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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-74 (1. März 1902 - 29.März 1902)
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^rscheint tüglich. SonntagS anSgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zwetgstcllen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-

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Zur Mürgerausschußwahl in Karlsrrche.

. Karlsruhe, 13. März. Dem „Schwäbischen Dkerkur" imrd
Nchrieben: „Dns Kuddelmuddel hat gesiegt," riefen gestern
A"end die Sozialdemokraten, als ihnen auf dcm Rathaus das
^gebnis der Bürgerausschuhwahlen bekannt ge-
?s»en wurde. Es ift richtig, datz vier bürgerliche Parteien,
-?e sich sonst befehden, bei dieser Wahl zusammengegmigen
Wd, während die Sozialdcmokraten ganz allein auf weiter Flur
!^nden. Jnsofern als bei den bürgerlichen Parteien solche
chhere Gegensätze walten, kann man das, was früher im
^äialdemokratischen Höflichkeitslexikon „Ordnungsbrei" hietz,
Ur Abwechselung auch „jtuddclmuddel" nennen. Aber wenn die
^"zialdemokraten nicht verlegen sein werden, Gründe für
Niederlage aufzufinden, die wahre Ursache lplrd ihnen
^gehen. Sie werden nicht eingestehen wollen, wer das
buddelmuddel" zusammengebracht hat, nämlich sie selbst.

mahlose, herrschsüchtige, ausschliehende Gebahren der
^°zialdemokratcn, ihre Kampfmittel der Herausforderung, Be-
.^digung und Verdächtigung gegen jeden, der nicht mit ihnen
haben endlich den Unwillen bei allen Partcien dcrmahen
Wejgert, dah sie ihre sonstige Zwietracht überwanden und
auf eine Liste einten. Noch im Wahlkampf selbst übten
Sozialdemokraten einen solchen Terrorismus aus, dah sie
ordnungsliebenden Arbeiter förmlich verfehmien. Sie
K?chten es dahin, dah nur wenige Arbeiter es wagten, in den
kst?ntlichen Versammlungen der bürgerlichen Parteien zu er-
.Neinen. Schon rechneten die Sozialdemokraten darauf, dah
E°st alle Arbeiter für ihre Liste stimmen würden, und sie glaub-
j?? bestimmt an den Sieg. Es kommt aber nicht darauf an,
viele Leutc in den Wahlversammlungen sind, sondern
viele Zettel für eine Partei in die Urne gelegt werden. Das
h st den Sozialdemokraten so sehr befürwortete geheime Wahl-
kj.°fahren hat sich gegen sic gewendet, denn es bot Schutz gegen
chcht- und Weracht. Jhren Tcrrorismus zu brechen, hat Man-
einen Zettel gcgen sie abgegeben, der vielleicht diese oder
sozialdcmokratische Forderung billigt. Vorüber ist nun
h s Nirnbus, als ob die Sozialdemorkaten die einzigen und
, 'vilxgjcrten Vertrcter dcr Arbciter seien. Neben ihnen wer-
ker Angehörige anderer Arbeiterorganisationen im Bür-
st.^usschuh zum Worte kommen. Falsch war auch die Vor-
P ssstg- die am Wahltag in einem Plakate mit der Üeberschrift
yr/beiter, heute habt ihr das Wortl" zum Ausdruck kam,
ob die dritte Wählerklasse nur aus Arbeitern beftehe. Die
tz bniten und Angestcüten sowie viele Kleinmeister und sonstige
stnd auch noch da, nnd sie haben gezeigt, dah ihre
^cheressen nicht mit denen der Arbeiter gleichlaufend sind.
Sen E>aben sich nicht „entrechten" lassen, sondern ihre Stimmen
tzdie Sozialdemokraten abgegcbcn. Das ist eine gesunde
tkni chro Früchte'tragen wird, falls die Sozialdcmo-

jM"n überhaupt noch eine Belehrung annehmen. Die Niedcr-
toäre noch weit gröher geworden, wenn keine Klassen-
bestünde, dcnn zu der bürgerlichen Mehrhcit von 160
ii^chunen kommen noch ungcfähr 3300 Wahlberechtigte der 1.
M Klasse, unter denen die Sozialdemokraten schr Ivenig An-
?!er besitzen. Der einzige Trost, auf den sich die Sozial-
,i,,sl°krawn berufen könncn, ist der, dah nicht dcr Opportunis-
die Nicderlage verschuldet hat, sondern im Gegenteil dcr
g,, .Ealisrnus. Die schärfcre Tonart, die Bebel zu Gefallen
gxWchlagen wurdc, hat den Sozialdcmokraten auherordcntlich
^chadet. Günstigcre Aussichten crlangen sie erst, wcnn der
rtunismus bei ihnen zum vollen Durchbruch kommt und
sichmähigen lcrnen. Darin hat Kolb in Offenburg
?°ch^ 8°habt, nur ist er selbst nicht immer sehr mähig
tzjWtreten. Da er nicht wiedcrgewählt wurde, dürfte die
o^Ung der sozialdemokratischen Fraktion im Bürgerausschuß
Vorsitzenden dcs Gewerkschaftskartells, den früheren
yxSütsetzer Willi, übergehen. Willi ist aus demselben Holz
sKbrstitzt, u>ie Kolb; ursprünglich war er sogar noch leiden-
bxn>tlichxr als dieser, hat aber bei der parlamentarischen Ar-
^..^orsicht und Mähigung gelernt. Jnreressant ist, dah von
!»i^?U3ern der Volkspartei nngefähr 14 Zettel abgegeben
""i dcncii allc Kandidaten mit Ausnahme der 3
hvz,Aartrtler gestrichcn waren; so kommt es, datz diese die
^ Ubestimmten sind. Anch wenn die ganzc Volkspartei für

dcn unberänderten sozialdemokratischen Zettel gestimmt hätte,
ist kaum anzunehmen, dah es zum Siege gereicht hätte. Ob
nun die Sozialdemokratie so weiter wächst wie bisher, und
ob sie in vier Jahren im Stande ist, einen Sieg zu erriugen,
das ist eine Sorge, um die man sich jetzt noch nicht den Kopf
zu zerbrechen braucht. Die anderen Organisationen wachsen
auch, und wer weitz, wie die Sozialdemokratie in 4 Jahren
aussiehtl Mausert sie sich durch, so verliert sie einen grotzen
Tcil ihrer Gefährlichkeit, und dann wird überhaupt eine neue
Sachlage entstehen, die wieder neue Entschlüsse erheischt.

Ausland.

Oesterreich-Ungarn.

W l t! n, 11. März. Großes Aufsehen erregt in poli-
tischen und akademischen Kreisen die Rede, die der Pro-
fessor des Kirchenrechts an der Jnnsbrucker Universität
Dr. Ludwig Wahrmund am Samstag anläßlich
seiner Schlußvorlesung gegen die Feier des sechshundert-
jährigen Jubiläums der Bulle „Una sanctum" durch
den katholischpatriotischen Verein in Brixen gehalten hat.
Der Redner konstatierte im Anschluß an das kürzlich
erschienene Werk des Wiener Kirchenhistorikers Ehrhard,
„Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert",
daß der Katholizismus sich in eine konservative und eine
fortschrittliche Richtung spalte. Das sei die unvermeid-
liche Konsequenz der menschlichen Kulturentivickelung üer
letztverflosseneu Jahrhunderte, mit der die katholische
Kirche nicht gleichen Schritt zu halten vermochte; sie ver-
körpere also das Prinzip des Stillstandes, denn in ihrer
jetzigen konservativen Gestalt klammere sich die Kirche
immer mchr an das Kleinbürgertum und den Bauern-
stand an. Der Redner warnte die katholischen Studen-
ten, auf keinen Fall als gedankenloses Herdegetier am
Leitseil klerikalreaktionärer Bauernfänger den geistigen
Lebensnerv der katholischen Kirche systematisch zerstören
zu helfen. Die Rede erregt um so größeres Aufsehen,
da bisher an der Jnnsbrucker Universität noch kein Pro-
fessor so scharf gegen den Klerikalismus aufgetreten
ist und Wahrmund außerdem Mitglied der Leo-Gesell-
schaft ist. Das „Tiroler Tagblatt" veröffentlicht eine
Sonderausgabe der Rede, die einen Massenabsatz fand.
Die klerikalen „Tiroler Stimmen" denunzieren Wahr-
mnnd, daß er Tagespolitik nnter die Studenten trage.

England.

— Die sochen über die irische Auswande-
rung für das Jahr 1901 veröffentlichten Zahlen weisen
noch immer eine außerordentliche Höhe auf, wenn schon
sie niedriger als die des Vorjahres sind. So wanderten
1901 nicht weniger als 39 870 Personen (das heißt
9 vom Tausend der irischen Bevölkerung) aus, bezw.
7237 weniger als 1900. Die Zahl der männlichen Ans-
wanderer beziffert sich auf 18 343 oder 4892 weniger
als im Vorjahre nnd die der weiblichen auf 21627
beziehungsweise 2286. Es ergiebt sich also hier das merk-
wiirdige Resultat, daß die auswandernden Frauen die
Männer an Zahl erheblich übertresfen. Von der obigen
Gesamtziffer (39 870 Personen) waren 39 613 Einge-
borene und nur 267 Zuzügler, die den irischen Boden
wieder verließen. Vom 1. Mai 1851 beziehungsweise
von dem Tage, da behördliche Erhebungen über deu
Dmfang der Emigration angestellt wurden, bis zum
31. Dezember 1901, also in rund fünfzig Jahren, Haben
3 881032 Personen (davon 2 021 471 Frauen und
1 869 661 Männer) vorgezogen, die irische Heimat mit
einem anderen Lande zu vertanschen. Nach britischen
iiberseeischen Besitzungen oder ins Ausland gingen im
Berichtsjahre 38 349 Personen oder 84 2 Prozent; nur

6264^oder 15,8 Prozent suchten das nahe England
oder Schottland auf. Die Vereinigten Staaten von Nord-
amerika absorbieren noch immer den größten Teil Ler
irischen Auswanderung. So langten dortselbst im ver-
flossenen Jahre 31 942 Personen oder 80,6 der vorge-
nannten 84,2 Prozent von der „grünen Jnsel" an, gegeu
durchschnittlich 85,8 Prozent in den letzten vier Jahren.

Afrika.

— Ein englischer Offizier, der früher an den Opera-
tionen in dem Gebiete, in welchem Lord Methuen
von den Buren geschlagen und gefangen worden ist, teil-
nahm, hat einem Mitarbeiter des „Daily Telegraph" ge-
sagt, daß seiner Ansicht nach die Buren keinen aus-
gedchnten Gebrauch von den erbeuteten Geschützen werden
machen können, da sie nur wenig Artilleristen haben. Zu
Anfang des Jahres 190>I. habe Delarey einige. Geschütze
gehabt, aber dieselben selten benutzt. Jetzt habe er
6 Geschütze und 2 Pompoms, mit welch letzteren die Bu°
ren besser umzugehen verstünden. Das ganze westliche
Transvaal von der Eisenbahn Kimberley-Mafeking bis
zu der Blockhauslinie Klerksdorp-Ventersdorp nördlich
von Rustenberg sei nun Delarey preisgegeben und wenn
er wollte, könnte er jeden Augenblick Biafeking und Vry-
bnrg nehmen, in Mafeking stünden nur einige Kompag-
nien englischer Jnfanterie; aber die Buren haben keine
Neigung, Städte zu nehmen, da sie Straßengefechte
scheuen. Lichtenburg «sei stark verschanzt und es befän-
den sich dort zwei 16 Pfünder. Wenn Grenfell, der 1300
Berittene bei sich habe, in Folge der Zerspengung der
Kolonne Lord Methuens ohne Vorräte sei, müsse er
sich auf Lichtenburg zurückziehen. Außer Grenfell könnte
augenblicklich nur Kekevich den Buren unter Dekarey
entgegentreten, aber da auch Kekcvich nur etwa 1000
Mann zur Verfügung habe, werde Lord Kitchener wohl
beiden befehlen, zu warten, bis sie Verstärkungen erhal-
ten haben. Da die Buren keine Gelegenheit hätten, ihre
Kleidung zu erneuern, so seien sie nicht sehr zu tadeln,
daß sie sich der crbeuteten englischen Khakiuniformen be-
dienen, aber dies mache den Engländern das Kämpfen
schwieriger, zumal die Buren auch die englischen Trup-
Penformationen nachahmen, um die Briten zu täuschen.

Aus Stadt und Land.

4- Mannheim, 13. März. (HcrrnGeh. Kommerzien-
rat Karl Eckhard), welcher hente in voller gcistiger
nnd körperlicher Frische das Fest seines achtzigsten Gcbnrtstages
bcging, wnrdcn aus diesem Anlasse die lebhaftcsten Ovationen
bercitet. Zahlreiche Blumenspenden hatten das Heim des
Jubilars in einen Blumcugarten verwandelt. 15 Deputationen
crschiencn im Laufc des Tages, um ihre Glückwünsche zu
überbringcn; Herr Obcrbürgcrmcister Beck sprach im Namen
der städtischen Deputation, ferner hatten Abordnungen gesandt
die Dircktioncn der Pfälzer Bahnen, die nationalliberale Par-
tei, dic Rheinische Hypothekenbank, die Pfälzer Hypothekenbank.
Rheinische Creditbank, die Badische Anilin- nnd Sodafabrik
uud audere. Der Aufsichtsrat der Creditbank, der
Pfälzischen und der Rheinischen Hhpothckenbauk überreichte
ein Bismarckbild von Lenbach. Jm Namcn der Abordnung der
uationalliberalen Partci sprach Herr Rechtsanwalt König.
Rcducr warf cinen Rückblick auf die öffentliche Thätigkeit des
Jubilars, auf seine politische Arbeit. Der politische Teil seines
Lebens habe demselben nicht bloß viele Arbeit nnd Mühe, sondern
auch viele Kämpfe, Gegensätze, grohe und kleine Widsrwärtig-
keiten gebracht, aber er habe ihm wohl auch die reinste Freude
und dic gröhte Gcnugthuung bereitet. Eckhard sei geborcn in
der Zeit der politischen und wirtschaftlichcn Armseligkcit des
deutschcn Volkes. Er habe die Tage gcsehen, welche zu dcm
Aufstand von 1848 uud 1849 geführt hahen. Er sei durch
diese Bewegung hindurchgekommen, und er habe die darauf

Wlaudereien aus der Weststadt.

?S Heidclberg, 15. März.

möchte man dock auf der Nebenbabn fort!" rief mein
^arl unmutig auS, als er dieser Tage eincn Aerger

seinem Mißaeschick mußte ich lacken. Wie mag wohl dem
HöhA- dachte ich bei mir, statt dem Vierfüßler, auf dem man ge-
usd fortmöchte, dte Ncbenbahn in den Sinn gekommen sein?
b>vhMlbst zu fragen, hätte keinen Zweck gehabt, denn er prägt
mit seiner geläufigen Zunge h'n und wieder ein ganz
Schlagwort auS. ober über den inneren Zusammen-
Ai>F°teser seincr sprachfördernden Thätigkeit vermag er sich und
beu keine Rechenschast zu geben. Es kommt ihm halt so in
^ E ^ch aber grübelte nack und fand, daß die Idee der
AvtsNvg. die mtt dcr Nebenbohn und mit dem reunenden
Z»iels ^ verburden ist, Im Verein mit Lem Graunzen und
^rh- x ,der Schotterwagen. von dem ja neulich soviel gesprochen
. ' 'Onen getstreichcn Ausspruch herbeigeführt babe.

"Ü me Nebenbahn spielt in den Gedanken und Empfindungen
Aeststädtern gegenwärtig eine große Rolle Dassiebt man
^stm Vorkommnis wieder. Wir liebten sie einst Alle,
? einx biiebe ist nicht, wie es sonst der Fall zu setn Pflegt,
wehr oder minder angenehme Gewohnheit übergegangen,
v° bat sich — in mancherlei fulminanten Reden kam eS

»N s„., bei Manchem in eine starke Abneigung verwandelt.
iB/cht beretts von Schetdung.

eS, scheiden und meiden thnt weh, indessen, daS
-wMes>. "tcht für unscren Fall. Die Wcststädter sagen

»5 , E Mutter Baden hat noch ein anderes schönereS Kind,

W 1 es läuft etwas breilspurig daher, aber das macht

hVbi, ^ gerode das gefällt uns, so eins wollen wir haben.

^Nch-n bekommen, dann gebcn wir Las schmächtige Neben-
"" gern umsonst her.

Die Frage ist nur, ob die Nebenbahn sich von den West-
städtern scheiden lassen wlll. Sie hat eine feste rechtliche Stellung
und ste konnte darauf hinweisen, daß fie die von ihr übernomme-
nen Pflichten erfüllt habe, ja, daß sie bereit sei, mit großen Kosten
noch ein Mehreres zu thun. So wird man ntcht letcht aus-
einanderkommen.

Eines unterscheidet übrigens alle Bahnen schr zu unserem
Nachtetl von dcm vorbin erwähnten Vieifüßler. Während be-
sagteS Borstentier sein Leben für die Mensckhett läßt, muß hin
und wieder ein Mensch für den großen Knlturfortschritt, den die
Bahnen repräsentieren, sein Leben lassen, wie das erst in dieser
Woche in Handschuhshetm wiedcr vorgekommen ist.

Doch, sehen wir von den heutigen Verhältntssen ab und er-
freuen wir uns tn Gedanken an der Znkunft, dte uns so oder so
die Elektrische bringen wird. Wenn einmal elegante elektrische
Wägen längs der westlichen Hauptverkehrsoder, unscrer Beraheimer
Straße, laufen. dann wtrd sich vielcs zum Bessern wenden. Es wird
dann hoffcntlich unser noch viel zu wenig gekannter »nd geschätzter
Aussichtspunkt mebr zu Ehren und Ansehen kommen. Wer einige
Jahrzehnte zurllckzudenken vermag, der wird sich noch erinnern,
wie beltebl als Ausflugspunkt der Heidelberger einst die Berg-
heimer Mühle war. Später kam dann das Zeitalter des Zement-
staubes, für das die Geologen noch immer keinen besonderen
Ausdruck gefunden haben, weil jeder Name zu gut dafür ist.
Jnzwischen ist ein freundlicker Wechsel zum Befsern eingetreten.
Der Höhenrauch und der fcine Staub, der olle Poesie der Gegend
mit einer weißen unfruchtbaren Decke zudcckte. ist veischwunden.
Wo man einst im Zcmentmehl watcte, da ist jetzt als Uebergang
zu höherer Kullur eine ausgesprochene Steppenvegetatton
zu sehen. Zurückgeblieben aber ist aus der früheren Periode
das feste Massio des Turbiiienbauses mtt steilen Ab-
stürzen nach allen Seiten und einer kahlen Platte
auf dem Gipfel. Dort haben freundliche Heinzclmännchen
Sttzgelegenhcit für Naturschwärmer gezimmcrt und da kann man

schöne Sommcrabende im Genuß des herrltchen Panoramas,
das stch vor den Angen des Beschauers ausbreitct, auf's an-
genehmste verträumen. Dort sieht man erst, daß Heidelberg nicht
nur einen hocbgelobten Wald besitzt, sondern auch über eine Ebene
verfügt, also noch vtel reicher ist, als in dem Fremdenführer zu
lesen steht. Alle Norddeutfche. die hierher kommcn, sollten offi-
ziell auf diesen interessanten Punkt geführt werden. Es würde
sie gewiß hcimatlich anmuten und zu längercm Verwetlen hier
cinladen, wenn sie von besagtem Aussichtspunkt den Blick in die
Runde schwetfen ließen. Würde man dazu den ehemaligen
Cementwerksplatz mit Korn ansäen, dann könntc man ihnen
auch dcn Silberblick der Aehren. den ein Goethe so gerühmt hat,
verschaffen nnd der G-nuß wäre vollständig.

Auch sür unsere Dienstmädchen muß besser gesorgt werden.
Wie man neulich in dcr Zeitung las, ist es mißlich für sie,
wenn sie in den Wald Luft schnappen gcgangcn sind, zur be»
sttmmten früheren Zeit nach Hause zurückzukehren. Kein. Wun-
der! Denn aus dem Wa!d sührt sie keine Bahn heim, aber von
unserem Aussichtspunkt in der Weststadt wären sie mit der Elek-
trischcn eins eins zu Hanse und manches brummige Wort der Herr-
schaften bliebe nngesprochcn-

Ein wesentliches Erfordernis wäre noch zu ersüllen, damit der
Aussichtspunkt ganz zur Geltnng käme: es müßie ein Durchhau
nach Süden geschaffen werden, der cinen Blick auf den geplanteir
neuen Bohnhof und dte tn einem Graben laufende Bahn — daS
ist ja bekanntltch das neueste Projekt — gewährt.

Was kraucht dort in dem Spalt heran?

Herrjeh, das ist die Eiserbahnl

Berufene Dichter mögen diesen Gedanken poetisch ausgestalten
und dem Heidelberger Sommcrtagslied ein Heidelberger Eisen-
bahnlied an die Seite setzen. Der Plauderer ist letder nicht
poetisch veranlagt, sonst würde er diese Arbeit, dte seinen Nach»
luhm sicherte, fclbst ausführen.
 
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