Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

DOI chapter:
Nr. 75-100 (1. April 1902 - 30. April 1902)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0750

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Montag, 21. April 1902

Grftes Blatt.

44. Jahrgang. — -N 92,

E rscheinttäglich, Sonniags ausgenon,men. Prcis mit Familienblattern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei dcr Expcdition und dcn Zweigstellcn abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-

zogen viertcljährlich 1.35 Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.

AnzeigenpreisrbO Pfg. für die Ispaliige Petiizeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschästs- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für dic Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln dcr Heidelbcrger Zeitung und den städt. Anschlagstcllen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Zur Krmordung Sstpjagins.

Aus St. Petersburg wird der „Allg. Ztg" ge-
schrieben: Der Attentäter uahm sofort nach Abgabe der
Revolverschüsse Gift; dcr Tod trat nach wenigen Minuten
ein. Die Leiche wurde noch im Reichsratsgebäude, wo das
Verbrechen staitgefunden hatte, untersucht. Jn seiner Tasche
wurde ein Zeltel gefunden, in dem von anderen Attentaten
die Rede ist, die demnächst in schneller Folge stattfinden
würden, falls die innere Lage nicht eine durchgreifende
Aenderung erfahre. Gerüchtweise verlautet, daß die Kaiserin
in Thränen ausbrach, als sie von dem tragischen Schicksal
des Ministers des Jnnern erfuhr; man will auch wissen,
daß sie ihren Gemahl dringend um eincn Wechsel des
Regierungssystems gebeten habe. Wenn in den Kreisen
der studiercnden Jugend, namentlich unter den zahlreichen
gemaßregelten und dcklassierten Elementen weitere Persön-
lichkeiten sich finden, dic sich mit gleicher Ueberlegung und
Kaltblütigkeit wie Ssipjagins Mörder in den Dienst der
Propaganda mit Dolch und Revolver stellen, dann ist zu
befürchten, daß die terroristische Bewegung der 70er Jahre
wicderkehrt. Bei dem panikartigen Zustand, in dem
St. Petersburg sich jetzt befindet, ist es begreiflich, daß die
llarmierendsten Gcrüchte in dieser Hinsicht umlaufen. Wie
es heißt, ist es der Entschluß der Leiter der revolutionären
Bewegung, daß die Person des Zaren nicht bedroht und
gefährdet wcrde; die Erbitterung richtet sich mehr gegen die
Spitzen der allmächtigeu Bureaukratie, die selbst dem Trä-
ger der Krone ihren Willen aufzuzwingen wisse, Jhnen
gegenüber müsse, wenn ste auch fernerhin jede Reform ver-
eitelten, der Kampf selbst mit den extremsten Mitteln ge-
führt werden.

Mit der Meldung, daß der Mörder stch durch Gift
selbst ums Leben gebracht habe, steht die „Allg. Ztg."
allein da. Andere Blätter berichten aus Petersbnrg, daß
der Mörder schon mehrmals ins Verhör genommens worden
sei, daß man aber über seine Person noch nicht im Klaren
sci, da er jedesmal einen andcren Namen angebe.

Kin SyndikaL der großen Schiffslinien nach
Zmerika.

Aus London wird gemeldet: Nach dem „Daily Telegraph"
haben die Leyland-Linie, die American-Linie, die Atlantique-
Linie, die Red-Star-Linie, die Hamburg-Amerika-
Linie und der Nordd. Lloyd ein Abkommen ge-
schlossen, welches ein Hand- in Hand-Arbeiten der Gesell-
schaften ermöglicht, namentlich zu dem Zweck, die Betriebs-
ausgaben zu ermäßigen. Jede Gesellschaft behält ihre
Selbständigkeit und ihre Nationalität. Das Abkommen
fieht ferner die gleiche Einteilung des Passagier-
beförderungsdienstes für den Winter, sowie für
den Sommer vor. Jn der „Times" lautet die Meldung
um ein geringes anders. Das Blatt schreibt: Das Ab-
kommen zwischen den transatlantischen Dampferlinien sei
nahezu abgeschlossen, doch bsteiligen sich der Nordd. Lloyd
und die Hamburg-Amerika-Linie nicht aktuell an dem Zu-
sammenschluß, wenngleich ein befriedigendes Abkommen mit
ibnen abgeschlossen wurde.

Wrozeß Krosigk.

Gumbinnen, 19. April. Jm Saale ist eine Tafel
aufgestellt, auf dcr die gesamte in Betracht kommende
Oerllichkeit dargcstellt ist. Geladen sind für heute etwa
40 Zeugen, darunter Kriminalkommissar Bcckmann, Kriminal-
schutzmann Richter aus Berlin, der Hauptbelastungszeuge
früherer Dragoner Skopek u. a. Die gestern wegen der
Lokalbesichtigung unterbrochene Vernchmung Martens wird
heute fortgesetzt. Bei einem Teil wird auf Antrag der
Staatsanwaltschast Hickel aus dem Saale entfernt. Marten
erzählt auf Befragen des Vorsitzenden in ausführlicher
VZeise, was er am 21. Januar 1901 gethan habe. Die
erste Nachricht von dem Vorfall gab ihm ein Dragoner;
rr nahm diesen am Arm und sagte: „Mensch, Sie sind
wohl verrückt!" Gleich darauf sei cr zum Reitdienst ge-
gangen. Bei diescm fragte ihn der Vizewachtmeister Schultz,
Vb er schon wisse, daß der Rittmeister sich erschossen habe
odcr erschossen worden sei. Er sagte: „Jst es denn wahr?"
Darauf sei er in den Rekrutenstall gegangen; dort habe
Hm cin Unteroffizier dasselbe gesagt; er habe es uicht
Ülauben können, da er wußte, daß der Rittmeister sehr vor-
jichtig war. Gleich darauf gab Oberleutnant Hofmann
^efehl, den Stall abzusperren und sagte mit lauter Stimme:
„Es jst ein großcs Verbrcchen geschehen, der Rittmcister
dnirde in der Reitbahn erschossen; jeder, der etwas weiß,
^oll sich melden." Von diesem Augenblick an habe er erst
öeglaubt, daß der Rittmeister erschosscn worden sei: er hatte
llegen niemand Verdacht. Es jsei richtig, daß cr bei der
Ersten Vernehmnng sagte, er hätte deshalb mehrfach gefragt,

Zu diesen bedeutungsvollen Veröffentlichungen der
beiden Londoner Blätter schreiben die „Hamburger
Nachr.": Es scheint aus diesen Veröffentlichungen hervor-
zugehen, daß die Amerikaner unter Führung von
Pierpont Morgan die großen euglischen Gesellschaften,
die den nordatlantischen Dienst vermitteln, unter ihre
Kontrolle gebracht haben, und daß dieses Syndikat mit
der Hamburg-Amerika-Linie und dem Norddeutschen Lloyd
eine Betriebsgemeinsch aft geschlossen hat, welche die
Selbstständigkeit und die Nationalität der deutschen Gesell-
schaften in keiner Weise antastet. Die beiden deutschcn
Gesellschaften haben übrigens, wie früher bereits mitgeteilt
wurde» in Aussicht gestellt, daß sie ihren Aktionären über
den Jnhalt des Vertrages Auskunft geben werden, und
der Zeitpunkt zu dieser Veröffentlichung dürfte nunmehr
gekommen sein.

Hinzugefügt sei diesen Ausführungen der Hinweis da-
rauf, daß Morgan vor einiger Zeit die Leylandlinie an
sich brachte und daß dieser Besitz ihm den Stützpunkt für
die Verhandlungen mit den anderen Linien bot. Jn Eng-
land, wo man fürchtete, die Amerikaner würdcn alle eng-
lischen Linien an sich ziehen, ist man froh, daß es nur
zu einem Syndikat kommt, wobei die englischen Schiffe
die englische Flagge behalten und im Kriegsfallc als eng-
lische Hilfskreuzer verwendet werden können, worauf das
Marineamt stark rechnet. Die Cunard- und die Allan-
linie sind nicht im Kartell; ihnen wird vorstchtlich scharfe
Konkurrenz gemacht werden, um sie zum Anschluß zu be-
wegen. _

Deutsches Reich.

— Der Kaiser mußte bekanntlich am letzten Dienstag
wegen Unpäßlichkeit ein Essen beim österreichisch ungarischen
Botschafter absagen. Wie das „Berliner Tagebl." nach-
träglich meldet, litt der Kaiser an einer Balggeschwulst am
Kinn, die er sich operieren ließ. Die Heilung ist fo gut
crfolgt, daß den Kaiser nichts hinderte, sich an der Lust-
fahrt auf der Nordsee, zu der er vom Norddeutschen Lloyd
eingeladen war, teilzunehmen.

— Der Kaiser interessiert sich bekanntlich lebhaft für
die vom Standpunkt der Förderung der Landwirlschaft
allerdings wichtigen Fortschritte des Spiritusmotoreu-
betriebs. Neuerdings hat er befohlen, ein der Kieler Wsrft
gehöriges Fahrzeug zur Probe auf Spiritusbetrieb
einzurichten.

— Nach Wiener Meldungen istder neue Dreib unds-
vertrag bereits vollständig redigiert; eine Unterzeichnung
steht in diesen Tagen bevor.

Aerrtscher Aeichstag.

Berlin, 19. April. Fortsetzung der Beratung der
Seemannsordnung mit Besprechung der von der
Kommisston gefaßten Resolution, welche dic Vorlage eincs
Gesetzentwurfs verlangt zur Regelung der behördlichcn
Aufsicht über Scetüchtigkeit, Tiefgang, Bemannung und
Verproviantierung von Kauffahrteischiffen. Ein freistnniger
Antrag wlll das Wort Tiefgang streichen und hinzufügen,

um sich nicht verdächtig zu machen; dies sei geschchen, weil
ihn das Kriegsgericht zu viel gefragt hätte. Es tritt so-
dann eine Pause bis 3'/, Uhr ein. Heute Nachmittag
wurde mit der Vernehmung der Zeugen begonnen; um 5Vz'
Uhr wurde die Verhandlung auf Montag Vormittag vertagt.

Kleme Zeitung.

Hochschulnachrichten. Stuttgart, 19. April. Der
Tübinger Universitätspiofessor und Vorstand des chemischen
Jnstituts Dr. Frhr. v. Pechmann wurde heute in
seinem Bette tot aufgefmiden. Man spricht von Selbst-
mord durch Vergiftung.

— Berlin, 20. April. Heute Mittag fand im Saale
der Philharmonie die Feier des 70. Geburtstages
des Geheimen Medizinalrats Professor v. Leyden statt.
Hofrat Nothnagcl-Wien hielt eine Festrede, worauf zahlreiche
Gratulationsansprachen folgten. Professor Leyden dankte
tiefergriffen allen Rednern einzeln für die dargebrachten
Huldigungen. Abcnds findet im Saale der Philharmonie
ein Festmahl statt, an dem 500 Pcrsonen teilnehmen werden.

— Petersburg, 19. April. Wie dte „Nowosti"
aus Schemacha vom 17. ds. mcldet, traten um 10 und
lOVz Uhr starke Erdstötze auf. Jn Neumargejan
(Bezirk Ferghama) wurden in der Nacht vom 18. ds.
starke Erdstöße verspürt.

-- Der Blitzrechner. Das große Einmaleins kann
man gut in 3 Minuten bis 20 mal 29 lernen. Man
merke sich nur folgende Regel, die nicht halb so schwer
ist, als sie aussieht, und die für alle Multiplikationen zweier

sobald wie möglich einen Gesetzentwurf über Tiefgang und
Ladelinie der Seeschiffe vorzulegen, welchem die praktischen
Erfahrungen dcr Handelsmurine zugrunde zu legen stnd.
Da das Haus sehr schwach beseyt ist, erklärt der
Präsident, er werde aus technischen Gründen die Frage
nach Unterstützung des Antrages später stellen.

Wg. Lenzmann (freis. Volksp.) begründet den Antrag
und verwahrt sich gegen den ihm im „Vorwärts" gemachten
Vorwurß^er sei ein Frcund der Reeder.

Abg. Stockmann (Reichsp.) hält den Antrag sür not-
wcndig.

Abg. Raab (Reformp.) konstatiert die Einstimmigkeit
dcs Rcichstags hinsichtlich der Resolution. Die Statistik, auZ
der Lcnzmann folgere, daß dic Schiffsunfälle in der englischen
Marine trotz der Tiefladelinie zahlreicher seien, sei unrichflg.
Das Umgekehrte sei der Fall.

Der Regierungskommissar Kontrcadmiral Schmitt be-
strcitet die Richtigkeit des von dem Abg. Raab vorgebrachten
statistischen Dfaterials über die Seeunfälle. Die Anwendung
dcr englischen Borschriften würde für unsere Marine ge-
radezu eine Gefahr bcdeuten; trotzdem er die einschlägigen
Verhältnisse eingehend geprüft habe, sei er nicht imstandc, die
richtige Tiefladelinie anzugeben.

Jm weitercn Verlauf der Beratung crklärt Abg. Raab,
daß von hoher Stelle ein Telegramm an die Hamburg-
Amerika-Linw gesandt sei, in dem die Einführung der Tief-
ladelinie als rettcnde That bezcichnet wurde; er hoffe, diese
Ansicht werde immer mehr die hcrrschende werden.

Kontreadmiral Schmitt führt aus, er habe sich nur
gegcn eine Tiefladelinie, die auf einer Theorie aufgebaut fei,
ausgesprochen. Dadurch, daß wir die Tiefgänge der Schiffe
notieren lassen, werden wir Material an die Hand bekommen,
um eine braüchbare Tiefladelinie zu erhalten.

Dcr Antrag Lenzmann findet die genügende Unterstütz-
ung. Die Abstimmung übcr dcn Entschluh und den Antrag
Lenzmann wirö in dritter Lesung vorgenommcn werden.

Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky erklärt, es
sei selbstverständlich, daß alle Bestrebungen, die darauf ge-
richtet seien, den Seemaun in seinem gefährlichen Beruf zu
schützen, bei der Reichsregierung energische Unterstützung fän-
den. Die Seeberufsgcnossenschaft habe in der letzten Zeit
eine ganze Reihe von Unfallverhütungsborschriften erlassen.
Darüber, ob die Regierung geneigt sei, eine besondere neue
Behörde zu schaffen, köune er zur Zcit keine Auskunft geben, er
hoffc, daß eine ganze Reihe von Wünschen, die hier geäußert
wurden, sowcit sie sich auf die Sicherheitsvorschriften beziehen,
in kurzer Zeit Erledigung finden werden.

Die Ergänzungsgesetze zur Seemannsordnung wcrden in
zwciter Lesung crledigt. Der Servistarif werde von der Ta-
gesordnung abgesetzt. Zu dem Gesetzentwurf Rintelen, Lenz-
mann, Munkel und Salisch betreffend Aenderung und Cr-
gänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes, dcr Straf- und Zi-
vilprozeßordnung beantragt die Kommissiou mit Rücksicht auf
die Erklärung dcr Regierung in dcr Komission, eine Reso-
lution anzunchmen, worin die Regierung ersucht wird, bald-
möglichst dem Rcichstage eine derartige Gesetzesvorlage zu
machen.

Staatssekretär v. Niebcrding erklärt, wenn der
Reichstag die Kommissionsbeschlüsse annehme, werde er dafür
sorgen, daß die verbündcten Rcgierungcn die Rcsolution in
die Hmid nehmen.

Die Kommissionsbeschlüsse werden hierauf angenommen.

Nüchstc Sitzung Montag: Scrvistarif und „flicgender Ge-
richtsstand".

ZSadischer Landtag.

Karlsruhe, 19. April. (67. Sitzung der
Zweitcn Kammcr.) Präsidcnt Gönner. Am Minister-

Zahlen zwischen 10 und 20 gilt: /Man addiere zn der
einen Zahl die Einer der anderen, hängs eine Null (0) an
und addiere dazu das Produkt dcr beiden Einer. Wenn
man das zwei Minuten übt, ist es spielend leicht. Probiere
man einmal: 16x14. Wir sagen 16-j-4 —20, Null
angehängt — 200, dazu 6x4—24, also 224.s Oder ver-
suche 19x16. Zuerst 19-s-6 —25, Nullaiihängen —250,
dazu 9x6 — 54, also 304. Noch eins, um sicher zu
gehen: 13x18. Mau sagt sich nur blitzschnell im Kopf:
21; 210 -j- 24 — 234. Na also! Man sieht, es geht und
man ist schncll zum Blitzrechner geworden.

— Eine jüdische Oper. Die erste ihrer Art wird,
der „Schles. Zkg." zufolge, London bekommen. Ein Syndikat
hai das Theater Manor in der Vorstadt Hackocy gemietet
und läßt es einrichien; das Jnnere ist mir Porträts und
Büstcn jüdischer Mustker geschmückt; neben dem König David
finden sich die von Mcyerbeer und Mendelssohn. Die
Opern werden in dem jüdisch-deutschen Dialekt übertragen,
wie er von den russischen und polnischen Juden gesprochen
wird; man wird aucy Operetten von Goldfaden, dessen
Textbücher in jüdischer Sprache gcschrieben sind, spielen.
Am Freitag und Samstag wird nicht gespielt, wohl aber
am Sonntag. Die erste Vorstelluiig ist auf den 21. Mai
festgesetzt.

Thue das Vollkommenste, was durch dich möglich istl —
Es kanu scin, datz nicht alles wahr ist, was ein Mcnsch dasür
hält (denn er kann irren); aber in allem, was er sagt, muß
er wahrhaft sein (er soll nicht täuschen). K a n t.

llnverdientes Lob erteilen, heitzt Falschmünzerci trciben.

G. W.
 
Annotationen