Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 27-50 (2. Februar 1902 - 28. Februar 1902)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0226

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
öü

io

!l'

,s,


cheö

>

errl>

na-h

il»^

zilk

,sio>>

-agki

del>

»Z!

rk.1-

Nllg'

rg>

»er.

Lllft

Uhr.

>2.

>ai>-

nt.

)

hr'

hr-

4. Febnmr 1902.

Zweites Blatt.

44. IahMNg — ^r. 29.


H

l'cheinl räglich, SonnlagS ausgenominen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Psg. in's Haus aebracht, bei der Expedition und den Zweigstellcn abgcholt 40 Pfg. Dnrch die Posr

zogen vierteljährlich 1.85 Mk. ausschließlich Zustellgebilhr.

^eigenpreis: 20 Psg. die Ispaltige Petitzeile odcr deren Ranm. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- nnd Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Anfnahme von Anzeigen an bestimmt
^rgeschricocneil Tagen wird keine Vcranlwortlichkeit übernommcn. — Anschlag der Jnserate anf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäiilen. — Fcrn'prech-Aiischlub 'st'r. 82

ZZadischer Landtag.

D-6. Karlsruhe, l. Febr. (4. Sitzung der Ersten
^uner.) Präsident Prinz Äart eröffnet dic Sitzung
i0 Uhr. Die allgemeine Beratung iiber das F-inanz-
!etz wird fortgesetzt.

^ 'beh. Komnierzicnrar D i f f e n e begrützt die E-instellung
j kutender Berräge inS Bndgel für Staatsbauren. Es sei
jh. 8)otzer Fchler, fortwähreiid nach autzen einen Pessimismus
^ ,'vchau zu tragcn. Das Publikum brauchc Aufmunterung;
-, her sollen denn die Unrernehmer Mut zu ueuen Unterueh-
z^'Nen schöpfen, wenn forr und fvrt die Lage grau iu grau

»»I

»ft wird'k Nach seiuer Ansichr wcrde die Krisis nichr von
^dticher Dauer seiu;.. - -

»,^ftck>er Dauer sciu; daS habcu ihm Personen, die erue

s^ve Crfahruug hinter sich haben, ausdrücklich bestärigt, inZ-
j,f>ndere habe der Reichsbanlpräsideiit Koch miSdrücklich beiont,
ivir das Tchlimmste hinter rms haben. Mau sollte doch
)>, s?ten, datz der Periode der Verluste eine P
tzAlchw ' ......

unges vorauSgegarigen ist.

Periode glänzeudcu
Dah die Krisis sich ihrem

zuneigr, bewcise auch die Goldabimdanz aus dem Welr
Zu bedaueru sei, datz die Landwirtschast uickijr die gleichc
^Uvickl„„g gcuommeii habe, wie die Jndusrrie. Wenn neuer-
hW, um der Landioirrsckiaft aufzuhelfen, eine Heimatpolitik
>.cheschlagcii werde, sv müsse man zuerst klar daruber sein,
Uuter Heünatpolüil zu verstchen ist. Wcnu diese Heimat-
hj Bk darauf abzielt, unsere Beziehuugen zum Ausland in den
zjsstergruud treten zu lasscu, so köime er eine solche Politik
mirmachcn. Was den Zvütarif betrifft, so bedauere er,
j, » nicht von Neichswegen eine Enquete über dre Lage der
-j'wwirrschaft veraiistalret wurdc; darm hätteu dic eiiiauder
jnsuerral curgcgeugesetzteu Behaupnmgen der Zollfrermde rmd
z>^üegner ins rcchte Licht gerückt werden können. Weim abcr

h, "üch ein Notstand bei der Landwirtschafr hcrr-scht, dann mutz

vor allem nach dcr IIrsack)e sucheii; hat man diese gefuiiden,
A.sch werde mau vou selbst die Frage veriieiueu, ob Schutz-
nonveiidrg sind. Er blicke ohrie Sorge der Zukrmfr ent-
,j^U, „mer der Vorausjetzung, datz der Zolltarif in einer deu
kinneüien Jntercssen dienenden Weise erlcdigt wird.
itreih. v. Neubro u u sieht die Fmauzlagc nicht so rosig
zjj' wie dcr Vorredner. Das Budget müsse als ein sehr rm-
»mstiges bezeichnet wcrden; es gebe zu den ernstesteii Bedenkcn
ü,»tz. Einc ivescutliche Nolle spielte die grohe Eisenbahn-
die heuie schou uicht mehr vcrzmst iverden köime, troh
tz' Staatszuschüsse l?I), ferner die Reick)sschuld imd unser
Z.^hältiiis zum Reich. Jiisbesondere die Matrikularbeiträgc
neuerdings zu ernstesten Besorgnisscn Anlatz. Jhre Ab-

i, ?stUng erscheine allgemein als wnnschenswert; es frage sich
>0 wie Ersah zn beschaffen ist. Von einer Erhöhimg der
djj stkstcuer köime jedenfalls keine Rede sein, ebensowcuig
K»e ,„„„ „„ch seincr Meimmg an andcre indirekie Steuern

da dicses Gebiet ohuchiu schou zur Genüge abgegrast sei.
bleibe nur ciue dirckte Steuer, die das Vermögen als
d.'Hes erfatzt. Die Volksvcrtretcr, wclche iin Reichstag die

^gaben genchmigen

°r>u ' "

mögen auch das' Gefühl der Veraut-
s. :>ung trageul Was deu Zollraris betrifft, so sei es vom

,,.?ulpolüischeu Gcsichtsprmkt aus ein recht gewagres
>i»Uc„, die Zöllc in solcher Weise hinaufznsetzen, wie I

Unter-

die Zölle in solcher Weise hinaufznsetzen, wie dcr iieue
vorschlägt. Die Not iu landwrrtschaftlicheu Krcisen sei
d^chaus uicht so grotz, wie mmr da und dort höreu köuue.^Nach
Iq!st statistischeir Jahrbuch haben sich die Emlagen der Spar-
üHju, die hauplsächlich vou den Lmidwirten beuützt werden,
mber, Jahren 1889 bis 1897 von 48 auf 08 Millionen ge-
währcnd auf der andereu Seüe die liegenschaftlichen
^Bngsversteigeruiigeu stetig zurückge^aiigeu siud (vou 926
dxl 4ö8). DaS einzig Richrige Iväre die güuzliche Abschaffung
L. Zolle auf die notweiidigcu Lcbensmittel. Zum mindcsten
man cs bei dem stntns quo belassen solleu. Der Staat

reichlich Gelegenhcit, auf audern Gcbieten fördernd cin-
I^^ifen, durch die sog. kleinen Mttel. Einc Hauptursache der
tz!!°ivirtsck>aftlichcii Not sei die künstliche Steigcrung der
^kiiprx-js^, durch hohe Schutzzölle werden die Gürerpreise inir

iwch mehr gesreigeri. Man sprechc heuie uur uvch vou der Nor-
lage der Laudwirte, trotzdcm die Lage aller Lairdwirrc durckMis
uick>r gleich ist. An einer erhcblickwn Erhöhuug der Getrcide-
zölle haben nur die Grotzgruudbesitzer Jnteresse; dagegen habcu
weite Kreise des VolteS, wie Handel und Judustrie, eiu großcs
Juteresse an langfristigeii Haiidelsverträgeu, deren Abschluh
bei deu vorliegeiideu Sützen rein unmöglich sei. Fm gleick)en
Augenblick, wo der Staat nach Mitteln umsehe, um der Not der
Arbeitsloseu zu sreuern, mache sich der gleiche Sraat daran,
eiueu Taris zu sanktiomereii, der uur geeignet ist, die iudustri-
elle Krisis zu erhöheu. Jm übrigen glaube er, datz kein Grund
zu criisreii Besorguissen vorliegt; denn eine gewisse Bureau-
krntie habe im ueueii Tarif ein wahres Monstrum geschasfen,
das kein Reichstag bcwältigen kmm. Es sei darum zu hoffeu,
datz der vorliegeude Tarif überhaupt uickit zustande kommr.

Freih. Ferd. v. B o d m a n isr im Gegcnsatz zum Vor-
reduer der Ansicht, datz das bureaukratische „Monstrum" Zoll-
rarif die am gründlichsten vorbercitete Gesetzesdorlage genmmt
werden mutz, die dcm Neichsiag jc zugegangcn ist. Die Ob-
struktion, die sich dagcgeu geltcnd mache, charakterisiere sich imr
als ein Kampfmirtel im Riiigeu um die polirische Macht. Süid
doch die wirtschaftlichcn Forderuugeu vou jeher der günstige
Boden zur Erzeugimg vou giftigeu Schlagwörteru, wie Brot-
wucher uud dergl. gewescu, uud es iväre allerdiugs das
Schlimmstc zu befürchten, weim svlchc Schlagwörter die Wahl-
parole bilden würden. Schon aus diesem Grimde verdiene
das Vorgehen der Regierung Unterstützimg. Die Zolltarifvor-
lage bilde heute den wirtschaftlicheu und politisck>en Breim-
pinikr dcr Sitriation; heute handle es sich darum, ob wir zrr-
rückkehrcn sollen zum nltcu Agrikulturstaat, oder ob wir eine
Vcrbiuduug zwischen Agrikultnrstaat rmd Jndustriesraat an-
streben sollen. Mit Recht habe die Regicrnmg sich für die Ver-
vindimg beider Staaten entscküeden. Redner wendet sich gegen
die Ausführimgen Difsene's und sucht nachzuweiseu, datz in
weiten Kreisen dcr Laudwirrschaft ein wirklicher Notstand be-
steht. Der Landwii-t verlcmge nicht, datz ihni dcr Staat einen
Minimalpreis für sein Getreide garantiert, er sorderc nur
Schutz gegen die Raubtonkurrenz des Auslandcs. Er hege die
ketzerische'Ansicht, datz die Sätzc des B. d. Landwirte technisch
vollständig qerechffertigt sind, tvcim cr sie auch nicht imterstütze,
tveil uach seincr Ansickt die Landwirtfchaft nnt Rücksicht anf
das allqememe Jnteresse nnd daö Znstandekommen der Han-
delsverträqe nichr zn tveit gehcn düffe. Zur Deckung des
DefizitS in der Reickstikassc werde man um einc höhcre Be-
steucrimg dcs Tabaks uicht herumkommeu.

.Kommerzieurat K rasft berout, datz der Zolltarüs iu erstcr
Liuie dazu dieue, Deutschlaiid dem Auslaud gegenüber kon-
kurreuzfähig zu erhaltcu. Datz die Erhöhimg der Getrcide-
zölle eine Erhöhuug der Getreideprcise hcrbeiführe, sei für ihn
autzer Zweifel; ob aber dadurch auch eiue Erhöhuug der Ar-
beirslöhne imd iufolgedessen eine Verminderimg der Kon-
kurrenzfähigkeit Deiiffchlands auf dem imenianonalcn Markre
bediugt werde, scheiue ihm sehr sraglich. Am meisre» körme dcr
Landwirffchast durch die sog. kleinen Mitiel geholfeii tvcrdcu,
iusbesoiidere durch eine richtige VerkehrSpolüit. Die hohe
Eisenbahnschuld sollre nicht abhalteu, eine forffchrirtliche Tarif-
polirik ins Auge zu fassen.

Um 1 Uhr wird die Sitzrmg abgebrvchen.

Jir der N achmitt a g s s i tz u u g, die um käO lihr be-
gmm, kommt

Kommerzieurat S e i p i o epcnfalls aus den Zolltarif zu
sprechen und sucht uachzuweiseii, datz wrr einer gesundeu Hei-
matpolitik, wie sie vom Zolltarif verfolgt wird, bedürfeu, haupt-
süchlich auch Vvm Staudpuukt der uatioiialeii Sicherheit. Wir
müsseii immer hinter der Regierrmg stehen, auch wemr sie em-
mal ciuen falscheu Schritt rhut, ganz besondcrs aber in vor-
liegendem Fall, wo cs sich um eiue grohe uationale Frage
handclt. Hinsichtlich der wirffrhaftlichen Depression glaubt
Redner, datz noch einige Jahre hingehen werden, bis wir wieder
eiiie fröhliche Aufwärtsüewegimg erleben und die Verhältnisse
sich wieder kousolidcrt haben. Die Eiseubahupolitik erhcische

die giötzie Ausmerffamteir, iveil sie uusere Finanzeu immer
,tarker Pccmflutzt, je mehr Geld iu den Bahneu iuvesliert wird
Geh. Kommerzieurat Sander begrützr es, datz der

lichen Depression nicht schon das vorliegende Budget peschnittcri
hat. Die Reichsfiimnzreform sei immer daran g'escheüert, datz
man sie stets mit neiien Steuern verquickt hat. Auch heute
wcrde PereitS der Gednnke ciner Tabaksteuer ertvogen, wodurch
die Nefonn wieder iu Frage gestellt werde. Mau sollte inm-
dcsteus tvarten, bis der Zolltarif imtcr Dach gebracht ist. Ob
eiue Erhöhung des Tabakzolles dem deutschen. speziell dem
badisck>eii Tabakbau fördcrlich iväre, sei sehr fraglich. Er billige
die Schrüte, tvelche die Regieruug bisher in der Zolüariffrage
ergriffeu hat.

Füumzmmistcr Dr. Bucheuberger präzisierr die aus
deu Berhaiidluugen der 2. Kammcr bereits bckannte Srellimg
dcr badischen Regierung z»m Zolltarif. Dcr Thcoreriker Neu-
broim habe osfeubar über den Realpolitiker Ncubroim die
Oberhaud gewouuen, svnst hätte er nicht vou dcr unrichrigen
Prämisse ausgehen löimen, daß in der Laudwirtschaft kein
Notsmiid herrsche. Es tüime doch nichr bestrittcn wcrden, dah
thatsächlich weire Kreisc der Landwirtschaft schwer zu kämpfen
haben. sso sehr wir dem Arbciter das Brot göimen, so darf
doch der Wimsch nach billigem Brot nicht im Widerspruch stehen
mir den percchtigten Jnteressen anderer Berufstlasseu. Die
Regierimg stehe auf dem Standpunkt, dah augenblicklich die
agrarischeii Jnteressen eines besonderen Schutzcs bedürfen, dem-
gegenüber die Jnteresseii anderer Berufsstände zurücktreten
müssen. Hinsichrlich der Reichssmaiizreform Ibrauchc stnan
„vorerft" noch nicht mit Projekten wie einer Tabaksteuer zu
rechiien, zumal uach Aimahme dcs Zolltarifs auf eine bedeu-
rende Erhöhnng der Zolleiimahmen zu hoffcii sei. Nach Bergung
des ZolltarifS lverden die verbüiideten Regierungen ernstlich
an die Frage der Reichsfiiiaiizreform herantreten.

Geh. Rat E n g l e r betont, datz cr mit seincn Ausführimgen
üi der letzte» Sitzung selüstverständlich nicht eincr planlosen
Schiildcnwirtschafr das Wort rcden wollte.

Freih. v. N e n b r o n n repliziert kurz und sck>ars aus die
Ausführimgen der ZoUtarisfreimde. Man sollte nicht die Ar-
beiterklasse, die ohnehin von einer zielbewutzteii Partei verhetzr
wird, diirch einseirige Bevorzugung der Landwirffchaft noch
mehr verbittcrn. Auch er erblicke in dcr Sozialdemokratie eine
schwcre Gefahr, aber gerade deswegen müsse es sich nicht nur
der Maim mil dem warmen Herzen, sonder» anch der kühle
Realpolitiker himdertmal überlegen, bis er sich auf die Seite
dcr Schutzzöllncr schlägt. Die Notlage dcr Landwirrschaft habe
cr kcincswcgs bcstrittcn, er habe sich >mr gegen dic Erhöstung
dcr Zölle ausgcsprochcn. Nllerdüigs habe cr t'cinc praktische
Erfahnmg, diese stehe aber auch dem Finanzminister nicht zur
Seitc. Beweise für die Notlage dcr Landwirksckmft seien nicht
erbracht wordeu, wohl aber habe er das Gegentcil bewiesen
imd daraus gefolgert, dasz man es beim jetzigcn Zoll belassen
sollte. Ter Fmanzmmister habe ihm vorgehalten, datz er ein-
seüig den Standpimkt des Kosumenteu vertrcte. Nim, mem
stcllt sick, meistcns dahin, wo mau sich am besteu auskemit; der
Staiidpimtt des Produzciiten werde übrigcns zur Genügc vcr-
treten, daher sei es angezeigt, dah auch cinmal ein Vertretex
der Konsiimciiten seine Stimme so laut als möglich erhebt
imd sagt: Wir siud auch noch dal Mau sollte nichr geiierali-
siercu imd das, Ivns dcm Grotzgrundbcsitzcr frommt, ohnc wci-
tcrcs als Allhcilmittcl sür die Kleüibaucru aiiprciscn. Wcnn
übrigcns wirklich nur 40 000 Banern eincn Vorteil von dcr
(tzctrcidczvllci'höhimg hätten, dann wäre damit dcr Bcwcis ge-
liefcrt, datz finif Sechstcl dcr Bevölkerung kemcii N'utzcn oder
gar mir Schadcn davon habcn. Ob es wirklich notwendig ist,
datz dcr Arbeitcr im Jntcrcsse dcr Gesamtheü cin Opfer bringt,
das sci cbcn die Fragc. Er sci der Ilcperzeugung, datz dadurch
die Iliiziifricdcnhcit iu weitcn Kreiscn nur »och gesteigcrr wird.

Prinz L ü w c n st e i n - Wcrtheim, dcr mit wahrem
HockMimtz die herrlichcn Rcden angchört hat", konstaticrr aus

'l)

Sneewittchen.

Romaii von A. I. Mordtmaiin.

(Fortsetzung.)

Dus vo» dcm jimgeii Mauvillon in Cremon gegrüudete
'llgcschäft hattc imtcr seiucr Leitimg eine ziemlich solide
^"»ug crruugcu imd würdc ciucu noch grötzcren Aufschwimg
habcu, hättc cr noch etwas mehr Kapital hinein
sej, » köimcn. Als er Helcne Fricdrichsen kcnneii lerntc imd
Aufmerksamkcitcn von dcm reichen Mädchen stünstig
»iq -wmmcn wurdcn, glaubte er dcn Augenblick gekommen,
^ Iciacm Fortschrcitcn ein raschereS Tempo zu verleihen.
hk„si»riet dahcr in die äutzcrste Bcstürzuug, als er unter seiner
3eii INorgenkorrespoiidcnz auch folgendcs Briefchcii von

»Ilc

sjxj/^über Paul, durch die traurigcu Ereignissc der jüngsten
ijxZ >st auch mciues Bruders Firma stark in Mitleidenschaft
wordcn. Jch habe mich enischlietzeii müssen. wie
iff"!c ' .. - -

U^Oich mcüie Mitgist bilden sollte. Als annes Mädchen
jch „pee, djch rw„ Worte enibindcn zn müssen,
ri>jchc„ Müdchen gcgeben hast. Willst dn nns
Nachmittag bcsuchcn, so können wir weiter übcr die
i>h 7^ redcu. Jcdcufalls brauchst du uicht zn befürchtcn, datz
n„„ötige Schwierigkeitcii imd Verlegenheitcn bcreiten
L Helene."

dicscr Brief gcschricbe», und Cäcilie vorgeleseu ivurde,
»crte sjx,

sr "^enn Zarnow ein solches Billet von mir beläme, lvürde
stehen imd liegen lasseu, zu mir stürzen, imd mich
»sie„ anfleheu, mich auf der Stelle mit ihm traueu zu

meine schöne Schwester würde sofori eiuwilligeu,
"'Kesetzt. . . ."

"Warum stockst du, Heimtückische?"

'"vorausgesetzt, datz er nicht zu deu Eskimos ginge und

datz er dir doch IvenigsteuS Köchiu, Stubeiimädcheu uud Zofe
hnltcn kömite."

„Wäre es bei dir nuders?"

„Wcuu ich jemand herzlich lieb habe, gewitz."

„Schade, datz Zaruow iiicht dich vorgezogen hat," sagtc
Cäcilie bissig. Aber Hclcne zuckte uur lachend die Schultern
uud tvar über die Bosheit der Schwester nicht im mindesten
beleidigt.

Spät am Nachmitmge kam Paul. Er war eigentlich daZ,
lvas man einen hübschcu Mann neimt, aber eine gewisse Bla-
siertheit, die Folge einer etlvaS stürmisch verlebten Jugend,
stand ihm nicht übcl. Als selbstäudig etablicrter Kausmann
trug Panl im Schnitt seiiies Backenbartes, seiner RLcke nnd
lleberzicher eine gewisse ehrbare Solidität zur Schan, welcher
das schon merklich düimer lverdcnde Haupthaar zur weiteren
Bckräftigung diente.

Er begrühte Helene mit einem zärtlichen, Cäcilie mit einem
ehrerbietigen Handkntz nnd eine zn Besuch anwesende junge
Damc von schlanker Figur, aber lvenig anziehcnden Gesichts-
zügen, mit einer tiefen Vcrbeugung. Paul sah sie henie znm
crstenmale, nicht ahnend, tvelche wichtige Rolle sie noch ein-
mal in scinem Leben spielcn sollte.

Die Dame stand nicht mehr in dcr ersten Jugcndblüte,
aber ihre schlanke Fignr zeigte Anmiit in Haltung und For-
men. Jhr Antlih war unschön mit den nnregelmätzigen
Zügen, dem grotzen Mund und der bräunlichen Hautfarbe.
Doch dcr Ansdrnck dieses' Gesichtes sprach von wohlwollender
Freundlichkeit und Herzcnsgüte, und wenn sie die frischen,
etwas zn vollen Lippen öffuete, glänzten daztoischen zwei
Rcihen tadelloser Zähne. Die grohen brannen Augen und das
volle dunkle Haar waren weitere Vorzüge an ihrer üutzeren
Erschcinung. Fräulein Reschwitz nahm bald Abschied, nnd
dies bcnuhte Cäcilie, inn ihre Schwester mit Panl allein zn
lasscn.

„Du hast mir einen sehr sonderbaren Brief geschrieben,"

bcgann Panl die llnterrednng. „Er hat inir den ganzen Tag
verdyrben."

„Wirklich!" spottete sie. „Dn scheinst deiner Bewegimg
doch mit leidlicher Fassnng Herr gewordcn zu sein."

Paul lietz sich nicht beirrcn. „Jch fand den Ton eigentlich
sondcrbnrer als den Jnhalt," bemerkte er. „Der Jnhalt ist
so korrekt wie möglich, aber der Ton eisigkalt."

„DaS scheint mir beides ganz vortrefflich ziisammen zu
stimmen!"

„Vielleicht", gab Paul zu. „Aber doch hat es mich schmerz-
lich bcrührt, datz dn mir schreiben konntest, als wäre es selbst-
vcrständlich, dntz wir nns jetzt tremien müssen."

HelenenZ Gednukcn flogen einen Angenblick zn dem crnsten
Gelehrten hinüber, der gestern da gcsessen hatte imd sie malte
sich nus, mit wclchem leidenschaftlichen llngestüm er woht auf
Cäcilie einstürmeu würde, wenn er vou ihr eiuen solchen
Brief bekommen hätte. Es wollte ein tiefer Seufzer ans ihrem
Jnnern aufsteigeu, aber sie zwang ihn in ihre Brust zurück.
„Hast dn meinen Brief aufmerksam gclesen?" fragte sie.

„Wie kamist du daran zweifeln?"

„Wcil ich daim nicht begreife, wie du dich Ivundcrn kannst,
dah ich nnsere Treimnng als etwas Selbstverständliches be-
trachte."

Panl nahm Hclcneiis Haud, spiclte mechauisch mit ihren
Fingern imd sagte, gegeu seine sonstige Manier schwerfällig
nach Wortcn snchend:

„Dente cs mir nicht übel, liebe Helenc, wenu ich dich
bitte, die etlvas unbcstimmten Angaben dcines Briefes näher
zu erlänteni. Du forderst einen so schweren weitgehendcn
Entschlntz von mir, datz ich wohl verlangen kanu, iu allc Eiuzel-
heiteu eüigeweiht zu sem."

Mit diesen Worten Panls war für Helene die Sache schon
erledigt, für sie war diese Seite ihrcs Lebensbuches aufge-
rechnet nnd abgeschloisen und wenn die Bilanz ein Deficit
aufwies, so wnr es nicht ihre Schuld. Aber sie wolltc, um bei
der kaufmännischcn Redeweise zn bleiben, dicscn Passivposten
nicht ans spätere Jahre hinüberschleppen, sondern definitib
nls Verlust abschreibeu. Nur sollte Paul selbst da-I letzte uud
loseude Wort spreche».
 
Annotationen