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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-74 (1. März 1902 - 29.März 1902)
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jahrcs entlief, Als er nach 3 Wochen wicdcr zurilckkchrte
und siü, zu bcssern Uersprach, nahm Heizmann ihn ivieder anf,
Die B-csserung trar nicht eip, und der Angeklagte erhielt vom
Mcister wegen schlcchtcr t'lrbeit cine körperliche Züchtigung,
Daraufhin sann er nach Rache, Am 7, Januar d, Js, warf
er Phosphor, dcn cr von Streichhölzern abgeschabt hatte,
in cine im Ofen stchcndc Äanne Milch, von wclcher der Mei-
ster gcwvhnheitsmähig zu trinkcn pflegte, Dieser Anschlag
mihlang, da die Ntcisterin die rötliche Verfärbung der Milch
entdeckte uud solche ausschüttete, ehe ihr Mann davon trank,
Am 10. Januar kounte der Angcklagte wieder Phosphor in
eiue für dcn Meister bestimmre Tasse Kaffee heimlich hiuein-
werfen, Diesmal trank Heizmann auch einen Schluck davon,
merkte aber alsbald den Phosphorgeruch, Der Angeklagte,
wegcn der Thaterschaft vom Meister zur Redc gcstellt, leugncte.
Er mußtc dann auf Gcheis; des Meistcrs cinen Schluck Kaffee
uehmcn, spie denselben aber aus mit den Worten: „Das riecht
uach Streichhölzer", Durch Heizmann selbst mittels Ver-
größcrungsglases nnd ebcnso durch den prakt, Arzt Maier iu
Haslach wurdc das Vorhandcnsciu von roten Phosphorköpfen
und Holzsplittcrchen im Kaffce fcstgestellt, Bci Heizmauu trat
infolge dcs Genusses des Kaffecs Erbrechen und Durchfall ein,
Hätte cr die gauzc Tassc getruuken, so wäre dem Sachverstän-
digengutachteu zufolge eiue ernstlichc Gefährdung der Gesund-
heit bczw, Lebens für ihn eingetreten, Der Angeklagte ge-
stand spärer sein Verbrechen ciu, will jedoch uicht beabsichtigt
habcn, de» Mcister „wegzuschaffen", sondern ihn nur recht
krank zn machc», Das Urteil lautete auf c!u Jahr Gefängnis,
dc, Skckingen, 28. März, (E i n L e h r l i n g s a u s-
Leuter.) Vor dem hiesigen Schöffengericht hatte sich die
Druckereileitung des ultramontanen „Säck, ^Lolksblatts" wegeu
fortgesetzter AusMitung der Lehrliuge zu verantworten, Die
Verhandlung war schon auf 6, Februar anberaumt, es stellte sich
bei der Untersuchung heraus, dasz die Ausnutzung der jugend-
'lichen Kräfte schon scit eiuer langen Relhe von Jahren bei einer
großeu Lehrlingszahl betriebeu wurde, sa dah die Auklage,
erweitert wurde uud erst am 20, ds, zum Austrage kam, Es
konnte jedoch nur Herr O, Strcch, der dic Geschäftsleituug seit
Oktober 1900 übernommen haben will, zur Verantwortung ge-
zogen werden, weil das Verfahren gegen den erkrankten Vater
des Angeklagten vorläufig eingestellt werden mutzte, Herr O.
Stratz gab laut „St, B, Ztg," die gegen ihu crhobcne An-
klage im vollen Umfauge zu nnd führte zur Entschuldignug au,
datz er bei dem sehr nervösen Zustande seines Naters an der
Sache nichts habc ändern können, Er habe aber nunmehr
scit einigen Wochen eine geregelte Arbeitszeit für die Lehr-
lingc eingeführt, Das Gericht erkannte nach dem Antrage
des Staatsanwalts wegen Vergehens gegeu- die Gewerbeord-
nung zu 160 Mark Geldstrafe nnd Verfällung in die Kosten,
Jn der Urteilsverkündigung wurde hcrvorgehoben, datz es sich
um eine fortgesetzte That handle, die sittlich verwerflichen eigen-
nützigen Motivcn entspruugen sei, welche die gesnndheitliche
Cntwickelung der jungen Leute verhindere,

k, Donaucschingcn, 26, Mürz, (bOjähriges Be-
r u f s - I u b i l ä u m,s Am 4, April d, Js, sind es 60 Jahre,
datz der in dcr A, Willibald'stchen Hofbuchdruckerei („Donau-
eschingeb Volksblatt") beschäftigte Faktor Johann Hengstler
von Oberbalstingen in das Geschäft als Lehrling eiugetreten
ist, Während dieses laugen Zeitranmes war er in demselben
ununterbrochen thätig, Dieser seltene Fall ehrt nicht nnr den
Jubilar, sondcrn auch das Haus WMbald, welches stets in
anerkenneiiswcrter Weise um das Wohl nnd Wehe sciner Ar-
beiter besorgt ist, Möge dcm Jubilar, der geistig und körper-
lich noch völlig rüstig ist, cin nugetrübter Lebensabeud be-
schiedcn seinl

Kleine Zeituna.

— Mainz, 24. März. Wie mcm vernimmt, ist für
den Fall der V e r e i n i g u n g d e r M a i n - N e ck a r-
bahn mit der hiesigen Eisenbahndirektion beabsichtigt,
die Verkehrskontrollen 1. und 2. der Direktion Mainz

zn verlegen, die Drucksachenvermaltnng der Direktionsbe-
zirke Frankfurt, Saarbrücken nnd Bcainz nnd die Fahr-
kartendruckereien der Direktionsbezirke Frankfnrt nnd
SNainz in Mainz zn vereinigen. Bei der Vereinigung
der Main-Neckarbahn mit der Direktion Mainz geht
ein entsprechender Teil der Beamten der ersteren Ver-
waktnng nach Mainz über. Nach wekchem Orte die Ver-
kehrskontrolle der Direktion Biainz verlegt werden soll,
steht zur Zeit nicht fest.

— Erfnrl, 20. B.ärz. (W a s ein S ch n I k i n d
k o st e t!) Am diesjährigen Etat der Stadt Erfnrt ist
rund 1 Mitlion Mark für Schnlwesen eingestellt und zwar
kostet jeder Realschnler der Stadt Pro J.ahr 149 Mark,
das „höhere Mädchen" konunt auf 44 Bk. zu stehen,
jede Schnlerin der Mädchen-Mittelschule beansprncht 47
Mark, den gleichen Preis kostet jeder Schüler der ersten
Knaben-Bürgerschnle, anf den Kopf der Schülerinncn der
ersten Biädchen-Bürgerschule kommen 63 M., die zweite
epangelische Bürgerschule kommen 63 M., dic zweite
epangelische Bürgerschule erfordert für jeden Schüler 38
Mark nnd die katholische Bürgerschnle 68 Mark.

— Jntrressinitc Dingc übcr dcn scrbischcn Hvf weitz
öas „Grazer Tagblatt" zn erzäblen. Darnach unter-
hielt König Alerander mit der jüngsten Schwester der
Königin Draga, der „Prinzessin" Helene, seit geraumer
Zeit ein Verhältnis, das weit über die Grenzen familiärer
Beziehungen hinansgeht. Der König ist seit Kurzem
ein eifriger Radfahrer geworden, nnd man sieht ihn oft
schon des Morgens in Begleitnng der „Prinzessin"
Helene auf dem Rade Ansflüge unternehmen, von denen
sie erst spüt abends heimkehren. Die Königin klagt, datz
ihr königlicher Gemahl sie vernachlässige nnd in rohester
Weise behandle. Der König hingegen klagt, daß die
Königin ihn zu vergewaltigen siiche. Früher hatte die
Königin die Beziehnngen iyres Geinahls zn ihrer Schwe-
ster Helene gebilligt nnd gefördert, seit Kurzem aber ist
sie von einer furchtbaren Eifersncht gegen ihre Schwester
erfüllt. Sie fürchtet, daß der König sie in ein Kloster"
schicken wird, nm dann die „Prinzessin" Helene auf ihren
Platz zn setzen. Ans diesem Grunde fordert die Königin
von König Alexander, der ihre Schwester Helene vom
Hofe verbannen soll. König Alerander setzt dieser For-
dernng der Königin Draga jedoch den grötzte^Widerstand
entgegen nnd erklärt, daß er weder das Gastrecht in einer
solchen Weise verletzen, noch dadurch die Aufmerksamkeit
des Auslandes auf die intimen Vorgänge im Belgrader
Konak lenken wolle. Zwischen dem König und der Köni-
gin kam es vor einiger Zeit wegen dieser Geschichte zn
einem Streite, der in Thätkichkeiten auszuarten drohte,
Die Königin Draga stürzte schließlich in ihr Schlafgs-
mach nnd rief, sie habe dieses Leben satt und wolle Gift
nehmen. Als der König später, von Angst geguält, in
das Schlafzimmer der Königin trat, fand er sie in tieser
Ohnmacht liegen. Er rief die Dienerschaft, Aerzte kamen
nnd riefen die Königin wieder ins Leben zurück.

Die Lust ist Erdenblnme,

Ein Himmelsstern die Pflickit.

_ -_(Robert Hamerlin g.)

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Lrospskts kraoico äurob ckio Dirottioll
_Otto SssUA. UoLsrlvli dionl-

jetzt weitz ich . . . . ah, wie vcrblendet, wie thöricht bin ich

gewesenl"

Anch Helcne war bis iu d!c Lippeu crblatzt; aber sie be-
Zwaug ihre Erregung und dic brenuende Neugier, die Rudolfs
'Worte ihr verursachtcu, um zuiiächst der kleiuen Josephinc,
Wie sie nach ihrer Mutter hieh, ein Willkommeu zu bieten,
mnd alle Anordnimgen für die Bequemlichkeiten der neucu Haus-
Henossiii zu treffen. Die Kleine, die so rasch alle Befangeuheit
verlor, gefiel sich in dem grotzen schönen Hause, uud uachdem sie
vnit Speise und Trauk versehen war, sprang sie, vou dcr Aya
laugsamer gefolgt, iu den prächtigcn Garteu, aus dem bald
ihr helles Stimmchen zu den Geschwisteru drang; sie. sahen
in der Veranda; und hicr erfuhr Helene die seltsame imd
traurige Geschichte, die mit dem Kinde vcrknüpft lvar.

„Tie rst iu Begleitung einer älteren Dame und dieser Aya
Zu mir gekoimnen," berichtete Rudolf. „Die Dame reist heute
Abend uoch weiter. Sie hatte von Josephine .... Josephiue
ist tot," schaltete Rudolf auf einen frageudeu Blick Heleuciis
ein, iind cinige Augeublicke versagte ihm vor inuerer Erregung
die Stimme.

„Totl" lviederholte Helene. „O, das arme Kindl"

Lautes Iauchzeu töute zu ihnen herüber — die kleiue Waise
jagte uuter den betäubeud duftenden Tropenblumcu eiuem
leuchtenden Nachtfalter uach. Tod uud Trauer hatten über
Las leichtbewegliche Kinderherz keine Macht.

„Die Dame ist die Gattin eines französischen Jiiteiidaiitur-
bcamtcn. Aus ihrem Munde habe ich bie Geschichte von Jose-
phineus letzten Tageu gehört. Die Ehe des armen Mädchens
mit dem Leutnmit Perin war keine glückliche. Der Mcmn war
ein leichtlebiger Patron von jener Sorte, die in den lmig-
tveiligen französischen Romanen die Helden abgeben und die
einem bis znm Ekel bekannt sind. Josephine hätte sich längst
twn ihm scheiden lassen, wenn nicht das Kind gewesen lväre.
Dcrrum ertrng sie alle seine losen Streiche mit grotzer Geduld
rmd Rachsicht — darum und aus noch einem anderen Grunde.
Sie war sich gegen ihn nicht einer wirklichen, wohl aber einer
Herzensuntreue beivutztl"

„O meine Ahnuugl" rief Helene leidenschaftlich. „So habe
ich doch recht gehabtl"

„Du hast recht geraten, und ich war ein blinder Thor,"
sagte Rüdolf niedergeschlagen. „Aber das ist nun alles vorbei,
die Reue kommt zu spät. Josephinens Manü bekam einen
Posten in Pondicherh nnd dorthin tvar sie ihm gefolgt. Vor
einigen Monaten ist er von einem Eingeborenen, dessen Weibe
,er nachstellte, vergiftet worden. Josephine erkrankte, gerade
als sie im Begriffe war, nach Frankreich zurückzukehren und
mach längerem Siechtum ist sie gestorben. Zum Vormund der
kleinen Josephine und zum Verwalter ihres Vermögens hat
fte in aller Form mich ernannt. Denn ihr Oheim ist ebensalls
Ichon gestorben."

„Die armen Leute haben wahrlich vom Wiedergewimi ihres
'Vermögens nicht viel gehabt. Bei manchen Familien ist es
wirklich, als wenn sie unerbittlich vom Schicksal verfolgt wer-
den."

„Ja, die Dessoudres haben nicht Glück und nicht Stern
gehabt", sagte Rudolf trübe. Wieder schallte des Kindes fröh-
licher Ruf aus dem Garten herüber. „Aber nicht wahr, Helene,
sie bleibt bei uns?"

Helene gab ihm die Hand. „Wir wollen sehen, datz sie
Blücklich wird," antwortete sie einfach. „Wenigstens ihre

Kindheit wollen wir so gestalten, datz sie ihre Eltern nicht ver-
missen soll."

„Jch habe da auch gutziimachen. Es ist mcine Schuld, datz
alles so kläglich ausgelaufen ist. Lies dieses Briefchen, das mir
Josephine geschrieben hat, als sie wuhte, datz sie dcm Tode
verfallen sei."

Helene nahm das Papier, das Rndolf ihr hinreichte. Es
war ein französischer Bicf, der mit imsicherer Hand geschrieben
war, und also lautete:

„Lieber Herr Rudolf — Jch werde sterben, denn die Aerzte
haben mir keine Hoffnimg gekassen. Jch würde dem Tode, der
sonst keine Schrecken für mich hat, meines Töchterchens wegen
mit Sorge entgegensehen, wenn ich nicht wützte, datz ich Jhnen
die kleine Josephine, die mir wie aus dem Gesichte geschnitten
ist, als ein teures Vermächtnis ruhig übergeben kann. Mein
guter Onkel Anatole ist tot, somit habe ich niemand mehr
auf der Welt als Sie.

Lieber Herr Rudolf — eine Sterbende kann es Jhnen wohl
sagen — ich habe Sie von ganzem Herzcn geliebt — me.hr
geliebt als irgend einen Menschen anf Erden. Warum haben
Sie meine ehrliche Antwort von damals so falsch aufgefaht?
Cine Kinderthorheit hat uns getrennt — dcnn mein Jugend-
frennd Perin war mir nichts — gar nichts. Als ich Fhren Brief
erhielt, bin ich noch einmal in Jhr Hotel gelaufen, aber Sie
— Sie waren schon fort, da ergriff mich der Zweisel, ob Sie
mich wirklich geliebt hnben könnten. Jn diesem Zweifel und
Unmnt lietz ich mir Perins Bewerbimg gesallen, obgleich ich
wutzte, datz ihn nnr mein Vermögen anlockte.

So ist es gekommen, wie es kommen mußte.

Von Jhnen habe ich immer gewutzt. Jhr Schwager, Herr
Gerard, hat meine Bitte, mir von Jhnen zu schreiben, regel-
mäßig ersüllt. Bitte, sagen Sie ihm meinen Dank,

Nicht wahr, die kleine Josephine wird bei Jhnen nnd Jhrer
Schwester Ersatz für das Elternhaus finden?

Haben Sie heißen Dank dafür und für die wenigen, o so
glücklichen Tage, da ich mit Jhnen in Toulouse beisammen
war, und m!r eine so schöne Zukunft tränmte! O wie thöricht
sind wir beide gewesenl

Leben Sie wohl und vergessen Sie Iosephine Dessoudre
nicht."

Mit üüerströmeiiden Augen gab Helcne den Brief zurnck.

„Komm," sagte sie nach einem Weilcheii, „wir wollen die
Kleine holen, sie mutz ins Bett. Jch dars nicht vergessen, datz
ich jetzt Mutterpflichten habe."

Wieder sind acht Jahre verflossen.

Dichtes Schneeflockengetümmcl fällt vom Himmel herun-
ter, und die Straßen Hamburgs sind schon zu früher Abend-
stunde vereinsamt. Mer heller Lichterglcmz strahlt in allen
Teilen dcr Stadt durch die Fenster hinaus — denn es ist
Weihnachtsabend, und überall brennen die Tannenbäume.

Anch im Hause Gerards brennt der prächtig geputzte Christ-
baum nnd znfriedene fröhliche Gesichter umstehen die mit rei-
chen Gaben bedeckten Tische. Cäcilie und Gerard, Mauvrllon
nnd Hartmann, keiner von ihnen fehlt, und nach alter Weise
tummelt jeder von ihnen lustig sein Steckenpferd.

Es ist für Gerard und Hartmann schon der zweite Tannen-
banm, den sie heute Abend sehen; einen anderen haben sie schon
vor zwei Stunden schmücken helfen — das ist in meinem Hause
gewesen, ivv eine ungednkdige Kinderschar ein langes Hinaus-

schiebcn der Bescheerung nicht gestartet. Darum hat Gera^

schon um fünf Uhr seine Droschke bestellen lassen, und ^
nnd der wackerc Hartmann haben sie mit schier unendlickst^
Packcten von allen Gröhen und Gestalten angefüllt. Dast's
siiib sie beide eingestiegen und nach einem Hausc dcr Deichstravs
gefahren, das dem jetzt irn Besitze eines blühenden Geschäsli"'
befindlichen Panl gehört.

Das war denn freilich ein mörderisches Schreien
Toben, als die beiden Onkel Gerard und Hartinann die
öffneten. Alle drohendcn Worte Gerards an das „heillE
Zigeimergesindel" hat die hübschen Mädchen und die helläug^
gen Buben nicht aüschütteln können, die sich an seine "Ä
Hartmanns Rockschötze hängen. Erst die vereinigte Autoritl"
von Zarnow und Pnul, von Juanita nnd Anna hat die uiibot'
mäßige Schar zu Paaren getrieben nnd den bedränaten Onkl'l''
Luft gemacht.

Es ist eine Art Familientag, was sie alle znsammengefiilR
hat. Die herrliche Wiederaufrichtung des Deutschen Reickss
hat Zarnow den Wunsch eingegeben, das alte Vaterland wiede^
zusehen. Darüber hat er mit Rudolf korrespondiert und bests
siiid herübergekommen, das Weihnachtsfest im Hamburg zu fst)
ern. Der löbliche Plan ist zur Ausführung gelangt und nack,
dem mit Paul unter Onkel Gerards Aegide eine allseiti!»
Aussöhnung stattgefunden hat, wird scin Haus zum allgcmeinZ
Treffpunkte. Wo anders sollen Juanita und Zarnow a"^
mit ihreu drei Jungens und zwei Mädchen hin als zn Ä">?
und Paul Mauvillon, deren Kinder, ein Mädchen, und o"
Dube, allczeit zu allem erdenklichen llnfug bereit sind? ös,
Gerards Hanse werden nur zeremoniöse Besnche gemacht, "Ij'
Gerard, obgleich darüber schr verstimmt, nnternimmt niW'
nm dies zu ändern. .

Nun werden die Packete geöffnet und geordnet und Gerv^,
nnd Hartmann helfen die Wachslichter am Tannenbaum ^
zünden. Dann ertönte die Klingel und wie die wilde
stürmt es herein, in Kitteln und Jacken, in Hosen und
chen, in Kleidern und Kleidchen, Blondköpfe, Braunköpse "T
Schwarzköpfe, Blauaugen, Grauaugen nnd Braunaugen,
den hellen Stimmen, die da in so unbändiges Jubeln )))>
Jauchzen ausbrechen, fehlt auch Joscphinens Stimme
Jndem Rudolf auf die Kinderschar blickt, giebt es ihm fast e"" ,
Stich in s Herz, so unbeschreiblich ähnlich ist das sütze
gesicht dem Antlitz, das so lange im Grabe ruht, und das
nimmer vergessen kann.

Endlich mahnt Hartmann den Onkel Gerard, der stw
diesem Trubel so recht in seinem Element fühlt, daß es 1»,,
ist, zur gnädigen Frau znrückzufahren. Ein leichter Schm^
fliegt über das Gesicht des alten Herrn, der viel, viel lie -
hier bliebe. Er nimmt endlich Abschied, und das danert 3^'z
lich lange, namentlich bei zweien der Kinder; eines ist A
älteste Mädchen Juanitas, das seiner Mutter, als sie dai"
von .Kapitän Lorenzen zu Mauvillon und Ko. gebracht Iv"sA
so ähnlich ist, datz Gerard sich an dern Kinde gar nicht 'i,;,
sehen kann. Das andere ist Josephine Perin; hübsch ^ -z
bis zur Ansgelassenheit munter, hat sie sich ihm ins vs,)
gestohlen; er selbst ist kinderlos und möchke sie gern in sein
nehmen. Aber Rüdolf giebt sie um die Welt nicht her,
Zarnow stimmt ihiti bei, indem er mcint: „Es ist genUll
einem S n e e w i t t ch e n!" ,
 
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