach Port Nolloth zur Verteidigung des Hafens
kommaudiert wurden. General Smuts verlangte am
4. April die Uebergabe von Ookiep. Oberst Shelton
erklärte jedoch, daß er die Stadt bis zum letzten Mann
verteidigcn werde. „Er muß jedoch", heißt es in dem
Briefe weiter, „Entsatz erhalten, da er 6000 Lcute zu
ernähren und nur für drei Wochen Proviant hat. Die
Garnisonen von Mesklip und Natabeep mit allen Was-
fen und der gesamten ÜNunition wuyde nach Ookiep ge-
bracht. Ntababeep ist inzwischen geplündert worden.
L-Pringbokfontein verteidigte sich tapfer, mußte sich jedoch
nach Verlust oon vier Toten und sechs Verwundeten
der Ueberzahl ergeben. Es heißt, daß Concordia sich
ohne^eincn Schuß ergeben hat. Oberst Shelton befahl
der Stadtwache von Conordia, nach Ookiep zu kommen,
was diese jedo-ch verweigerte. Die Buren haben die
Bahnlinie meilenweit zerstört. Das Dynamit, das sie
bei Garrakop acht Nieilen von OokieP, erbeuteten, benutz-
ten sie jetzt zur Zerstörung der Blockhäuser, indem sie
von den höheren Hügeln Dynamitladungen auf die
Dächer werfen. Qberst White hat sich mit seinem Deta-
chemcnt bei Gassies verschanzt und kann nicht fort. Ane-
nous, Kookfontein, Steinkoop, Ooboop und alle Außen-
stationen find verlassen. Zwei Züge mit Flüchtigen tra-
fen in Port Nolloth ein. F-lüchtige aus Liliesfontein
konimen dazu, so daß die Zahl sich auf über 1600 be-
läuft. Ueber die Einnahme von Springfontein wird
berichtet, daß dic Buren nach vierundzwanzigstündigem
vergeblichen Versuch, endlich in das Dorf zu dringen ver-
mochten. Lord Dorrington, der Blockhaus-Kommandant,
fah Fcuer bei dem Haus des Zivilkommissars und dachte,
die Äiiren hätten das Haus in Brand gesteckt. Er ließ
darauf Feuer eröffnen, worauf die Buren den Hügel
stürmtcn, auf dessen Spitze das Blockhaus stand, und
sofort die Uebergabe verlangten. Als Leutnant Dorring-
ton das verweigerte, wurde er mit Dynamitladungen
begrüßt. Die Buren krochen dann in einen toten Winkel
am Hügel, so datz sie nicht beschossen werden konnten, und

Legannen, Dynamit unter das Blockhaus zu legen. Sie
verlangten abermals die Uebergabö, andernfalls das
Blockhaus niitsamnck der Besatzung in die Lust gefprengt
werden würde. Der Kommandant sandte dann die
Botschaft, daß er sich unter der Bedingung ergeben wolle,
daß man seinen Leuten keinen Schaden zufüge. Dem
wurde zugestimmt und die Besatzung wurde dann im
Gefängnis untergebracht. Viele Leute wurden durch
Dynamitladungen, die von einein Kopje aus auf da.s
Blockhaus geworfen wurden, getötet."

Ein zweiter, vom 12. April datierter Brief teilt mit,
daß Transportschriffe in Nolloth eingetroffen seien und
Verstärkungen in die Stadt geworfen würden. Jni drit-
ten, am nächsten Tage geschriebenen Briefe heißt es:
„Leutnant Meyrick hat bisher die Viadukte und den
Gebirgspaß oberhalb Anenous tapfer verteidigt. Ein
gerade eingetroffener Eingeborener berichtete jedoch, daß
die Buren um den Berg herum gegangen sind, und die
Bahnlinie diesseits Anenous bis zur 37. Meile zerstört
haben. Die Vuren, welche Concordia genommen haben
sind meistenteils Transvaaler. Jn Ookiep werden die
Buren scheinbar warm empfangen, denn viele ihrer Ver-
wundeten werden nach Concordia gebracht und andere
nehmen ihren Platz ein. Sie scheinen sich in Concordia
häuslich niedergelassen zu haben, haben ihren Doktor
und Feldgeistlichen dort und halten zweimal siäglich
Gottesdienst ab. Kommandant Smuts wohnt im Hause
des Doktors, dcr sich in Kapstadt befindet. Er hat seinen
Sekretär, einen Franzosen, bei sich, der unter ihnen
den Ruf großer Geschicklichkeit genießt und dem sie den
Spitznamen „Roberts" beigelegt haben."

Die Entsetzung von OokieP ist nach späteren
Berichten Ende Äpril erfolgt. Die Buren sind aber
nnr zurückgescheucht, nicht geschlagen worden. Auf die
starken englischen Friedenshoffnungcn, die sich anf die
angebliche Kriegsunlust der Vuren stützen, werfen diese
Vorgänge ein grelles, Licht

Deutfches Neich.

— Im nächsten Monat finden, wie jetzt festgestellt
worden ist, von der Nordseeinsel Borkum aus nach dem
Festlande zu zehntägige große L a n d u n g s -
manöver statt, denen unter anderem auch der Kaiser
mit größerem Gefolge beiwohnen wird. An dem Ma-
növer, das sich sehr interessant und lehrreich gestalten
dürfte, iperden unter anderem die Jnfanterieregimenter
78 (Osnabrück und Aurich) sowie 91 (Oldenburg) teil-
nehmen. Die llebuug wird sich in Gegenwart deS kom-
mandierenden Generals des zehntcn Ärmeekorps, pon
cstünzner, vollzieheu: au.ßerdem werden höhere Offi-
zicre andercr Korps soioie von der Flotte anwesend sein.

Wiesbaden, 7. Mai. Der Kaiser trifft,
wie der „Rhein. Kurier" meldet, am Samstag Nach-
mittag 4,60 Uhr mit Sonüerzug von Stratzburg hier
ein; er wird das Essen beim Jntendanten des Königl.
Theaters, Kammerherni von Hülsen, einnehmen und
abends der Generalprobe der Gluckschen Oper „Armide"
beiwohnen.

Wadifcher Landtag.

L. 0. Karlsruhe, 6. Mai. (78. Sitzung der

Zweiten Kammer.) Präsident Gönner eröffnet die
Sitzung um 9 Uhr.

Der Gesetzentwurf betr. die wandelbaren Bezüge der
Notare wird der Justizkoimnission, der Anlrag Eichhorn
u. Gen. betr. den Eisenbahnrat der Eisenbahnkommisston
überwiesen.

Das Haus tritt ein in die Spezialberatung des
Etats der Volkschulen.

Bcrichtcrstattcr Obkirch cr (Natlib.) bcgrüßt mit Gcnug-
ihuung, daß die Regierung nunmehr auch dem gegenüber
den Hochschulen etwas vernachlässigten Volksschulivesen größere
Aufmerksamkeit zuweuden will. Als Redner sich anschickt, die
Stellung der Kommifsion zu üiesem Etat darzulegen, erinnert
Präsident Gönner daran, üaß gemätz einer Vereinbarung der
Partcicn keine allgemeine Distussion stattfinden soll.

Abg. Schmid (Ratlib.) bittet um Zulassung der Lehrer
zu den Rechnerstellen der ländlichen Kredit- und Konsum-
vereine.

Oberschulratsdirektor Arnsperger ist der Ansicht, datz
sich Rechnerstcllen nur schwcr mit dcm Amt eines Volksschul-
lehrers vercinbaren lassen. Boraussetzung der Erlaubnis fei
unter allen Umständen, datz in der Person des Lehrers und
in den Verhältnissen des betreffenden Vereines kein HinderniL
liegt und daß sonst keine geeignete Pcrsönlichkeiten vorhandcn
sind.

Abg. Ncuwirth (Natlib.) unterstüßt die Anregung des
Abg. Schmid.

Abg. Dreesbach (Soz.) weist unter Bezugnahme auf
eino Notiz der „Mittb. Nachr." auf die Ueberfüllung der
Klassen in Nußloch hin. Oberschulraisdirektor- Arnsperger
giebt zu, daß'in dieser Hinsicht wirklich Mißstände vorliegen,
wclche in der Klasseneinteilung begründet find. Abhilfc zu
schaffen, sei Sache der Kreisschulräte; die Regierung wcrde
dies veranlassen. Jn Nußloch sollte eine weitcre Lehrstelle
errichtet wcrden, was mit großen Schwierigkciten verknüpft
sei.

Abg. Heimburger (Dem.) ersucht die Regierung,
die Kreisschnlräte zur schleunigen Berichterstattung zu ver-
anlassen.

Abg. Wacker (Zentr.) ist der Ansicht, daß em Lehrer»
auch wcnn cinmal die Grenzc dcr Schülerzahl überschritten
wird, rechts Tüchtiges leistcn kann. Den Gemeinden sollte
man nicht zu viel zumuten.

Wg. Dreesbach (Soz.) weiß so gut, wie Herr Wacker,
daß die oberen Klassen nicht so übcrfüllt find, wic die unteren.
Das Vcrlangen, daß eme gewisse Grenze nicht überschritten
werden darf, sei nicht schablonenhaft, sondern dnrchans gerecht-
fcrligt. Der Redner kommt auf die Mannheimer Verhältnisse
zu sprechen und führt noch die Aeußerung eines Schulmannes
in Bezug auf kambinierte Klasfen an, die den Betreffendcn
nicht als besonders hervorragenden Schulmann erscheincn lassen.

Abg. Wilckcns (Natlib.): Jch muß der letztercn Be-
hauptung des Vorrcdners cntgegentreten, als ob ein Mann wie
Strübe kein Padagage sci. Jch kcnnc ihn seit langer Zeit und
habe dienstlich mit ihm zu thun gchabt. Jch kann nnr sagcn, datz
er jctzt noch ein tüchtiger Schulmann und Pädagoge ist. Das von
Abg. Dreesbach über ihn abgegcbene Ursteil ist mciner Ansicht
nach nach allen Seiten hin imgerecht. Was im übrigen den
Spezialpunkt angeht, so hat der Oberschulratsdirektor die er-
forderliche Rcmedur in Aussicht gcstellt. Es können ja mal
Mißstände borkommen. Erwünscht schcint mir zu sein, datz
die -Oberschulbehörde dureb irgendtvelchc Cinrichtungen ihrer-
seits eine unmittelbare Kontrolle darüber ausübt, ob die
Verhältnistc auf diesem Gcbicte in den einzelnen Orten aus-
reichende sind oder nicht und sich darüber verlässigtc, ob alles
,n Ordnung ist oder ob Abhilfe geboten erscheint.

Aüg. Wacker (Zcntr.) : Meine Bemerkungen wareu
ganz allgememer Natur uud haben sich auf Landgemcinden
bezogen. Dcr Kollcge Drecsbach sollte nicht Vergleiche zichen

StadtLheater.

Heidelberg, 7. INai.

Lotztes Enscmble-Gastspiel Großherzoglich vadischer Hof-
schauspieler vom Hofthcatcr iu Karlsruhe. Zum erstenmale:
„Die verfunkenc Glocke", ein Märchendrama von Gerhart
Hauptmami.

Fast auf den Tag fünf Jahre und fünf Monate nach üer
ersten Aufführung in Berlin im Deutschen Theater ging Haupt-
manns „deutsches" Märchendrama — so nennt es das Buch,
das 1002 in 63. Auflage erschienen — zum erstenmale iu
Heidelberg über die Bühne. Unter den dreizehn Bühnen-
werken, welche uns der ernstc und keusche Poet geschenkt hat,
uimmt diesc Dichtung in gewisser Hiusicht eine Sonderstellung
ein. Sic ist im Märchenlande.angesiedelt, seine nächsten Ver-
waudten hierin sind „Hannele" und „Schluck imd Jau". Zu
den anderen beiden Künstlerdramen „Kollege Crampton" und
„Michael Kramer" lassen sich kaum Beziehungen auffinden, wie
auch die beiden unter einander nichts Gememsames zeigen. Da-
gcgcn kann man dem INärchendrama von der versunkenen
Glocke in vieler Beziehuug „Einsame Nienschen", dem Glocken-
gießer Heinrich die sensible Künstlernatur des Gelehrten Jo-
hannes Vockerat an die Seite stellen.

Jn einem Dorfe am Fuße des Riesengebirges wohnt mit
scincm Weibe und seinen zwei Buben, wclche im Alter von
fünf und neun Jahren stehen, Heinrich, ein Glockengießer. Er
yt ein Meister in seiner Kunst, von mehr als hundert Türmen
erschallt der herrliche Klang seiner Glocken in die Lande. Ein-
trächtig lebt er unter seinen Mitbürgern, von ihnen geachtet
und geehrt. Nicht nur dic tägliche Gewohnhcit chelichen
Zusammcnlebens verbindet ihn mit - Magda, seinem Weibe,
die treue Gefahrtin bermag es, auch seine Kunst zu würdigen
und dem Schaffenden bringt sie verständnisvolle Ergebenheit
cnigegen. Hoch oben im Gebirge ist ein Kirchlein erbaut
wordcu und Meister Heinrich hat dafür eine Glocke gegosscn,
welche an Schönbeit und Macht des Klanges all seine Werke zu

überragen scheint. Unten, zwischen Bäumen, hat man sie
aufgehängt und üer Pfarrer hat zum Küstcr, als zur Probc ge-
lautet wurde, geäußert, wie schön wcrde sie erst oben auf dcn
Hühen klingen. Der Tag der Glockeneinwcihung soll cin
Festtag sein. Doch als man mühsam die Glocke hinaufschafftc,
auf cincm Wagen, bespanut mit acht Pferden, bricht ein Rad,
die Glocke stürzt in die Tiefe, schließlich in den Bergsec, ihr
nach der Glock'engießer; und dies ist sein Todessturz. Hier
setzen die Vorgängc des Dramas ein. Denn Meister Heinrich
stirbt nicht unmittelbar nach üiesem Unfalle, im Gegenteil, er
lebt noch einen erhabenen Rausch gesteigerter Kraft und Liebes-
fülle, aber eben nur einen Rausch. — Jm Hannele schaueu
wir die Fieberphantasien des sterbenden frommen Kindes und
es wird uns durch sie die Bckamitschaft mit seinem elendc» und
rauhen Leben, mit seinem reichen nnd zarten Gemüt vermittelt.
Die Traumgcstalten, welche dort vorüberzichen, sind durchaus
von Hanneles Gnaden, sie haben gar keine Eigengcltung. Ein
Fiebertraum ist es uicht, der dem Meister Heinrich bunte
Bilder vorgaukelt. Der Dichter versctzt uns ins Märcheii-
land. Ein Traum kann cs nicht sein, denn die Wesen, welche
wir tennen lernen, führen ein eigenes Leben, unabhängig von
dem, was in des Glockengießers Seele vorgeht und doch auch
wiedcr dessen Seelenlebeu boleuchtend. Nun wird alles be-
deutungsvoller. Das Kirchlein, dessen Glocke der Mcister
gegoffen, ist kein gewöhnliches Waldkirchlein, es ist ge-
wiffermahen einc Grenzfeste gegen die bösen Geister, wclche
ungebrocheu in den Bcrgen hauscn. Sic sind dcn Mcnschen
im Thale feind, feind besonders dcm Christentum, das Kirchcn-
bauen, dcr Glockenklang stnd ihnen verhaßt. Sie suchen den
Menschen zu schaden, zum miudesten, ihnen böse Streiche zu
spielen. So hört dcr Waldschrat von einem klagenden Elb-
chen vom Glockentransport. Gleich ist cr zur Stclle nnd zer-
bricht ein Rad, daß Glocke und Meister stürzen. Abcr cs
scheint mir außer Frage zu stehen; der fmmische Waldgcist
hätte keine Gewalt über Glocke und Meister gehabt, Iväre
dieser im Fricden mit sich und seinem Werk zur Höhe gepilgert.

Las war nicht Ler Fall. Heinrich ist vou Zweifcl gcplagt, voll
Unzufriedenheit. Der scheinbar Glückliche ringt vergebens nach
Vollendmig; er hört Len Mihklang seiner Glocken, er allcin
unter den Menschen: „Jm Thalc klingt sie, in dcn Bcrgen
nicht." Und wie er toüesmatt auf der Bergwiesc liegt, wcitz
er es nicht, ist es ihm gleichgültig, ob er willig, ob widcrwillig
ficl, ob eher als scine Glockc, ob nachher. Genng, er erkennt,
dah sein Werk, sein bcstes Wcrk, schlecht gewescn und sterben
ist seüie Schnsucht. Hier an der Silbcrlehne, dicht beim Hause
der uralteNj Buschgroßmutter, der Wjittrcheü, erblickt das
clbische Wesen Rautendelciu dcn Meister. Sie, deren Juneres
heimliche Sehnsucht durchzicht, muß ihn besitzen. Zwar schleppen
Pfarrer, Schulmeister und Barbier den Totwunden auf einer
Bahrc ius Thal hcrab, aber schou gehört der Meistcr fast dem
Elbchen an. Jhm, dem Rautendelein, steht nmi der trause
Sinn ins Mcnschcnland. Des reichen nnd weisen Wassergeistes
Nickelmann Werbung wcist sic schnöde zurück. Jn Gestalt
der stnmmen Auua von dcr Michelbauc verschafft sic sich
Zutritt zn Heinrichs Krankenbctt. Als sein Weib die Nach-
barinnen einen Licbcsdienst bittcn geht, giebt Rautendclein
bcm Meister den Zaubertrank. Jn nie geahnter Kraft crsteht
er vom Krankcnlager.

Nnn hansen Heinrich nnd Rautendelein oben in den Ber-
gcn. Das Elbchcn ist ihm crgeben, die Buschgroßmutter be-
sthützr ihn und so müssen ihm auch die anderen Gcister dienen.
Aber diesclbc Buschgroßmntter hat schon längst wiederholt und
cindringlich von der Vcrgänglichkeit dieses Lebcns gesprochcn:
„A mag sei haba laba wenn a's koan,
vor mrr sn lange wie a Oden hot;
dar, freilich, werd ni goar zu lange rccha." —

Zwar heult N'ickelmmm, daß Heinrich das Elbchen so ganz
scin eigen ncrmt und ihr „Schultern, Brust und Wängclein"
kost, aber Waldschrat lacht ihn aus: „Die Zeit geht ihren

Gcmg -— u»d Mensch bleibt Mensch. Dcr Taumel währt nicht
lang." — Heinrich dagegcn durcbkostet alle Wonnen der Liebe
und der Schöpfcrkraft. Er begnügt sich nicht mehr damit, eine
 
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